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Es ist vollbracht   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium am Karfreitag: Joh 18,1–19,42 SKZ 14/2011

Es ist nicht ganz eindeutig, ob der Karfreitag als Trauertag, weil schliesslich Jesus gekreuzigt wurde, oder als Feiertag gelten soll, da er unabdingbare Voraussetzung für die Auferstehung ist. Jedenfalls ist es ein Gedenktag, der immer wieder herausfordert, weil er so sperrig ist, so schwierig für den Glauben an den guten Gott und liebenden Vater.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Jesu irdisches Dasein endet im Garten, was daran erinnert, dass das menschliche Dasein überhaupt in einem Garten begonnen hat. Allerdings handelt es sich nun nicht mehr um ein Paradies, ein «Tiergehege bzw. Lustgarten» (paradeisos), sondern um einen Garten im üblichen Sinn (käpos), der durch Gartenbau angelegt wurde. Jesu Passion beginnt im Garten «auf der anderen Seite des Baches Kedron» (Joh 18,1), wo Jesus «oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war» und den daher auch Judas kannte (Joh 18,2). Der Leichnam Jesu aber wird in einem Grab beigesetzt, das sich in einem Garten befindet, der «bei dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte» war (Joh 19,41), «denn das Grab» – und damit auch der Garten – «lag in der Nähe» (Joh 19,42). Das war wichtig, da die Grablegung am Rüsttag vor dem Paschafest geschah und daher rechtzeitig zu Ende geführt werden musste. Kaum merklich verbinden sich in diesen Beobachtungen Schöpfungs- und Befreiungstheologie, was Jesus Zeit seines Lebens angestrebt hat. Denn immer wieder verdeutlichte er aktiv, dass am Sabbat zwar in der Einhaltung der göttlichen Ruhe als Teil des Schöpfungswerkes die Gottebenbildlichkeit des Menschen anklingt, andererseits aber gerade deshalb am Sabbat geheilt und so Menschen aus der Knechtschaft (der Krankheit) geführt werden dürfen. Letzteres entspricht einer zentralen Erfahrung Israels in seiner Geschichte mit Gott, woran gerade an Pascha speziell erinnert wird.

Zu Beginn seiner Passion befindet sich Jesus inmitten seiner Vertrauten, als integriertes Mitglied des Gottesvolkes, an einem vertrauten Ort. Er wird aber im Verlauf des Geschehens mehr und mehr isoliert, bis er allein vor Pilatus, dem Repräsentanten der Besatzungsmacht Rom, und als Gegenpol zu seinem Volk steht und schliesslich in einem noch ungenutzten Grab von zwei Männern beigesetzt wird, die während seines Lebens nie den Mut hatten, sich öffentlich zu ihm zu bekennen. Johannes aber überliefert als letztes Wort Jesu nicht den Aufschrei des Verratenen und Vereinsamten: «Mein Gott, warum hast du mich verlassen?», sondern die irritierende Behauptung: «Es ist vollbracht (zum Ende geführt – tetelestei)!»

Irritierend ist diese Feststellung für ein christliches Ohr, weil sie nicht das Ergebnis der Auferstehung kommentiert, sondern der lapidare Befund folgt: «Dann neigte er das Haupt und starb» (Joh 19,30). Was also soll vollbracht sein? Sollte damit Kajafas Recht behalten, der den Juden den Rat gab: «Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk stirbt» (Joh 18,14). An diesen Ausspruch wird erinnert, nachdem Jesus von seinen Getreuen weggeführt wurde und vor seinem ersten Verhör, so dass man meinen könnte, Jesus solle als «Bauernopfer» dienen. In ihrem ursprünglichen Kontext folgt dieser Aussage tatsächlich der Beschluss, Jesus zu töten (Joh 11,53), welcher durch seinen Tod wirklich «vollbracht» ist. Doch die Aussage des Kajafas wird dort nicht als solche stehen gelassen, sondern vielmehr gedeutet: «So sprach er nicht von sich aus, sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischem Geist, dass Jesus für das Volk sterben sollte; aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch um die zerstreuten Gotteskinder zu sammeln» (Joh 11,51 f.). Diese Deutung wiederum korrespondiert mit Jesu Selbstaussage: «Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben für die Schafe. (…) Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben gebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreisst es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen. (…) Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen» (Joh 10,11.16–18). Das Johannesevangelium, das oft wie ein Drehbuch anmutet und wohl auch dem Filmmusical «Jesus Christ – Superstar» als primäre Vorlage gedient hat, zeigt uns einen Jesus, der seine Lebensaufgabe darin sieht, seine Rolle im Heilsplan Gottes zu spielen. Auch die jüdischen Führer, Pilatus und selbst die Soldaten, die den Kreuzigungsbefehl ausführen, können lediglich erfüllen, was ihnen als Rolle zugeschrieben ist: «Aber das Wort sollte sich erfüllen, das in ihrem Gesetz geschrieben ist: Ohne Grund haben sie mich gehasst» (Joh 15,25); «Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre» (Joh 19,11) und schliesslich: «So sollte sich die Schrift erfüllen: Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand. Dies führten die Soldaten aus» (Joh 19,24).

Das Filmmusical «Jesus Christ – Superstar» endet mit dem Tod Jesu und lässt uns glauben, dass mit Jesu letztem Wort: «Es ist vollbracht» der Vorhang fällt und das Stück zu Ende ist. Es ist bestimmt nicht falsch, erschüttert einzuhalten und zu überdenken, weshalb der Heilsplan Gottes solche Opfer fordert. Doch mit dem Vorhang, der an Karfreitag fällt, ist lediglich ein Akt zu Ende. Dieses erschreckende Ende aber kann nur «verdaut» werden, wenn wir das Stück bis zum Schluss schauen und nicht am «Regisseur» verzweifelnd den Saal verlassen, bevor wir wissen, ob er nicht doch ein Happy End vorgesehen hat.

Mit Johannes im Gespräch

Die Johannespassion gibt durch die Schilderung selbst einige Indizien, dass es hier um eine Erfüllung geht. Auffallend häufig wird nämlich durch drei – die Zahl der Vollendung, Vollkommenheit – Begriffe umschrieben, was mit einem Wort erzählt werden könnte.

Zunächst besonders überraschend und augenfällig ist, dass Jesus von einem seiner Getreuesten dreimal verleugnet wird (Joh 18,17.26.27; «die Seinen nahmen ihn nicht auf» (Joh 1,11)), wo hingegen Pilatus, der ihm offensichtlich verständnislos gegenübersteht, dreimal versucht, ihn freizulassen, denn: «Ich finde keinen Grund, ihn schuldig zu sprechen» (Joh 18,38; 19,4.6); der Freilassung aber steht dreimal das Gesetz der Juden gegenüber (Joh 18,31; 19,7; «denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, aber durch Jesus Christus kam die Gnade und Wahrheit» [Joh 1,17;18,37]).

Es gibt im Text aber auch weniger offensichtliche Hinweise durch die Verdreifachung einer Aussage: Judas kommt mit einem Trupp und mit Knechten der Hohepriester und mit Knechten der Pharisäer; sie trugen Fackeln und Laternen und Waffen; der Trupp und sein Befehlshaber und die Knechte der jüdischen Führung nahmen Jesus fest und fesselten ihn und führten ihn ab; Jesus macht Hannas darauf aufmerksam, er habe öffentlich zur Welt gesprochen und in Synagogen und im Tempel, wo alle Juden zusammenkommen, gelehrt und nichts im Geheimen gesprochen; er wird vor Hannas und vor Kajafas (wo auffälligerweise kein Verhör geschildert wird) und vor Pilatus geführt; vor Letzterem betont er dreimal, dass seine Königsherrschaft nicht von dieser Welt sei; die Soldaten verhöhnen Jesus auf dreifache Weise, indem sie ihn mit einem Dornenkranz krönen, ihm einen purpurroten Mantel umlegen und ihm höhnisch huldigen; mit Jesus wurden schliesslich zwei weitere Menschen gekreuzigt, so dass drei Kreuze standen, und die Aufschrift an seinem Kreuz war hebräisch und lateinisch und griechisch geschrieben, so dass sie wiederum allen Juden und aller Welt verständlich war («allen, die an seinen Namen glauben, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden» [Joh 1,12c.b]) und «er, der es gesehen hat, hat es bezeugt und sein Zeugnis ist zuverlässig und er weiss, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt» (Joh 19,35).