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Verklärung   

Ursula Rapp zum Evangelium am 2. Fastensonntag: Mt 17,1–9 SKZ 10/2011

Was stellen wir uns unter «Verklärung» vor? Eine Verdünnung der Gestalt Jesu zu einer Lichtfigur? Hat Verklärung vielleicht etwas mit Klarwerden zu tun? Ist den Aposteln etwas klarer geworden durch dieses Erlebnis? Dann wird die Verdünnung vielleicht zu einer Verdichtung für die Betrachtenden. Die Apostel jedenfalls scheinen nichts Verdünntes zu erleben, denn sie fürchten sich sehr.

Was in den Schriften steht

Die Perikope von der Verklärung Jesu, die ausser bei Matthäus noch in Markus 9,2–10 steht, ist nicht nur wegen der nicht leicht zugänglichen Vorstellung des Phänomens der Verklärung selbst, sondern auch vom Erzählgang her nicht ganz leicht zu verstehen.

Beim Lesen hat man den Eindruck, dass da ständig neue Personen auftreten, die etwas sagen, aber dann doch keine Antwort bekommen: Zuerst Jesus und die drei Apostel, dann Mose und Elija, anschliessend die Wolke, und dann sind wieder Jesus und die Apostel allein.

Die Ersten, die reden, sind Mose und Elia. sie sprechen zu Jesus, aber wir erfahren nicht was. Ob die Apostel es verstehen können, bleibt offen. Dann spricht Petrus, er bekommt aber keine Antwort, nur die Wolke kommt und spricht zu den Aposteln. Schliesslich spricht Jesus zu den Aposteln. Es geht also ganz offensichtlich nicht um Gespräche, nicht um menschliche Kommunikation und Redegemeinschaft, nicht um menschliche Deutung des Erlebten. Es geht um das Hören und das Sehen der Apostel, sie nehmen wahr und auf und sie sind zutiefst bewegt, da sie niederfallen und sich sehr fürchteten (V. 6). Was sie hören und sehen, kennen sie aus den Schriften, und was sie erleben, kennen sie als Erlebnis Moses.

Matthäus weist schon fast überdeutlich auf die Begegnungen Moses mit Gott auf dem Sinai und die Gabe der Gesetzestafeln bzw. den Bundesschluss hin. Die sechs Tage deuten auf Mose hin. Zeitangaben sind ja meist nicht zufällig gewählt. Sie weisen auf interne, oft theologisch bedeutsame Chronologien hin: Sechs Tage war Mose auf dem Berg in die Wolke gehüllt (Ex 24,16), um die Steintafeln mit Weisungen von Gott zu erhalten. Auch das «Reden», das die Apostel hörten, ist eigentlich ein miteinander Reden, ein Unterreden, das in Ex 34,35 das bezeichnet, was im Zelt zwischen Mose und Gott geschieht. Es könnte ein sehr intensives Gespräch bezeichnen.

Wenn Petrus fragt, ob er für Mose, Elija und Jesus ein Zelt bauen solle, dann könnte das die Bezeichnung der Wohnstatt Gottes, Zeichen göttlicher Gegenwart unter den Menschen, aus Ex 25 aufnehmen. Der Vorschlag wird nicht beantwortet. Will Petrus die drei in irgend einer Form in der Welt festhalten oder Erinnerungszeichen ihrer Gegenwart setzen?

Warum gerade Mose und Elija in der Verklärung erscheinen, könnte damit zusammenhängen, dass beides wichtige Propheten sind. Mose als Gesetzesvermittler und -ausleger, und Elija als der, der sich mit seinem Leben für die Einzigkeit des israelitischen Gottes eingesetzt hat. Jesus wird in diese grosse prophetische Tradition Israels hineingenommen als der, der sie fortsetzt. Das wird auch deutlich, wenn man den Gedanken der Wiederkunft des Elija verfolgt. Matthäus bezieht sich hier auf das Ende des prophetischen Buches Maleachi, die letzten überlieferten Verse der verschriftlichten biblischen Prophetie: «Denkt an das Gesetz meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Satzung und Recht übergeben, die für ganz Israel gelten. Bevor der Tag des Herrn kommt, der grosse und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne den Vätern, damit ich nicht kommen und das Land dem Untergang weihen muss» (Mal 3,22–24).Mit diesen Versen gelesen wird die Begegnung Jesu mit Mose und Elija in der Verklärung zu einer prophetischen Bestätigung Jesu. Jesu wird in die Gemeinschaft mit diesen beiden Propheten Mose und Elija hineingenommen. Das bedeutet, dass auch er vor diesem Tag Gottes kommt und dass jetzt die Zeit des Elija anbricht, wo Gott die Herzen der Kinder und Eltern zusammenführt. Möglicherweise erinnert das sogar an den Anfang des Matthäusevangeliums, an den Stammbaum, wo die Verbindung der Väter, Mütter und Söhne beschrieben wird, und wo anschliessend von Josef als dem Vater, der seinen Träumen folgt, und sich dadurch seinem Sohn zuwendet, erzählt wird.

Kein Wunder, dass diese Verse des Propheten Maleachi nach dem christlichen Kanon direkt vor dem Matthäusevangelium zu stehen kommen.

Die jüdische Tradition hat die Wiederkunft des Elija offen gelassen. Der Prophet ist eine der bedeutendsten Figuren der Bibel geworden und das nicht zuletzt deshalb, weil sein Tod als Himmelfahrt geschildert wird (1 Kön 2,1–18) und man deshalb häufig annahm, dass seine Beziehungen zur Erde nicht ganz abgebrochen sind. Er wird erwartet als Ankündiger der Endzeit, aber auch als Ratgeber der Rabbinen (b.Ned 50a), als Tröster und der, der dem Volk Israels zu seinem Recht verhilft. So wird ihm auch bei Beschneidungen ein Stuhl frei gehalten und beim Sedermahl zu Pesach ein Weinbecher für ihn bereit gestellt.

Kein Wunder auch, dass die Stimme aus der Wolke genau diese Eltern-Sohn-Beziehung anspricht: Dies ist mein geliebter Sohn! Gott als Vater und Mutter wendet sich seinem Sohn und damit den Menschen zu.

Mit den Worten aus der Wolke greift Matthäus auf den erwarteten König in Ps 2,7 zurück: «Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt.» Jesus wird dadurch als der König und Gesalbte Gottes den Aposteln vorgestellt. Das Königsein Jesu wird mit den Wolkenworten auch auf den Gottesknecht aus Jes 42,1 bezogen. Dort heisst es: «Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen.» Der Gottesknecht ist eine Gestalt, die Gott erwählt, um das Volk Israel zu repräsentieren, aber auch dessen Schicksal zu spiegeln, es zu sühnen, im Rettung zu bringen … – Der Gottesknecht ist eine vielfältige Gestalt, von der nur sicher ist, dass sie von Gott gesandt, mit Gott zutiefst verbunden, und eine religiös-politische Rettungsfigur ist. Diese Figur wird hier auf Jesus übertragen und erfährt damit eine Bedeutungserweiterung. Damit ist für jüdische Hörerinnen und Leser ganz klar, welche Funktion Jesus für Israel hat, nämlich diese befreiende, sühnende und schicksalsspiegelnde.

Mit Matthäus im Gespräch

Die Erzählung bei Matthäus ist unklar. Geht es dabei um ein Erlebnis Jesu, das für Jesus wichtig war und das die Apostel eben nicht verstehen, oder war es für die Apostel wichtig? Letzteres liegt nahe. Die Verklärungsperikope steht mitten unter Texten, die den Glauben der Menschen im Blick haben: 16,24–28; 17,10–13.14–21. Ausserdem tun die Apostel in der Verklärungsperikope nichts, ausser dass sie schauen, hören und sich betreffen lassen. Ihre Wahrnehmung ist wichtig und dass sie sich auf das Geschehen einlassen. Das Deuten bleibt der Wolke und Jesus überlassen. Nach dieser Perikope deutet Matthäus an, die Apostel hätten etwas erkannt, also vielleicht liegt das Erkennen (und Glauben) in diesem Schauen, Hören und Sich-berühren-Lassen.