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Ein helles Licht geht auf für alle, die im Dunkeln leben   

Franz Annen zum 3. Sonntag im Jahreskreis: Mt 4,12–23 bzw. 4,12–17

Der 3. Sonntag im Jahreskreis liegt dieses Jahr mitten in der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Da liegt es nahe, sich an den Ursprung des gemeinsamen christlichen Glaubens zu erinnern. Das zu besprechende Sonntagsevangelium erzählt den Anfang des Wirkens Jesu als Erfüllung der prophetischen Verheissungen Israels und betont, dass für alle in Jesus ein helles Licht aufgegangen ist. Der Glaube daran verbindet alle Christen miteinander.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Kein anderer Evangelist führt in seinem Evangelium so intensiv das Gespräch mit der Hl. Schrift, mit «dem Gesetz und den Propheten », wie der Judenchrist Matthäus. Um den Umzug Jesu von Nazareth nach Kafarnaum und den Beginn seines Wirkens als Erfüllung der Verheissungen Israels zu erweisen, zitiert er Jes 8,23–9,1. Dabei kürzt er den ersten Teil stark ab und behält eigentlich nur die Ortsbezeichnungen bei: das Land Sebulon und das Land Naftali, die Strasse am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das Galiläa der Heidenvölker. Das Stammesgebiet von Sebulon reichte von der Mittelmeerküste bei Akko bis südlich des Sees Gennesareth. Nazareth gehörte wohl dazu. Naftali erstreckte sich am Westufer des Sees Gennesaret, wo Kafarnaum liegt. Mit der Stras se am Meer meinte der Prophet ursprünglich wohl die Küste des Mittelmeers, Mt eher das Ufer des Sees Gennesareth, den er regelmäs sig als «Meer» (thalassa) bezeichnet. Besonders wichtig scheint Mt die Bezeichnung «Galiläa der Heidenvölker» zu sein. Er fasst damit die vorher genannten Regionen zusammen, obwohl das Gebiet jenseits des Jordans eigentlich nicht zu Galiläa gehört. Jesaja bezieht sich auf die Situation nach der Eroberung der genannten Stammes gebiete durch den Assyrerkönig Tiglatpileser III. (745–726), der viele Bewohner nach Assur verschleppte und nicht-jüdische Bevölkerung ansiedelte (vgl. 2 Kön 15,29). Daher die Bezeichnung «Galil (Gebiet) der Heiden» in Jes 8,23. Zur Zeit des Mt war die Bevölkerung Galiläas aber überwiegend jüdisch, auch wenn sie aus Jerusalemer Sicht als religiös eher unzuverlässig galt. Aber gerade Mt betont besonders deutlich, dass Jesus unter den Juden Galiläas wirkte und seine Botschaft an sie richtete. Auch die Jünger sollten sich zu seiner Lebenszeit an diese Grenze halten (Mt 10,5–6). Aber Mt nimmt die Bezeichnung «Galiläa der Heiden» aus Jes 8,23 trotzdem gerne auf. Sie ist ein Ausblick auf die nachöster liche Zukunft, in der auf die Weisung des Auferstandenen (Mt 28,19–20) hin das Heil zu den Heiden gebracht wird. Im Zusammenhang des Erfüllungszitates von Mt 4,15– 16 unterstreicht die Bezeichnung «Galiläa der Heiden» zusätzlich das Dunkel, in dem dieses Volk lebt. Darauf geht nun der zweite Teil des Zitats ein. Jesaja verwendet für das Elend des Volkes und die Verheissung, die er ihm bringt, das Bildpaar «Dunkel» (bzw. «Schatten») und «Licht». In einem Parallelismus, wie er in der hebräischen Poesie häufi g ist, bringt er seine Botschaft eindringlich zur Sprache: «Volk, das in Finsternis geht, schaut ein grosses Licht! Die ihr im Lande und im Schatten des Todes wohnt, ein Licht wird über euch leuchten» (Jes 9,1).1 Es wird vermutet, dass Jesaja ursprünglich wohl auf die «Geburt eines Kindes der davidischen Dynastie als Zeichen für die baldige Befreiung der drei von den Assyrern besetzten Provinzen Dor, Megiddo und Gilead »2 hinweisen wollte. Die jüdische Überlieferung verstand die Stelle jedenfalls nicht als Hinweis auf den Messias. Mt zitiert diesen zweiten Teil der Jesaja-Verheissung fast wörtlich – mit einer kleinen, aber wichtigen Änderung gegenüber dem Text der griechischen Bibel: Er spricht nicht vom Licht, das «leuchten wird» (Zukunft), sondern vom Licht, das «aufgegangen ist» (Vergangenheit). Ulrich Luz vermutet,3 es könnte bei dieser Formulierung eine Erinnerung an den Bileamspruch in Num 24,17 mitschwingen: «Ein Stern geht in Jakob auf …» Auf jeden Fall hat sich für Mt die Verheissung des Jesaja in Jesus erfüllt. Er ist für das Volk, das im Todesdunkel sass, als helles Licht aufgegangen.

Mit Matthäus im Gespräch

Das von Jesaja und Mt verwendete Bild von Licht und Dunkel passt gut zur Bilderwelt der Weihnachtszeit. Es lohnt sich, in die Evangelien hineinzuschauen, wie sie das Bildpaar verwenden. Es ist derselbe Mt, der als einziger in der Verklärungsgeschichte bemerkt, dass die Kleider Jesu weiss «wie das Licht» (17,2) wurden. Die drei auserwählten Jünger sehen für einen Augenblick, worauf der Glaube des Evangelisten schon vor Beginn des öff entlichen Wirkens Jesu (4,14–16) hinwies. Nur Mt überliefert in der Bergpredigt das Jesuswort an die Adresse der Jünger: «Ihr seid das Licht der Welt …» (5,14). Wie man eine Lampe nicht unter einen Scheff el stellt, sondern auf einen Leuchter, «so soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen» (5,16). Im Lk-Evangelium begrüsst der greise Simeon den Säugling Jesus, der in den Tempel gebracht wird, als «… ein Licht, das die Heidenvölker erleuchtet» (Lk 2,32). Simon braucht dabei eine Bezeichnung, die Deutero- Jesaja für den «Knecht Gottes» und das Gottesvolk Israel verwendet (Jes 42,6; 49,6). Simeon bzw. Lk sieht die Aufgabe des Gottesknechtes und Israels, Licht für die Heidenvölker zu sein, in Jesus erfüllt. Am tiefsten meditiert das Joh-Evangelium das Geheimnis Jesu unter dem Bild des Lichtes, das in der Finsternis leuchtet. Die Grundaussage steht im Prolog: «In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst … Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt» (1,4–5.9, vgl. auch 3,19–21). Später sagt der johanneische Jesus von sich selbst ebenso grundsätzlich: «Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben» (8,12; vgl. auch 9,5; 12,35–36.46). Anders als Mt 5,14 bezeichnet Joh hingegen die an Jesus Glaubenden nicht als Licht, sondern als «Söhne und Töchter des Lichts» (12,36; vgl. auch Lk 16,8). Auch Johannes der Täufer «war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht» (1,8). Die Abgrenzung des Evangeliums vom 3. Sonntag im Jahreskreis ist für einmal recht gut gewählt. Es lässt sich verstehen als Entfaltung der Aussage, dass Jesus als helles Licht für die Menschen, die im Dunkeln sitzen, aufgegangen ist (4,16). Er ist für das «Galiläa der Heidenvölker» zum Licht geworden: durch seinen Umzug nach Kafarnaum, durch sein Evangelium von der Nähe des Himmelreichs (4,17.23) und durch sein heilendes Wirken (4,23). Die ersten Jünger, die seinem Ruf folgen (4,18–22), sind die Prototypen jener, die selber zum «Licht der Welt» (5,14) – oder in johanneischer Sprache «Söhne und Töchter des Lichtes» (Joh 12,36) – werden.

1 Zitiert nach: Septuaginta deutsch. Stuttgart 2009.

2 So U. Luz: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1–7) (= EKK I/1). Düsseldorf-Neukirchen 52002, 236.

3 Ebd., 233.