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Taufe und Umkehr   

Ursula Rapp zum Evangelium am 2. Sonntag im Jahreskreis: Joh 1,29–34 SKZ 50-52/2010

Die Taufe Jesu ist nicht das Fest eines kleinen Kindes, auch wenn wir es knapp nach Weihnachten feiern. Jesus ist erwachsen und – zumindest nach der Erzählung bei Johannes – bereits als der unschuldig Gefolterte erkennbar, der er sein wird. Die Taufe Jesu lässt Johannes erkennen, wer Jesus ist und wer er selbst ist. Gerade am Bild des unschuldigen, machtlosen Lammes wird die Möglichkeit zu erkennen, wer wir sind, eröffnet.

«… was in den Schriften steht»

Bei der Taufe Jesu im Johannesevangelium fällt vor allem auf, dass etwas nicht erwähnt wird, das bei den Synoptikern scheinbar nicht fehlen darf, nämlich die Stimme aus dem Himmel, die uns wissen lässt: «Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Gefallen gefunden» (Lk 3,22). Dies ist ein Zitat aus Psalm 2,7. Auch in Jesaja 40,1 spricht Gott von einem Menschen, der göttlichen Gefallen gefunden hat. Es ist der Knecht Gottes. In Jes 40,1 beginnt das erste von insgesamt vier Liedern über diese Person des Gottesknechts, die sich in den Texten des Propheten Deuterojesaja finden. Johannes geht einen anderen Weg der Deutung der Taufe Jesu. Gleich zu Beginn der kleinen Erzählung lässt er Johannes den Täufer über Jesus sagen: «Seht, das Lamm Gottes, das hochhebt die Sünde der Welt.» Ein Lamm, das Sünde wegnimmt, kann eines sein, das für ein Vergebungsopfer geopfert wird. In Jesaja 53,7 wird allerdings der Gottesknecht im Bild eines Lammes beschrieben, das seinen Mund nicht aufmacht, wenn es zur Schlachtbank geführt wird: «Er [der Gottesknecht] wurde misshandelt und niedergedrückt, tat aber seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf.» Johannes stellt einen Bezug her zwischen dem Knecht Gottes, der statt des Volkes Israel leidet, und Jesus. Das vierte Lied über den Gottesknecht schildert eine Person, die gefoltert und geschunden wird. Während des Liedes gelangen die Singenden zu der Einsicht, dass diese grauengebeugte Person für sie leidet. Durch dieses Leiden wird die Schuld des untreuen und ungläubigen Israel getilgt. Wer mit dieser Gestalt des Knechts tatsächlich gemeint ist (die zerstörte Stadt Jerusalem oder der Prophet selbst etwa), scheint nicht so wichtig. Das Entscheidende ist, dass die Singenden ihre Geschichte und ihre Schuld erkennen und dadurch zu neuen Handlungsmöglichkeiten finden. Das Lamm ist ein Bild für die Wehrlosigkeit und Unschuld, und im Lied über den Gottesknecht auch über die Verwandlungskraft. Denn an der Ohnmacht der ganz Ohnmächtigen erst wird das Ausmass der Schuld all jener, die mächtiger sind, deutlich. An ihnen wird der Wahnsinn des Unrechts sichtbar und in dieser Sichtbarkeit zur Qual der Schuldigen. Darin liegt ihre letzte Macht: dass sie das Selbstbild der Schuldigen verwandeln können. Damit verweist Johannes auf Jesu Tod. Das Leiden und der unschuldige Tod sind für ihn schon beim ersten Anblick Jesu wahrnehmbar (Vers 29). Jesu Ohnmacht am Kreuz, wird für alle, die sich trauen, hinzuschauen, zum Inbild der Verwandlung. Das unschuldige Leiden nicht auszuhalten ist die Kraft, die eigene Schuld klar zu sehen: Lamm Gottes, das die Sünde der Welt aufheben kann.

Ein zweites Tier, das in allen Berichten von der Taufe Jesu vorkommt, ist die Taube. Tauben sind in der altorientalischen und antiken Levante keine aufdringliche Wohlstandsplage wie in unseren Städten. Sie sind helle, zarte, lang- und schmal(!)halsige Vögel, die als Symboltiere der Fruchtbarkeits-, Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar bekannt und recht verbreitet waren. Als solche sind sie Zeichen und auch Boten der Liebe, wie es im Hohelied heisst: «Deine Blicke sind Tauben» (1,15; 4,1; 5,12). Ist die Taube in Johannes 1,32 dann eine Liebesbotin Gottes für den geliebten Sohn?

Als Symboltiere des kriegerischen Aspekts der syrischen Göttin sind – oft reich geschmückte – Tauben auch Zeichen des Sieges und Botschafterinnen des Sieges. Das hat sich etwa in Psalm 68,12–14 niedergeschlagen, wo es heisst: «Die über uns gebietet, lässt ein Wort verbreiten – Freudenbotinnen in grosser Schar! 13 Heerkönige fliehen, ja, sie fliehen! Die Frauen zu Hause verteilen Beute. 14 Wollt ihr etwa zwischen Hürden liegen? Taubenflügel, bedeckt mit Silber, ihre Schwungfedern grüngelb mit Gold.» So gesehen würde die Taube Gottes Sieg in und durch Jesus ausdrücken. Den Sieg in der wahnsinnigen Niederlage des Kreuzestodes Jesu, der ja für Johannes schon durch die Anspielung auf den vierten Gottesknecht präsent ist.

Darüber hinaus kannte man in Ägypten Tauben auch bei der Inthronisation eines Königs. Das wiederum würde die Taufe Jesu als eine Art Inthronisation des Gottessohnes präsentieren.

Vielleicht muss man sich nicht für eine einzelne Taubensymbolik entscheiden. Vielleicht ist es sogar wichtiger, alle Bedeutungen von inniger Liebe, Siegesfreude und Inthronisation zu sehen.

An dieser Taube, dem Liebeszeichen und Siegeszeichen Gottes, erkennt Johannes der Täufer den Messias Jesus.

Noch ein letzter Hinweis. Die Taufe kommt im christlichen Alten Testament nicht vor. Trotzdem scheint hier ein Ritual sehr selbstverständlich innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Die hebräische Bibel kennt rituelle Tauchbäder, die der Reinigung des Körpers dienen. «Reinigung» ist dabei keine Schmutzbeseitigung. Reinheit ist in diesem Zusammenhang ein kultischer, ritueller Begriff, der jenen menschlichen (und dinglichen) Zustand bezeichnet, in dem man vor Gott stehen kann. Es ist der menschliche Normalzustand. Aber, so die Erfahrung der Menschen, es gibt Dinge im Leben, die eine/n so verändern, dass dieser Normalzustand der Reinheit nicht mehr gegeben ist, sondern durch ein Tauchbad wieder hergestellt werden muss. Solche Veränderungen sind durch körperliche Veränderungen wie Krankheiten, Berührung von Toten oder sexuelle Ausflüsse ebenso bedingt wie durch manche gravierenden Taten oder das Essen bestimmter tabuisierter Speisen. Die Idee der «Reinheit» macht Menschen sensibel dafür, dass es alltägliche Veränderungen und Einflüsse gibt, die unser Sein vor Gott beeinflussen. Dann braucht es eine Reinigung, eine Bewusstmachung oder Beseitigung dieser Veränderung, um wieder vor Gott treten zu können. So könnte auch die Taufe zu verstehen sein: Sie stellt als Zeichen der Umkehr bei Johannes einen Zustand her, in dem ein Mensch in seiner ganzen Person vor Gott treten kann.

Mit Johannes im Gespräch

Johannes ist von der Umkehr besessen. Sie ist Verwandlung auf vielen Ebenen. Da werden die Ohnmächtigen für die Mächtigen, die Unschuldigen für die Schuldigen zu Bildern, die Selbsteinsicht und damit Wandlung ermöglichen. Da wird das rituelle Baden, das Wiederherstellen der Reinheit zur Umkehr. Getauft zu sein ist der Zustand, in dem die Menschen so, wie sie sind, mit allen ihren Geschichten, vor Gott treten können. Taufe und Umkehr sind die Chancen und Zeichen der Menschen, die bereit sind, sich von Gott verwandeln zu lassen und ihre Schuld und unterdrückende Macht loszulassen.