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Die Magier aus dem Osten   

Simone Rosenkranz zum Evangelium am Fest Erscheinung des Herrn: Mt 2,1–12 SKZ 50-52/2010

Die eigentliche Geschichte von Jesu Geburt steht bei Matthäus weniger im Zentrum als bei Lukas. Richtig ins Erzählen kommt Matthäus erst im zweiten Kapitel mit dem Besuch der Magier aus dem Osten. Die spätere christliche Tradition hat aus den «Magiern», deren Zahl bei Matthäus nicht genannt wird, drei Könige gemacht. Mit «Magiern» sind ursprünglich Angehörige der persischen Priesterklasse, dann aber auch allgemein Astrologen oder Zauberer gemeint. Wohl wegen der drei kostbaren Geschenke, welche sie Jesus bringen, wurden sie später zu den drei Königen aus dem Morgenland. Anders als bei Lukas, wo die Hirten, also Menschen aus der nahen Umgebung, Jesus als Erste besuchen, sind die ersten Besucher des neugeborenen Jesus bei Matthäus Fremde, die von weither, wahrscheinlich aus dem Gebiet des heutigen Irak oder Iran zu Jesus kommen. An der Wiege des Jesuskindes kommt es damit zu einer Begegnung zwischen Osten und Westen!

«...was in den Schriften geschrieben steht»

Matthäus schildert uns die Geburtsgeschichte vor dem Hintergrund der hebräischen Bibel: Diese dient ihm als Bezugspunkt und Raster, in dem er den Bericht über Jesu Geburt verortet. Neben dem expliziten Erfüllungszitat aus Micha 5,1 gibt es in unserer kurzen Passage auch zahlreiche implizite Anspielungen auf das erste Testament:

Die ganze Erzählung über die Weisen aus dem Morgenland spielt auf die Bileamserzählung aus Num 22–24 an: Der König der Moabiter beauftragt Bileam, wie unsere Magier ein nichtisraelitischer Mann mit besonderen seherischen Fähigkeiten, Israel zu verfluchen, da dieses den Moabitern gefährlich wird. Doch Bileam erscheint wie den Magiern ein Engel, der ihm befiehlt, Israel zu segnen statt zu verfluchen. Bileam tut dies in Worten, die das Motiv des Sternes aufnehmen: «Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Schläfen der Moabiter und den Scheitel aller Söhne Sets» (Num 24,17). Dieser Stern wurde in der jüdischen Auslegungsgeschichte auf den Messias, in der christlichen auf Jesus hin gedeutet.

Die Passage über die Magier weist auch Assoziationen zur Geschichte von Jakob und Esau auf: Herodes war ein Idumäer und damit ein Nachkomme Esaus, der bekanntlich auch Edom genannt wird (Gen 36,1). Edom ist in der frühjüdischen und rabbinischen Literatur ein Sinnbild für Rom. Auch der von Rom eingesetzte Herodes repräsentiert im damaligen Palästina ja die römische Macht. Und es sind ausgerechnet die fremden Magier, die Matthäus mit Jakob vergleicht: Auf der Flucht vor seinem Bruder Esau erscheinen Jakob Engel im Traum (Gen 28,10–15) – wie auch den Magiern nach ihrem Besuch bei der Heiligen Familie ein Engel im Traum erscheint (Mt 2,12).

Parallelen gibt es auch zur Mosesgeschichte: Wie Moses wird Jesus von Herodes, einem Herrscher, der um seine eigene Macht fürchtet, bereits als Kind verfolgt. Im ersten Kapitel des Buches Exodus sollen zwar alle männlichen Kinder der Hebräer getötet werden, doch die spätere jüdische Auslegung hat diese Verfolgung auf Moses fokussiert. So berichtet der jüdische Historiker Flavius Josephus, dass Weissager dem Pharao die Prognose machten, ein hebräisches Kind werde ihm die Königsherrschaft streitig machen. Der Pharao ordnet daraufhin die Tötung aller männlichen Kinder der Israeliten an (Antiquitates 2,205–206).

Matthäus’ Geburtsbericht wird in der modernen Exegese immer wieder als androzentrisch bezeichnet:1 Die Genealogie sowie die Schwangerschaft Marias werden bei Matthäus aus Josefs Persepktive erzählt. Doch Frauen stehen durchaus auch im Blickpunkt des Evangelisten – wenn auch vielleicht erst auf den zweiten oder dritten Blick: So gesellt sich zu den drei Königen auf dem Hintergrund einer Lektüre der hebräischen Bibel nämlich eine vierte Person, und zwar eine Königin: Der Besuch der Königin von Saba bei König Salomo (1 Reg 10,1–13) weist zahlreiche Parallelen zu den Weisen aus dem Osten auf: Wie diese kommt die Königin aus einem fernen Land, wie diese nimmt sie Reisestrapazen auf sich, um einem König zu huldigen. Ihre Geschenke, Gold und Spezereien, erinnern an die Geschenke der Weisen, und wie diese kehrt sie nach erfüllter Mission in ihre Heimat zurück. Die christliche Kunst hat später die Königin von Saba und die drei Weisen typologisch einander gegenübergestellt. Und wie einer der drei Magier wurde die Königin von Saba als Schwarze dargestellt. Das Motiv der Königin wird auch in Jes 60,6 aufgenommen, wo Zions zukünftige Herrlichkeit geschildert wird: «Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken (…). Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen.» Diese Vorstellungen haben möglicherweise auch die späteren christlichen Vorstellungen der drei Könige beeinflusst.

Matthäus führt uns durch seine Anspielungen auf Jakob, Salomon und Moses zu einer zusätzlichen Bedeutungsebene: Obwohl Jesus in armselige und dubiose familiäre Umstände hineingeboren wird, hat Gott mit diesem Kind Grosses vor. Und – so könnte man vielleicht ergänzen – nicht nur die Geburt des Jesuskindes, sondern die Geburt eines jeden Kindes ruft dazu auf, das Wunder des neuen Lebens zu sehen und seine Entfaltung zu ermöglichen.

Mit Matthäus im Gespräch

Doch welche Rolle spielen dabei nun diese fremden Orientalen, die Jesus als Erste besuchen? Diese Fremden kommen nicht nur von weither, sondern schöpfen ihr Wissen auch aus fremden und – vor dem Hintergrund der Bibel (z. B. Dtn 18,10) – etwas suspekten Quellen: Sie stützen sich auf die Beobachtung und Deutung der Natur, nicht auf Offenbarungen oder tradierte Schriften wie Israel. Die Magier werden dennoch – das zeigt die Verortung in der hebräischen Bibel – nicht nur mit Fremden wie Bileam, der Königin von Saba oder den Wahrsagern des Pharaos in Verbindung gebracht, sondern auch mit Jakob, d. h. mit Israel. Der jüdische und der christliche Gott offenbart sich auch Fremden, und es ist durchaus in Gottes Plan, dass Juden und Christen von ihnen lernen. Die spätere christliche Interpretation hat den Magiern sicher Unrecht getan indem sie sie zu Konvertiten gemacht hat: Die Magier bleiben, was sie sind, und kehren in ihre Heimat zurück.

Und tatsächlich gibt es von den Magiern einiges zu lernen: Da ist zunächst ihre Neugierde und ihre Entschlossenheit, einen langen Weg mit unsicherem Ziel auf sich zu nehmen. Da ist aber auch ihr Mut, in einer politisch aufgeheizten Situation einem mächtigen Herrscher eine höchst undiplomatische Frage zu stellen, diejenige nach einem eben geborenen Rivalen nämlich. Und da ist schliesslich auch ihre Offenheit Neuem gegenüber: Als ihr traditionelles Wissen nicht mehr ausreicht, als sie in Jerusalem nicht mehr weiter wissen, suchen sie neue Wege, fragen sich durch und hören im Traum auch auf unbekannte Stimmen.

1 Zu einer Übersicht siehe z. B. Bernard P. Robinson: Matthew’s Nativity Stories: Historical and Theological Questions for Today’s Readers, in: Jeremy Corley (ed.): New Perspectives on the Nativity. London 2009, 110–131.