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Heilige Familie   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am Fest der Hl. Familie: Mt 2,13–15.19–23 SKZ 50-52/2010

So viel ist sicher: Maria trug keine Appenzeller Tracht und das Jesuskind kein Sennechitteli, als Josef auf Geheiss des Engels in der Nacht aufstand, um mit ihnen nach Ägypten zu fliehen. Genauso wenig ist von einer Familie im heutigen Sinne die Rede. Das Fest der Heiligen Familie wurde von Papst Benedikt XV. 1920 für die ganze katholische Kirche verbindlich festgelegt. Es ist ein sogenanntes Ideenfest, bei dem – wie der Name besagt – eine theologische Idee im Mittelpunkt steht. Solche Feste sind daher als Spiegel ihrer Zeit zu lesen. Das besagt nichts Negatives über den Inhalt des Festes. Es mahnt jedoch zur Vorsicht. Denn die Familie in ihrer soziologischen Gestalt hat verschiedenste Ausprägungen. Man kann nicht einfach eine bestimmte Form idealisieren – und vor allem sollte das Konstrukt der Heiligen Familie – Vater, Mutter, Kind – nicht dazu gebraucht werden, diese eine Form als die richtige, beste und einzig wahre zu bezeichnen. Dazu fehlen schon die Voraussetzungen. Josef ist nicht der leibliche Vater des Kindes. Er braucht die Erscheinung eines Engels im Traum, der ihm den Sachverhalt erklärt. (Den Personen, die darüber zu predigen haben, sei daher dringend empfohlen, die ersten drei Kapitel des Matthäusevangliums zu lesen, wie ihnen auch empfohlen sei, als Evangelium 2,13–23 zu lesen und nicht, wie von der Perikopenordnung vorgesehen, den Kindermord von Bethlehem auszulassen. Wer findet, dass die Länge den Kirchbesuchern nicht zuzumuten sei, dem sei geraten, sich bei der Predigt kürzer zu fassen.)

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Die Erzählung von der Flucht nach Ägypten (Verse 13–15) ist parallel gestaltet wie die Rückkehr aus Ägypten (Verse 19–22). Dazwischen ist die Erzählung vom Kindermord des Herodes (Verse 16–18). Alle drei Erzählungen werden abgeschlossen mit einem Erfüllungszitat. Es gehört essentiell zur Person des Josef, dass er träumt und dass diese Träume entscheidend werden für die Geschichte des Volkes Israel. Dies gilt sowohl für den Josef der Josefsgeschichte (Gen 37; 39–48) wie auch für den Josef, von dem im Neuen Testament die Rede ist. So wie Gott die Geschichte Josefs und seiner Brüder lenkt, lenkt er auch die Geschichte von Josef und den Seinen und erweist sich darin als Gott mit uns. Dies wird insbesondere deutlich aus dem Hosea-Zitat: «Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen» (V. 15; Hos 11,1). Bei Hosea geht es darum, dass Gott das von ihm geliebte Israel aus Ägypten ruft. Matthäus aber wechselt die Szenerie: Jesus ist ja in Bethlehem und nicht in Ägypten. Das Zitat macht nur Sinn, wenn Gott in Ägypten ist und von hier aus ruft. Wenn es um die Erlösung geht, wechselt Gott den Ort. Er kann nicht in Bethlehem sein, weil Mord und Totschlag seine Anwesenheit vertreiben. Aber auch Ägypten ist nicht ein unbeschriebenes Blatt. Die Geschichte der Versklavung der Israeliten wie auch der Befreiung aus der Knechtschaft ist tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Deshalb ist Ägypten nicht Bleibe, sondern nur Durchgangsort. Auf diese Art wird der vom Tode bedrohte Jesus zu einer Gestalt wie Mose, auch wenn ein genauer Vergleich viele Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten ans Tageslicht bringt. Entscheidend ist die Geschichte des Exodus als ganze. Sie lenkt das Verständnis in eine ganz bestimmte Richtung. Herodes, der wie Pharao um seine Herrschaft fürchtet und deshalb die Kinder seines eigenen Volkes (in diesem Punkt überbietet er die Gottlosigkeit des Pharao, der «nur» die Kinder eines fremden Volkes) abschlachtet, kann den «neugeborenen König der Juden» nicht ermorden. Sein auf kluger Berechnung beruhender und mit brachialer Gewalt durchgesetzter Plan scheitert an der rettenden Anwesenheit Gottes. Matthäus weiss sich in diesem Punkt einig mit der jüdischen Tradition. Sie umschreibt diese rettende Anwesenheit Gottes in seinem Volke mit der Gottesbezeichnung Schekhina. Schekhina ist Gott nur zusammen mit seinem Volk, also nicht einfach als Gott an sich. Dabei mag es uns Neuzeitliche stören, dass Gott den Mord an den anderen Kindern nicht verhindert. Dagegen aber schreibt die Geschichte gerade an: Es ist die Tatsache, dass Kinder um der Erhaltung der Macht wegen damals wie heute gemordet werden. Es geht um die Überwindung dieses Bösen und Gewalttätigen, das Menschen in seine totale Abhängigkeit bringt und sie versklavt. Wie gottlos dieses Tun ist, zeigt sich darin, dass Gott – metaphorisch gesprochen – seinen Ort gewechselt hat und «aus Ägypten» seinen Sohn ruft.

Mit Matthäus im Gespräch

Es ist indes so: Gott könnte noch so lange rufen, es nützt nichts, wenn da nicht einer, nicht eine ist, die ihn hört. Josef wird daher als gehorsam umschrieben. Kaum hat er die Botschaft im Traum gehört, steht er auf und tut, was zu tun ist. Über die Person des Josef, biographische Daten und charakterliche Eigenheiten, lässt uns die Bibel im Dunkeln. Sein Gehorsam ist entscheidend. Im Unterschied zu Herodes, dem es um seine Herrschaft geht und der deshalb auch nicht davor zurückschreckte, seine eigenen Kinder zu morden, ist Josef derjenige, der will, dass das Kind lebt. Das ist keineswegs natürlich und selbstverständlich. Josef brauchte, um dies zu erkennen, intensiven Nachhilfeunterricht. Es sind die Träume. Denn wie nahe muss einem eine Sache gehen, dass sie einen im Traum noch beschäftigt. Es ist nicht leicht, wenn die Verlobte ohne sein Zutun schwanger wird. Und kaum hat er sich damit abgefunden, ist er zur Flucht um das Leben dieses Kindes willen gezwungen. Dauernd wird er in Geschichten, für die er nichts kann, die aber sein Leben tiefgreifend verändern, hineingezogen. Auf all dies hätte Josef auch ganz anders reagieren können. Hätte er seine ursprünglichen Pläne durchgesetzt, hätte er Maria verlassen und sie damit der Schande preisgegeben. Aber er hat gelernt, dass auch ihr Leben durchkreuzt worden ist, dass auch ihr Leben nicht so kam, wie sie es sich vermutlich gedacht hatte.

Also eine ziemlich komplizierte Familie! Aber das scheint Matthäus weniger zu kümmern. Er hatte beim Niederschreiben der Geschichte ja auch nicht ein Fest der Heiligen Familie im Hinterkopf. Und doch sagen diese drei Erzählungen sehr wohl etwas über die Familie aus, wenn sie im Lichte jener Erzählung gelesen werden, wo seine Mutter und seine Brüder mit Jesus sprechen wollen. Sie sind draussen. Er ist im Haus. Jesus fragt: «Wer ist meine Mutter, wer sind meine Brüder? Und er streckte die Hand über seine Jünger aus und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter» (Mt 12,49 f.). Es fällt auf, dass vom irdischen Vater nicht die Rede ist. Gesprochen wird nur von Mutter und Geschwistern und vom himmlischen Vater. Kann es sein, dass der himmlische Vater zu schnell mit dem irdischen verwechselt wird – nicht nur in einer patriarchalen Gesellschaft – und dass er deshalb fehlt? So viel ist sicher: Nach dieser Auffassung ist Familie kein biologischer Verband. Familie, wahre Geschwisterlichkeit konstituiert sich im Tun des Willens Gottes. Dafür ist Josef ein leuchtendes Beispiel. Als nicht leiblicher Vater des Kindes setzt er sich für das Leben dieses Kindes ein und erfüllt Gottes Willen. Dieses Tun des Willens Gottes macht die Familie aus. Sie selbst soll nicht zu einem Korsett werden, in das jemand gezwungen wird. Vielmehr sollen ihre Bande so sein, dass sie ein Leben in Freiheit ermöglichen. Das hat Josef exemplarisch gezeigt, wohingegen an Herodes und seinem Nachfolger Archelaos überaus klar wird, was es heisst, dass die Durchsetzung nur eigener Machtinteressen gottlos ist und den Tod zur Folge hat. Die Sünde der Väter frisst die eigenen Kinder.