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Dieter Bauer zum Evangelium am 3. Adventssonntag: Matthäus 11,2–11 (11,2–15), SKZ 48/2010

Sämtliche Evangelien des Neuen Testaments erzählen davon, dass das erste öffentliche Auftreten Jesu in Zusammenhang mit Johannes dem Täufer und seiner Verkündigung gestanden habe. Aus antiken Quellen (z.B. Josephus Flavius) ist bekannt, dass nicht nur Jesus von Nazaret, sondern auch Johannes der Täufer eine Bewegung von Jüngerinnen und Jüngern ausgelöst hat, die auch nach seinem Tod weiterbestand. Eine Verhältnisbestimmung zwischen diesen beiden Propheten war also nicht nur Thema während ihrer Lebenszeit, sondern auch noch in frühchristlicher Zeit. Doch auch für uns heute ist es nicht unerheblich, wie wir zu Johannes dem Täufer stehen, wirft doch seine Person ein entscheidendes Licht auf Jesus, den Messias, den Christus.

Anmerkung: Leider ist die Perikopenauswahl sehr unglücklich geraten. Der Bogen des Matthäusevangeliums führt mit dem Thema «Johannes der Täufer und der Messias» von 11,2–11,19 und ist klar in drei Abschnitte gegliedert (2,2–6.7–15.16–19). Man könnte sich in der Texterklärung auf die Verse 2–6 konzentrieren. Wenn man den Evangelientext aber nicht kürzen möchte, ist es angebracht, bis zum volltönenden Abschluss in V. 15 zu lesen: «Wer Ohren hat, der höre!»

«…was in den Schriften geschrieben steht»

Ausgangspunkt unseres Textes ist der gefangene Johannes der Täufer, der im Gefängnis von den Taten «Christi» hört. Für Matthäus ist von Anfang an (1,1) klar, dass Jesus der Christus ist, der Messias Israels. Für den Zeitgenossen Johannes war das nicht so. Obwohl er von den Taten Jesu hört, ist er skeptisch und lässt fragen: «Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?» (11,3).

Die Antwort Jesu ist indirekt. In der Aufnahme von Worten aus dem Buch Jesaja (Jes 26,19; 29,18; 35,5–6; 61,1) beschreibt er seine Taten, von denen die Leserinnen und Leser des Matthäusevangeliums in den vorangehenden Kapiteln bereits gelesen haben: die Heilung von zwei Blinden (9,27–31), eines Taubstummen (9,32 f.), einiger Gelähmter (4,24; 8,6–13; 9,2–7) und eines Aussätzigen (8,2–3). Auch eine Auferweckungsgeschichte wurde bereits erzählt (9,18–25). Und die bevorzugte Verkündigung des Evangeliums an die Armen hatte bereits in den Seligpreisungen der Bergpredigt ihren Ausgangspunkt gefunden (5,3–12). All dies zeigt Jesus von Nazaret ganz in der Linie der von den Propheten erwarteten Heilszeit (s.o.). Dass diese Erwartungen zur Zeit Jesu sehr virulent waren, zeigt auch ein messianischer Text aus Qumran: «Der Himmel und die Erde werden auf seinen Messias hören. (…) Über den Armen wird sein Geist rütteln, und die Treuen erneuert er durch seine Kraft. (…) Er befreit die Gefangenen, er öffnet die Augen der Blinden, er richtet die Gebeugten auf. Und wunderbare Dinge, die nicht geschehen sind, wird der Herr tun, wie er geredet hat. Dann wird er Erschlagene heilen, und Tote wird er lebendig machen. Armen wird er frohe Botschaft verkünden» (4Q521).

Dieser Umbruch allerdings wird nicht friedlich geschehen. Auch darauf macht Jesus gleich aufmerksam: «Selig ist, wer an mir keinen Anstoss nimmt» (Mt 11,6; vgl. auch den «Stürmerspruch» Mt 11,12). Johannes sitzt bereits im Gefängnis. Und Jesus wird am Kreuz sterben.

Wenn aber Jesus der erwartete Messias sein sollte, wer war dann Johannes? In mehreren rhetorischen Fragen ruft der matthäische Jesus die Erwartungen der Leute ab, die zu Johannes in die Wüste gepilgert sind: «Was habt ihr denn sehen wollen …?» Ob ihre Erwartungen erfüllt worden sind, erfahren wir nicht. Aber dass Johannes alle Erwartungen übersteigt, ist für Jesus eindeutig: «Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. Er ist der, von dem es in der Schrift heisst: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen» (V. 9 f.).

Hier wird Johannes zum Wegbereiter des Messias erklärt: mit einer Kombination aus zwei Schriftworten. Spricht Exodus 23,20 von dem Boten, welcher Israel auf dem Weg ins Gelobte Land vorangeht, so ist im letzten Kapitel des Prophetenbuches Maleachi (Mal 3,1) von dem Boten die Rede, der den «Tag des Herrn» ankündigt. Die Deutung des Boten auf den Wegbereiter des Messias war im Prophetenbuch Maleachi ebenfalls bereits angelegt, wo dieser Bote am Ende mit Elija identifiziert wurde: «Bevor aber der Tag des Herrn kommt, der grosse und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht kommen und das Land dem Untergang weihen muss» (3,23 f.).

Auch Johannes hat von diesem drohenden Gericht gesprochen: «Ihr Schlangenbrut, wer hat euch beigebracht, dem kommenden Zorn zu entfliehen …» (Mt 3,7). Und er hat die «Feuertaufe» angekündigt: «Ich taufe euch nur mit Wasser (zum Zeichen) der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen» (3,11). Von daher passt die Verkündigung Johannes des Täufers gut zu der des «feurigen» Elija (vgl. die «Feuerprobe» auf dem Karmel oder die feurige «Himmelfahrt»; 1 Kön 18; 2 Kön 2,11 ff.). Und der matthäische Jesus bestätigt dies auch ausdrücklich: «Wenn ihr es gelten lassen wollt: Ja, er ist Elija, der wiederkommen soll. Wer Ohren hat, der höre!» (Mt 11,14 f.).

Mit Matthäus im Gespräch

Es ist sicher kein Zufall, dass in unserer Perikope viel von verschiedenen Erwartungen die Rede ist. Und von daher passt sie natürlich hervorragend in die Adventszeit. Andererseits werden aber auch Erwartungen enttäuscht. Oder sie werden abgefragt und dann korrigiert. Jesus weigert sich nämlich, eine einfache und klare Antwort auf die Frage zu geben, ob er der Messias sei.

Wir Christen vergessen oft allzu schnell, dass gerade unser Bekenntnis zu Jesus als dem «Christus» immer einer Präzisierung bedarf: Was genau meinen wir, wenn wir vom Messias sprechen? Meint irgendjemand von uns ernsthaft, dass die messianische Zeit angebrochen sei? Wo sind sie denn, die Blinden, die wieder sehen, die Lahmen, die wieder gehen, die Aussätzigen, die wieder rein werden? Wo wird denn den Armen dieser Welt das Evangelium so verkündet, dass sie nicht weiter arm bleiben müssen?

Gerade im Gespräch mit dem Judentum, das nach wie vor auf den Messias wartet, ist dies der Stachel: Diese Welt müsste eine andere sein, nachdem der Messias gekommen ist!

Dieser «Stachel» aber ist bereits bei Matthäus angelegt, wenn Jesus auf die indirekte Frage, ob er denn nun der Messias sei, ganz lapidar auf die Schrift, speziell die Hoffnungen des Jesajabuches verweist, «denn bis hin zu Johannes haben alle Propheten und das Gesetz (über diese Dinge) geweissagt» (11,13).

Heisst das nicht letztlich, dass es darauf ankommt, wie diese Frage zu beantworten sei? Dass sie nicht nur zur Zeit Jesu nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten war, sondern auch heute? Ob Jesus der Christus ist, ob er der Messias für diese Welt sein kann, liegt letztlich an den Christen!