Wir beraten

Hilf dir selbst! – So hilft dir Gott?   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium am Christkönigssonntag: Lk 23,35–43 SKZ 45/2010

«... was in den Schriften steht»

Begeben wir uns vorerst in die von Lukas dem Volk zugedachte Rolle des Zuschauens, was bei der Kreuzigung Jesu geschieht (Lk 23,35a). Zunächst fällt auf, dass Jesus dreimal aufgefordert wird, sich selbst zu retten, von ganz verschiedener Seite, mit unterschiedlicher Begründung.

Als Erstes wird er verhöhnt von den Führenden, den archontes. Vom Begriff her, da ursprünglich aus dem militärischen Wortgebrauch, könnten sie den Soldaten als deren Vorgesetzte und damit der römisch-heidnischen Macht zugehören. In der Folgeperikope ist es denn auch ein hekatont-arche, der Führer einer Hundertschaft, der Jesus als einen Gerechten erkennt (Lk 23,47) – weil er sieht (idon), während die Massen zuschauen (theoresantes; Lk 23,48). Allerdings sprechen die Führenden vom Christus, vom Auserwählten Gottes, was nahelegt, dass sie doch eher der jüdischen Oberschicht angehören.

Durch die Soldaten sind dennoch die Römer und damit die – Mittelschicht der – Heiden im Chor der Spötter vertreten. Durch ihren Spott: «Bist du der König der Juden, so rette dich selbst!» teilen sie gleich auf zwei Seiten aus, gegen Jesus als Person und gegen die Juden als aufmüpfige Besiegte.

Schliesslich lästert einer, der sich in der – fast – gleichen Situation wie Jesus befindet, einer, der mit oder eher neben ihm gekreuzigt wird, ganz unten angekommen ist und aus dieser Situation den Anspruch erweitert: «Rette dich selbst – und uns.»

Bereits in 4,23 lässt Lukas Jesus den Spott, der ihn jetzt trifft, vorwegnehmen, wenn auch mit einem anderen Verb: «Ihr werdet freilich zu mir sagen dies Sprichwort: Arzt, hilf dir selber! Denn wie grosse Dinge haben wir gehört  …» Diese Logik nehmen die Führenden zunächst auf: «Er hat anderen geholfen; er helfe sich selber», um sie dann zur Beweislast umzumünzen: «Er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.» Ähnlich lesen wir in Ps 22,9: «Er klage es dem Herrn, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.» Während es nun durchaus einsichtig ist, dass von einem Arzt erwartet wird, dass er auch für sich selbst Mittel und Therapien zur Genesung kennt und anwendet, bedarf es doch schon einer theologischen bzw. christologischen Umdeutung, dass der Erwählte Gottes sich selbst – und nicht Gott ihn – retten soll, um sich als Christus auszuweisen. Geradezu verwirrend ist die Haltung der Soldaten, die anscheinend von einem König erwarten, dass er sich selbst rettet, statt für sein Volk einzustehen, und koste es ihn das Leben.

Der Versuchung, sich als der Gesalbte zu beweisen, wurde Jesus schon vor oder zu Beginn seines Wirkens ausgesetzt (Lk 4,3–13), wobei hier der Verleumder (diabolos) sozusagen stellvertretend alle drei Varianten der Versuchung übernimmt – dass Jesus sich selbst hilft, alle Macht vom Teufel verliehen bekommt oder Gott herausfordert, ihn vor dem Tod zu bewahren –, um schliesslich «eine Zeit lang» von ihm abzulassen (Lk 4,13). Während Jesus diese ersten an ihn herangetragenen Herausforderungen selber abwehrt, reagiert er am Ende seines irdischen Wirkens nicht darauf, sondern wird nun seinerseits stellvertretend vom dritten Gekreuzigten verteidigt: «Dieser hat nichts Unrechtes getan.» Diese Feststellung findet ihren Wiederhall im Bekenntnis des Hauptmannes (Lk 23,47): «Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter» – und veranlasst Jesus, auf die Bitte des Leidensgenossen: «Erinnere dich meiner, wenn du in dein Königtum kommst» zu reagieren: «Heute wirst du mit mir im Paradies sein.»

Mit Lukas im Gespräch

Die Massen, nachdem sie das Schauspiel geschaut haben, schlagen sich zum Zeichen der Trauer und Zerknirschung an die Brust und wenden sich ab (Lk 23,48). Ja, was haben sie – wir – denn erwartet? Dass Jesus vom Kreuz oder Gott vom Himmel herabsteigt? Was anderes wäre denn eine passende Rettung gewesen? Oder nimmt ihnen gerade Jesu Antwort an den anderen Gekreuzigten die Hoffnung? «Heute wirst du mit mir im Paradies sein.» Eine blosse Vertröstung aufs Jenseits, wo sie doch dachten, mit Jesus sei das Reich Gottes gegenwärtig geworden?

Das im Neuen Testament überaus seltene und in den Evangelien nur an dieser Stelle verwendete Wort «Paradies» lässt uns zunächst an den Garten Eden, den schöpferischen Urzustand vor jeglicher Sünde und damit vor jeglichem Leid denken. Es beinhaltet Sehnsucht nach etwas Vergangenem, das in der Zukunft erhofft wird und in jedem Fall nicht der Gegenwart entspricht. Laut dem «Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament» ist Paradies ein Lehnwort aus dem Altiranischen, das bei seinem ersten Vorkommen im Griechischen zur Bezeichnung «der Parkanlagen der persischen Könige und Vornehmen» dient. In dieser Bedeutung ist Jesu Antwort keine Vertröstung. Der dritte Gekreuzigte fordert keinen Beweis, sondern spricht Jesus fraglos als König an. Entsprechend heisst ihn dieser in aller Selbstverständlichkeit in seinem königlichen Garten willkommen – und zwar heute. Jesus erweist sich als der Christus durch sein Selbstverständnis und seine sich daraus ergebende Zuwendung an die anderen, die Not leidenden Schwachen. Seine Legitimation kommt nicht daher, dass er sich selber rettet, sondern, wie die Führenden ohne Verstehen zu Anfang selber bemerken: «Andere hat er gerettet» (Lk 23,35). Und wie die Versuchungen (Lk 4,3–13) und die Kritik im Sprichwort «Arzt, hilf dir selbst!» (Lk 4,23) das Wirken Jesu rahmen, so ist auch die hier mit dem Verweis auf den königlichen Garten gegebene Antwort schon im ersten Teil des Lukasevangeliums vorweggenommen: «Da aber diese Männer zu ihm kamen, sprachen sie: Johannes der Täufer hat uns zu dir gesandt und lässt dir sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten? … Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und verkündiget Johannes, was ihr gesehen habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt» (Lk 7,20.22) bzw. «Er hat mich gesandt … zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn» (Lk 4,18 f.) und «Heute ist dies Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren» (Lk 4,21).