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Klein und reich (Lk 19,1–10)   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am 31. Sonntag im Jahreskreis: Lk 19,1–10 SKZ 42/2010

Zachäus gehört zu den bekannteren Gestalten des Neuen Testaments. Und es ist wirklich eindrücklich, wie dieser kleine, sehr reiche Oberzöllner auf einen Baum klettert, nur damit er sehen kann, wer dieser Jesus ist. Seltsam – wenn der Mann doch sehr reich ist, wieso macht man ihm nicht Platz? Weil er verhasst ist. Das lässt sich zwar nur indirekt aus der Empörung der Leute schliessen. Sie empören sich über Jesus, weil er bei einem Sünder eingekehrt ist. Das aber heisst noch lange nicht, dass Zachäus ein Sünder sein muss. Die Leute könnten auch einem Vorurteil aufsitzen, dass Zöllner schlechte Menschen sind. Aber längst nicht jeder Zöllner war ein schlechter Kerl. Oder aber stehen die Zöllner unter Generalverdacht als Kollaborateure mit den Römern? Das ist schon eher ein Vorurteil der neutestamentlichen Forschung.1 Oder ist jemand, nur weil er sehr reich ist, Sünder?

«… was in den Schriften geschrieben steht»
All diese Fragen beschäftigen Zachäus nicht. Vielmehr steigt er eilends vom Baum herunter und nimmt Jesus freudig bei sich auf, nachdem dieser stehen geblieben, nach oben geschaut und zu ihm gesagt hat: Los, komm herunter, denn heute muss ich in deinem Hause bleiben. Ohne von Jesus dazu aufgefordert zu werden, gibt er die Hälfte seines Vermögens den Armen und verspricht: «Wenn ich jemanden erpresst habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück» (V. 8). Er sagt also nicht, dass er jemanden erpresst hat, sondern nur falls er jemanden erpresst hat. Zachäus ist ein die Heiligen Schriften kennender Jude. Er weiss, dass man etwas Erpresstes vollständig zurückerstatten und erst noch ein Fünftel drauflegen muss (vgl. Lev 5,20–24). Er weiss auch, dass man für ein gestohlenes Schaf, das geschlachtet oder weiterverkauft wird, vierfachen Ersatz zu leisten hat (Ex 21,37). Er ist ein Tora-treuer, praktizierender Jude. Auch als Oberzöllner.

Mit Lukas im Gespräch
Lukas erzählt von einer gewollten Begegnung. Zachäus sucht Jesus zu sehen d. h. er will ihn unbedingt sehen. In diesem Sinne erfüllt sich, was Jesus in Lk 11,9 verkündet: «Sucht, und ihr werdet finden.» Dieser Wunsch lässt ihn Hindernisse überwinden. Auch wenn ihm die Menge die Sicht verstellt und er klein von Gestalt ist, Zachäus findet den Weg. Er weiss den Ort, an dem Jesus vorbeikommen muss. «Wer ist er?», das ist die Frage, die ihn beschäftigt, sehen will er, so wie die Hirten auf dem Felde das Wort, die Geschichte sehen wollen, die ihnen die Engel verkündet hatten (Lk 2,15). All das deutet darauf hin, dass es hier um etwas geht, das eminent mit der Person Jesu zusammenhängt. Die Aussage wird deshalb verkürzt, wenn sie einfach auf das allgemein Menschliche reduziert wird in dem Sinne, «dass der Mensch ein Wesen des Wunsches und der Suche ist».2 Nein, es geht um einen sehr reichen Oberzöllner und Jesus. Es geht um Hindernisse, die der Oberzöllner überwindet. Es kommt zu einer Begegnung, gewollt und dennoch unverhofft. Das hängt damit zusammen, dass Jesus an dem Ort vorbeikommt, mit dem Zachäus gerechnet hatte. Aber dass Jesus hinaufblickt, das ist unverhofft. Alle Bewegung, alle Unrast findet ein Ende in dem, was Jesus abschliessend sagt: Ich muss heute in deinem Hause bleiben. Das freilich löst Proteste aus, auf die es keine Reaktion gibt.

Jesu Bleiben dagegen löst etwas anderes aus: Stehend – also nicht auf dem Boden liegend, nicht kriechend, nicht kniend – sagt Zachäus zu Jesus, was er tun will. Er will die Hälfte seines Reichtums den Armen geben. Nur die Hälfte? Diese Frage mag sich aufdrängen, wenn die Geschichte vom reichen Jüngling mitbedacht wird. Von ihm fordert Jesus, alles zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben (Lk 18,18–27). Aber dort geht es um die Frage, wie man ewiges Leben erwerben kann. Jesu Antwort entspricht diesem Kontext. Das aber steht nicht im Fokus der Geschichte des Zachäus. Denn da ist einer, der von ganzem Herzen das Reich Gottes sucht. Er wird davon ergriffen. Wie geht er nun mit seinem Reichtum um? Die Antwort könnte lapidarer nicht ausfallen: Er teilt – und da, wo er gefehlt hat und schuldig geworden ist, erfüllt er das von der Tora Gebotene.

Zachäus3 ist ein Vorbild dafür, wie man mit Reichtum umgeht, wenn man sich um das Reich Gottes bemüht. Das wird umso klarer, wenn die nachfolgende Geschichte von den Talenten gelesen wird. Ich möchte dies nur kurz antönen. Es geht um einen Menschen vornehmer Herkunft, der ins Ausland geht, um die Königswürde zu erlangen. Er gibt zehn von seinen Dienern Geld und beauftragt sie, damit zu handeln. Alle vermehren dieses Geld mehr oder weniger erfolgreich ausser einem, der es aus Angst vor dem Herrn (der abhebt, was er nicht bezahlt hat, und der erntet, was er nicht gesät hat) in einem Tuch aufbewahrt. Bei der Rückkehr müssen die Diener Rechenschaft ablegen. Die Erfolgreichen erhalten ihren Lohn, der Versager jedoch wird bestraft. Und das Geld wird dem Erfolgreichsten gegeben, «denn wer hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch das noch weggenommen, was er hat» (Lk 19,26). Zwar wird dieses Gleichnis meist im spirituellen Sinn verstanden, dass man mit seinen Talenten wuchern müsste, und dementsprechend werden die einzelnen Züge interpretiert. Selten aber wird darauf hingewiesen, dass der Wucher mit den Talenten Tora-widrig ist. Nur derjenige, der nicht handelt und keine Zinsen nimmt, handelt gemäss der Tora. Aber er wird bestraft. Dieses Gleichnis zeigt auf, wie man es mit dem Reichtum auch machen kann und welch entsetzliche Folgen das hat: Denn was nimmt man von jemandem, der nichts hat, wenn nicht das nackte Leben.

Kehren wir zu Zachäus zurück, lesen wir die Geschichte auf diesem Hintergrund. Da geht es einmal darum, bestimmte Vorurteile zu brechen. Wenn der Oberzöllner Zachäus für die Leute ein Sünder gewesen ist, so offenbar deshalb, weil er reich war und der gehobenen Mittel- oder Oberschicht angehörte. Als Steuereintreiber stand er in verschiednen Spannungsfeldern und war verschiedensten Interessen ausgesetzt. Das konnte – musste aber nicht unbedingt – dazu führen, dass er erpresste oder andere krumme Dinge drehte. Es steht jedoch ausser Zweifel, dass es aufs Ganze gesehen in diesem Bereich viele Unregelmässigkeiten gab und dass man sich oft auch unrechtmässig bereicherte. Aus diesem Grund war die Berufsgattung verfemt. Deshalb trifft das Verdikt auch Zachäus. Dieses Vorurteil stellte Jesus in Frage. Ferner geht es darum, dass Zachäus das Reich Gottes sucht. Er setzt Prioritäten. Die Suche nach dem Reich Gottes zeichnet sein Leben. Durch die Begegnung mit Jesus wird ihm klar, dass dies auch sein Verhältnis zum Reichtum ändert und eine bestimmte Praxis erfordert. «Denn ich muss heute in deinem Hause bleiben, ich muss heute bei dir Gast sein. Zachäus nennt diesen Gast Kyrios. Dieser Kyrios ist Gegenwart (bleibend) da, wo die Hälfte des Vermögens den Armen gegeben wird. Und bleibend, weil Zachäus das Drängende dieses Müssens angenommen hat. Es gibt Zeitpunkte, die kann man nicht bestimmen, aber sie können für das ganze Leben bestimmend werden. Das ist Grund zur Freude. Auch Zachäus ist Abrahams Sohn. Er ist es nicht aufgrund der Abstammung – denn was kann man schon dafür –, sondern weil er sein Haus öffnete, den Gast, die Gäste aufnahm, so wie dies Abraham tat, und aus der Fülle der Begegnung heraus fähig wurde, seinen Reichtum zu teilen.

1 Vgl. Fritz Herrenbrück: Wer waren die «Zöllner», in: ZNW 72 (1981), 178–194; ders.: Jesus und die Zöllner, WUNT, 2. Reihe, Bd. 41, 1990; Michael Ernst: «… er war der oberste Zollpächter und er war sehr reich.» Das Zollwesen, in: Kuno Füssel / Franz Segbers (Hrsg): «… so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit.» Ein Arbeitsbuch zu Bibel und Ökonomie. Luzern 1995, 160–167.

2 Francois Bovon: Das Evangelium nach Lukas, EKK, 3. Teilband Lk 15,1–19,27, 2001.

3 Vgl. zum Folgenden: Kuno Füssel: Die ökonomischen Lehrstücke im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums, in: Max Küchler / Peter Reinl (Hrsg): Randfiguren in der Mitte, Hermann Josef Venetz zu Ehren. Luzern 2003, 333–343.