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Der Umgang mit Reichtum – keine einfache Sache   

Peter Zürn zum Evangelium am 18. Sonntag im Jahreskreis: Lk 12,13–21 SKZ 27-28/2010

Das Evangelium ist eine Vorlage für eine Predigt am 1. August zum Thema Reichtum und Habgier. Allerdings eine, die es sich und uns nicht einfach macht.

« … was in den Schriften geschrieben steht»

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern bezieht sich eng auf zwei alttestamentliche Texte. In Jesus Sirach 11,18–19 heisst es: «Mancher wird reich, weil er sich plagt, doch verwirkt er seinen Erwerb. Er sagt zwar zu gegebener Zeit: Ich habe Ruhe gefunden, nun will ich meine Güter geniessen. Aber er weiss nicht, wie lange es dauert; er hinterlässt sie anderen und stirbt.» Das Gleichnis nimmt diesen Text inhaltlich und formal – in der Gestaltung des inneren Monologs eines Reichen – auf. Der Kontext im Buch Sirach zeigt, dass auch die Sinnspitze identisch ist: Gott ist letztlich der Herr über Leben und Tod, Armut und Reichtum (Sir 11,14).
Es gibt weitere zeitgenössische Parallelen aus ganz unterschiedlichen Kontexten: den paganen hellenistischen Philosophen Dion Chrysostomos und Lukian von Samosata, dem apokalyptischen 1. Henochbuch (97,8–10) und dem gnostischen Thomasevangelium (EvThom 63).1 Lukas zeigt Jesus hier als einen Erzähler, der mitten im Strom der jüdischen und hellenistischen Weisheitslehren steht, was den kritischen Umgang mit Reichtum angeht, der Menschen dazu bringt, ihre wesentliche Begrenztheit zu vergessen.
«Iss und trink und freu dich des Lebens» (Lk 12,19). Das ist einem antiken Leser so vertraut wie uns heute bestimmte Werbesprüche. Entsprechende Inschriften finden sich auf Gräbern, d. h. als Ratschläge der Verstorbenen an die Hinterbliebenen und auf Trinkbechern. In der Bibel gibt es eher kritische Stimmen dazu. Jes 22,13 zitiert die Einwohner Jerusalems («lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot») und droht ihnen dafür das Gericht Gottes an. Auch Paulus reagiert in 1 Kor 15,32 kritisch auf die Lebensphilosophie des carpe diem. In der Bibel finden sich allerdings auch Verfechter, die Bücher Tobit (7,10) und v. a. Kohelet.2 «Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein … trag jederzeit frische Kleider und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt» heisst es in Koh 9,7 (mit Varianten in 2,24–26; 3,12–13; 3,33, 5,17–19). «Wenn Gott einem Menschen Reichtum gibt und lässt ihn davon essen und trinken … und fröhlich sein bei seinen Mühen, so ist das eine Gottesgabe» übersetzt Luther Koh 5,18.
Warum wird der Reiche, der nach dieser Lehre lebt, im Gleichnis so massiv kritisiert? «Du Narr», heisst es da – vermutlich auch mit Blick auf Kohelet. Das Gleichnis ist weitgehend ein Selbstgespräch des Reichen (explizit in 12,19). Er kreist allein um sich selbst. Er lebt als Monade. Sein Reichtum dient ihm zur völligen Autarkie und Beziehungslosigkeit. Das ist bei Kohelet ganz anders. Er nimmt die Welt genau wahr. Er leidet an den herrschenden Verhältnissen und mit den Opfern: der Wirtschaft, die nur entfremdende und versklavende Arbeit zulässt, der Politik, die das Unrecht an die Macht bringt und angesichts derer auch ein Machtwechsel hoffnungslos ist. Das gesamte System ist korrumpiert, leer und falsch, in Kohelets Worten: «Alles ist Windhauch».3 Kohelet geht über die scharfe gesellschaftliche Analyse aber noch hinaus. Er erlebt, dass der Tod sich als Komplize des Unrechts erweist, wenn er die Gerechten genauso behandelt wie die Ungerechten. Kohelet verwirft die weisheitliche Vorstellung, dass aus gutem Tun gutes Ergehen folgt, wie sie Sir 11,17 formuliert. Das ist angesichts der Welt, wie sie ist, eine naive Illusion, Windhauch. Was noch bleibt: «Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein.» Das ist keine Flucht aus der Welt. Damit werden die ungerechten Verhältnisse nicht gerechtfertigt. Kohelet sieht darin die einzige realistische Möglichkeit, das Leben zu bejahen und einen konkreten Ort für die Menschlichkeit zu schaffen, gerade angesichts der herrschenden Unmenschlichkeiten. Er ruft zu einem Genuss auf, der – trotz allem – den Anspruch lebendig erhält, in Gottes Schöpfung das Recht jedes Menschen zu sein. Elsa Tamez nennt die Haltung Kohelets eine «verborgene» bzw. «bescheidene Utopie».4 Sie ist im herrschenden System nur einigen wenigen Privilegierten möglich.

Mit Kohelet und Lukas im Gespräch

«Alles hat seine Zeit» heisst es in Koh 3. Alles. Also auch das Leben als Windhauch. Ein anderes Leben, eine andere Zeit, liegt aber in Gottes Händen und ist den Menschen nicht verfügbar. Gott bleibt für Kohelet ein unergründliches und mitunter abgründiges Geheimnis. Aber in der Beziehung zu ihm erkennt und würdigt sich Kohelet als Mensch in all seiner Begrenztheit. Aus der Beziehung zum Geheimnis Gott, die er Gottesfurcht nennt (Koh 12,13), erwächst keine Angst. Es erwächst ein «Fürchte dich nicht vor dem Leben!» – Das gleiche Vertrauen ins Leben, zu dem auch das Gleichnis vom reichen Kornbauern hinführt: «Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Wenn ihr nicht einmal etwas so Geringes könnt, warum macht ihr euch dann Sorgen um all das übrige?» (Lk 12,25 f.) Hier sind sich die beiden biblischen Traditionen einig.
Jesu Widerspruch gegen Kohelet hat wohl damit zu tun, dass seine Zuhörerschaft, die Volksmenge (Lk 12,13), gerade nicht aus den Privilegierten, sondern mehrheitlich aus den Verlierern des Systems besteht. Für sie müssen die Ratschläge eines Kohelet wie Hohn klingen. Sie stehen wahrscheinlich apokalyptischen Vorstellungen näher, die den radikalen Bruch mit den herrschenden Verhältnissen herbeisehnen. Allerdings überliefert Lukas keine apokalyptische Rede. Um das Jahr 90 sind die apokalyptischen Hoffnungen in der Katastrophe des Jahres 70 im wahrsten Sinn des Wortes verbrannt. Die messianische Bewegung ist pragmatischer geworden. Sie hat auch Wohlhabende angezogen. Die Perikope beginnt entsprechend mit der Bitte eines Einzelnen: «Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen.» Nicht alle aus der Volksmenge sind also mittellos. Lukas wendet sich an die Reichen in seinen Gemeinden und ruft sie zum Reichwerden vor Gott auf. Aber worin besteht diese andere Form von Reichtum? Etwa darin, dass die Reichen ihren Besitz als gemeinsames Erbe begreifen? Allerdings reagiert Jesus relativ unwirsch auf die Bitte, obwohl ihm damit eine Rolle zugewiesen wird, die Schriftgelehrte durchaus innehatten. Die Situation ist äusserst komplex. Lukas verschleiert die Widersprüche und offenen Fragen nicht.
Gibt es wenigstens eine Spur, die weiterführt? Das Schlüsselwort des Gesamttextes ist wohl «Habgier» in 12,15. Damit wird Jesus in die Tradition der prophetischen Kritik gestellt (Ez 22,27.33,31). Biblische Prophetie ist Aktualisierung der Tora. Ps 119,36 sieht die Weisungen der Tora als Alternative zur Habgier: «Deinen Vorschriften neige mein Herz zu, doch nicht der Habgier.» Dass sich Menschen in ihrer Begrenzheit erkennen und dem Leben vertrauen, ist viel. Es reicht aber nicht. Sie brauchen dafür auch einen verbindlichen sozialen Rahmen und Regeln, die die Solidarität fördern.

Peter Zürn, Theologe und Familienmann, ist Fachmitarbeiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks
in Zürich.

1 Kompendium der Gleichnisse Jesu, hrsg. von Ruben Zimmermann. Gütersloh 2007, 564–572.
2 Aktuelle Materialien: Bibel heute 1/2010 Was ist Glück? Das Buch Kohelet lesen. Zu bestellen zum Preis von 11 Franken unter www.bibelwerk.ch.
3 Elsa Tamez schlägt als Übersetzungsvariante für das hebräische Wort «haebel» statt Windhauch vor: Alles ist eine Schweinerei!» Oder auch: «Alles ist Sch...!» Elsa Tamez: «Da hasste ich das Leben». Eine Lektüre des Buches Kohelet». Luzern 2001, 15.
4 Ebd., 31 ff.