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Ihr werdet meine Gebote halten   

Ursula Rudnick zum Evangelium an Pfingsten: Johannes 14.15–16; 23b–26 SKZ 19/2010

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Im Johannesevangelium spricht Jesus in einer längeren Rede vom bevorstehenden Abschied von seinen Jüngern. Jesus spricht ihnen Mut zu, verheisst ihnen einen Tröster – den Heiligen Geist – und fordert sie auf, seine Gebote zu tun. Auf einzigartige Weise – so auch in den Worten für diesen Sonntag – ist im Johannesevangelium in gut biblischer und jüdischer Tradition Glaube mit dem Tun verknüpft.

«…was in den Schriften geschrieben steht»

«Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten» – so spricht Jesus zu seinen Jüngern, bevor er von ihnen Abschied nimmt (Joh 14.23). Diese Botschaft betont Johannes und spricht sie mehr als einmal aus. Die Antwort der Glaubenden erweist sich im Tun, sie zeigt sich im Leben, im Bezug zum Nächsten und zur Gemeinschaft.
Dies ist zugleich eine der zentralen Botschaften der Tora, die insbesondere im 5. Buch Mose entfaltet wird, der Abschiedsrede von Moses an die Israeliten kurz vor seinem Tod. Das Volk lagert jenseits des Jordan und hat das verheissene Land vor Augen, in das sie in Kürze einziehen werden. Moses muss Abschied nehmen. Mehr als 40 Jahre hatte er die Israeliten im Auftrag Gottes begleitet und geleitet. Unter seiner Führung waren sie aus Ägypten, dem Sklavenhaus ausgezogen, hatten karge Wüstenjahre erlebt, aber auch die Begegnung und den Bundesschluss mit Gott auf dem Sinai. Ein letztes Mal spricht Moses auf dem Berg Nebo zu dem Volk und impft ihm ein, Gott zu lieben und Gottes Gebote zu halten. «Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Du sollst den Herrn, deinen Gott lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft» – heisst es im wohl bekanntesten jüdischen Gebot, dem Höre Israel (Dtn 6.4 f.). Und etwas später: «Alle Gebote, die ich dir heute gebiete, sollt ihr halten, damit ihr lebt…» (Dtn 8.1).
Die Liebe zu Gott zeigt sich im Tun der Gebote. Sie antwortet auf die erfahrene Befreiung aus der Unterdrückung und ist Reaktion auf die Verheissung Gottes, sein Volk zu begleiten und ihm das Land Israel zu geben. Die Gebote dienen dem Leben und der Bewahrung der Freiheit.
Hatten die Israeliten die Herrlichkeit Gottes in der Befreiung aus Ägypten und in der Offenbarung am Sinai erlebt, so erfahren die Jünger Jesu die Herrlichkeit Gottes in ihrem Lehrer. Diese Erfahrung verweist sie auf Gott und so sagt der johanneische Jesus: «Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich geschickt hat» (Joh 12.44).
Im Angesicht des Abschieds von Jesus sind die Jünger ängstlich und verwirrt. Jesus zeigt ihnen den Weg in die Zukunft auf. Es ist der Weg der Nachfolge, der sich als ein Weg des Lebens in doppelter Hinsicht erweist: Es ist der Weg, der im Leben zu gehen ist, der das ganze Mensch-Sein umfasst, und es ist der Weg, der zum Leben führt. In den Versen, die zwischen denen liegen, die zum Sonntagsevangelium gehören, verheisst Jesus: «Ich lebe, und ihr sollt auch leben» (Joh 14.19).
Viermal wiederholt Jesus die Botschaft von der unauflöslichen Verbindung von Glaube, Liebe und Tun der Gebote:
«Wer an mich glaubt, der wird die Werke, die ich tue, auch tun …» (14.12).
«Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote tun» (14.15).
«Wer meine Gebote empfangen hat und sie hält, der ist’s, der mich liebt» (14.21).
«Wer mich liebt, der wird mein Wort halten …» (14.23).
Der Ausdruck «das Wort halten» – meint in diesem Zusammenhang das Tun der Gebote; denn die Worte sind nicht zu erinnern oder zu bewahren, sondern zu «halten» (In der jüdischen Tradition werden die 10 Gebote die 10 Worte genannt.).
Es gilt wechselseitig: Wer Jesus liebt, hält die Gebote; wer die Gebote hält, liebt Jesus. Im Tun zeigt sich, ob jemand zu Jesus gehört – oder nicht. Wer den Willen Jesu erfüllt, der erfüllt damit auch den Willen Gottes; Jesus verheisst seinen Jüngern die Zuwendung und Liebe Gottes und schliesslich: «Und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen» (Joh 14.23).
Dieses eindrückliche Bild führt zurück an den Anfang von Jesu Abschiedsrede. Dort spricht er davon, dass es bei Gott viele Wohnungen für seine Jünger gibt. Seine Worte verheissen eine himmlische, eine jenseitige Wohnstätte – hier wird der Blick auf die Erde gelenkt, auf die Jünger, die zur Wohnstätte der Herrlichkeit Gottes selber werden. Die Herrlichkeit oder anders formuliert, die Gegenwart Gottes, die die Jünger in Jesus erlebt haben, wird in ihnen selber wohnen. Welch eine Verheissung!
Biblische und rabbinische Tradition kennen den Zusammenhang zwischen der Gegenwart Gottes in seinem Volk und dem Tun der Gebote bzw. dem Schaffen von Gerechtigkeit. Klaus Wengst erläutert: «Gott hat seinen Ort in Israel so, dass er in einem seiner Heiligkeit entsprechenden Handeln Israels zum Zuge kommt.» Wengst illustriert dies mit einer rabbinischen Auslegung. Gott spricht zu Israel: «Und weil ihr mich erhöht durch das Rechtswesen, tue auch ich Gerechtigkeit und lasse meine Heiligkeit unter euch lagern. Woher? Denn es ist gesagt: ‹Und der heilige Gott wird geheiligt durch Gerechtigkeit› (Jes 5.15).»

Mit Johannes im Gespräch

«Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.» Wir können die Worte des Johannes als Botschaft nicht nur an die Jünger, sondern auch an uns, die heutige Gemeinde Jesu Christi hören. Glaube – im Sinne des Evangelisten Johannes – heisst, den Willen Gottes zu tun. Ob wir Christinnen und Christen nicht nur dem Namen nach sind, zeigt sich im Alltag, in unserem Verhalten als Gemeinde und als Einzelne. Es zeigt sich nicht allein darin, dass wir in die Kirche gehen und beten, sondern darin, wie wir unser Leben gestalten.
Wenn ich diesen Anspruch höre und auf die eigene Praxis und die unserer Kirchen schaue, dann sehe ich – sowohl in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart –, dass wir als Gemeinden und auch als Einzelne immer wieder hinter diesem Anspruch zurück bleiben, auch wenn es immer wieder Beispiele von Menschen gibt, die den Willen Gottes in ganz konkreter Weise tun.
In seiner Rede verheisst Jesus seinen Jüngern, einen Beistand: den «Geist der Wahrheit». Er wird den Jüngern Klarheit und Trost geben. Das Wirken des Geistes unter den Jüngern beschreibt Lukas in der Apostelgeschichte auf seine eigene, eindrückliche Weise. Die Bilder, die Lukas verwendet – das Brausen des Himmels und die Feuerzungen, die die Jünger plötzlich sehen –, führen oft dazu, dass mehr auf das wundersame Ereignis als auf das, was es bewirkt, geschaut wird: «Sie hielten fest an der Lehre der Apostel, an der Gemeinschaft, am Brotbrechen und am Gebet» (Lk. 2.42).
Der Evangelist Johannes erinnert uns an diesem Pfingstfest an die Bedeutung des Zusammenhangs von Heiligem Geist, Glaube und Tun. Der Heilige Geist trägt dazu bei, dass wir der Aufgabe, die Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern aufträgt, nachkommen können. Dies soll uns nicht Last, sondern Verheissung sein!

Prof. Dr. phil. Ursula Rudnick ist Studienleiterin und Geschäftsführerin von Begegnung – Christen und Juden Niedersachsen e.V. und lehrt an der Leibniz-Universität Hannover am Institut für Theologie und Religionswissenschaft.