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Winfried Bader zum Evangelium an Christi Himmelfahrt: Lk 24,46–53 SKZ 17/2010

«… was in den Schriften geschrieben steht»

«So steht es in der Schrift» beginnt die Evangelienlesung (Lk 24,46). Der Einstieg nimmt direkt das Anliegen dieser Auslegungsreihe auf, wie es jeweils in der ersten Zwischenüberschrift formuliert ist.
«Der Gesalbte (Messias / Christus) wird leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tag» (Lk 24,46). Das ist das Erste, was in der Schrift bewiesen sein soll. Das ganze Unverständnis über den Leidensweg Jesu, den die Jünger und Jüngerinnen miterlebt, dem sie aber keinen positiven Sinn geben konnten, wird angesprochen.
Die Schrift soll nun helfen, Denkmuster zu zeigen, in die das Geschehen eingeordnet werden kann.
Da ist der Gottesknecht aus Jesaja (Jes 52,13–53,12): «Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden» (Jes 53,3). Das ist die reale Situation nach der Jüngerflucht. «Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf» (Jes 52,7). Dies beschreibt den Kreuzweg. «Wie ein Lamm das man zum Schlachten führt» (Jes 52,7). Hier deutet sich zusammen mit der Opfertheologie, die damals im Schatten des Tempels jedem sofort als Parallele einfiel, eine erste Sinndeutung an. «Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt» (Jes 53,5). Die Schriftstellen geben dem Leiden des Gesalbten einen Sinn, helfen das offensichtlich Undenkbare denkbar zu machen. «Doch YHWH fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete ihn. Nachdem er so vieles ertrug, erblickte er das Licht» (Jes 53,10.11). Jetzt ist das noch Unfassbarere angesprochen, nach der Sinnlosigkeit des Leidens, die zunächst nur ein Scheitern zeigte, ist es die Bestätigung der Richtigkeit durch die Auferweckung. Das ist die Situation der Erzählung des Lukas. Der auferstandene Jesus versucht den Jüngerinnen und Jüngern zu erklären, was sie gerade erleben. «Seht, mein Knecht hat Erfolg, er wird gross sein und hoch erhaben» (Jes 52,13). Das ist der Vorblick auf die «Himmelfahrt». Während bei Johannes bereits am Kreuz die Erhöhung stattfindet und Jesus bestätigt wird als der erhabene König, sind es bei Lukas drei Schritte: das menschliche Sterben am Kreuz, die Überwindung des Todes in der Auferweckung und die endgültige Bestätigung durch die Erhöhung bei der Himmelfahrt, die auch in Psalmzitaten angedeutet ist. «So spricht YHWH zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten» (Ps 110,1).
Dieser Gedankengang, der den Jüngerinnen und Jüngern damals half, sich wieder zu sammeln, um dann kraftvoll zu wirken, ist bei Hosea durch eine Aussage des Volks Israel, das in Hos 11,1 von Gott als «Mein Sohn» angesprochen wird, zusammengefasst. «Kommt, wir kehren zu YHWH zurück. Er hat Wunden gerissen, er wird uns auch heilen, er hat verwundet, er wird auch verbinden. Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf, uns wir leben vor seinem Angesicht» (Hos 6,2). Leiden, Auferweckung und Erhöhung.
Auch beim Propheten Sacharja finden sich Sprachspiele, die dem Verständnis helfen. Es ist das aus der Palmsonntagserzählung bekannte Deutemuster von Jesus als erhöhtem König: «Jauchze, Tochter Jerusalem! sieh, dein König kommt zu dir» (Sach 9,9). Bei der Beschreibung der Endzeit (Sach 12–14) findet sich das Denkmuster für den Kreuzestod: «Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben» (Sach 12,10). Die reale Situation der jungen Christengemeinde in Verfolgung und Zerstreuung, die seit der Flucht der Jünger am Karfreitag eine Tatsache ist, wird als Erfüllung der Schrift verstanden: «Schlag den Hirten, dann werden sich die Schafe zerstreuen» (Sach 13,7).
«Seinen Namen wird man allen Völkern verkünden. Fangt an in Jerusalem» (Lk 24,47). Das Kreuz stand in Jerusalem. Nach der Tradition der Schrift wird beim Anbrechen der Heilszeit von hier aus die Botschaft des strahlenden Lichts an alle Völker gehen. «Aus Jerusalem kommt das Wort YHWHs. Hierhin strömen alle Völker» (Jes 2,3). Der Auftrag an die Jüngerinnen und Jünger ist zugleich Zeichen für die anbrechende Heilszeit.
«Siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheissen hat. Ihr sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit der Kraft aus der Höhe» (Lk 24,49). Lukas selbst deutet in seinem Pfingstbericht (Apg 2) diese Verheissung als Geistsendung. Auch dafür findet er Denkmuster in den ihm vorliegenden und seinen Leserinnen bekannten Schriften.
«Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt» (Ez 36,26–27). Der verheissene Geist wird persönlich Kraft geben. «Wenn aber der Geist aus der Höhe über euch ausgegossen wird, dann wird die Wüste zum Garten. In der Wüste wohnt das Recht» (Jes 32,15). Was die Jüngerinnen und Jünger erleben, ist also nicht irgendetwas, sondern es ist der Beginn der Heilszeit. «Ich giesse Wasser auf den dürstenden Boden, ich giesse meinen Geist über deine Nachkommen aus, und meinen Segen für deine Kinder» (Jes 44,3).
Der «Schriftbeweis» ist die Aufforderung an die Leserinnen des Lukas, nach Denkmustern in ihren heiligen Schriften zu suchen. Sie helfen zur kategorialen Erfassung des eigentlich Unfassbaren, helfen für das Unsagbare eine Sprache zu finden.

Mit Lukas im Gespräch

Und Lukas selbst? Mit dem nun zur Verfügung gestellten Material gestaltet er das Ende seiner Erzählung. Er knüpft an das Stichwort «Segen» aus dem letzten Jesajazitat an, und macht Segen zum Leitwort für seinen Schluss. Gleich drei Mal findet sich dieses Wort in den letzten vier Versen. Nach rabbinischer Auslegungsregel, wonach jedes Wort sehr wichtig ist, das zwei Mal in einem Text vorkommt, ist ein Wort das gar drei Mal vorkommt der Schlüssel zum Verständnis.
Segen heisst im Griechischen: eu-logein – Gutes sprechen, Frohes sagen. Jesus segnete die Jüngerinnen und Jünger (Lk 24,50), er spricht ihnen Gutes zu. «Und als er sie segnete, ging er von ihnen» (Lk 24,51). Das letzte, was Jesus macht, ist Frohes zu sagen – eu-logein. Was lässt er zurück – so die Eingangsfrage der Überlegungen? Gesegnete, Menschen denen Frohes gesagt wurde. Das ist natürlich die Zusammenfassung der Botschaft Jesu insgesamt, die als Frohe Botschaft, als eu-angelion bezeichnet wird. «Sie verkündeten das Evangelium und heilten alle Kranke» (Lk 9,6). Die Jüngerinnen und Jünger verstehen das, erleben dies, fühlen es. «Sie kehrten nach Jerusalem zurück in grosser Freude» (Lk 24,52). Freude ist die Grundhaltung, in der Jesus uns Menschen zurücklässt. Diese Freude erzählen sie weiter, nicht nur den Kranken. Sondern sie erzählen es vor allem Gott: «Sie priesen Gott» (Lk 24,53), wörtlich: sie segneten Gott. Hier steht das Wort eulogein zum dritten Mal. Sie sagen zu Gott Gutes und Frohes und geben ihm so seinen Segen zurück.