Wir beraten

Petrus taucht wieder auf   

Dieter Bauer zum Evangelium am 3. Sonntag der Osterzeit, Joh 21,1–14 SKZ 13-14/2010

«Und dann?» «Und dann?» So fragen Kinder, wenn man ihnen eine spannende Geschichte erzählt. Sie wollen nicht, dass sie schon aufhört. Und sie haben noch so viele Fragen, die bisher nicht beantwortet wurden.
So ähnlich stelle ich mir die Begründung für das sogenannte «Nachtragskapitel» im Johannesevangelium vor. Ein schönes Schlusswort war gefunden worden (20,30 f.) – aber noch längst nicht alle Fragen beantwortet: «Und dann?»
Ausnahmsweise möchte ich vorschlagen die Kurzform der Evangelienlesung zu wählen. Das sogenannte «Nachtragskapitel» zerfällt deutlich in zwei Teile (Joh 21,1–14.15–23). Da meistens eher über den zweiten Teil und die Petrusnachfolge gepredigt wird, lohnt sich auch einmal ein genauerer Blick auf die erste Einheit.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

«Danach», so beginnt Kapitel 21, «nach all dem» (griechisch: meta tauta). «Nach all dem» heisst zum Einen: nach zwei bereits erzählten Erscheinungen Jesu vor seinen Jüngern. Man darf also gespannt sein auf diese dritte (21,14).
«Nach all dem» könnte aber auch gemeint sein wie eine Zusammenfassung alles bisher Geschehenen, wie in den Abrahamserzählungen: «Nach all dem (LXX: meta ta remata tauta) stellte Gott Abraham auf die Probe» (Gen 22,1). Auch diese Geschichte hätte es nicht gegeben ohne die vielen vorher erzählten Verheissungen, die nun alle auf dem Spiel standen. Und auch sie schlägt den Bogen zurück ganz zum Anfang: «Geh!» (hebr. lek leka, Gen 12,1; 22,2).
«Es war am See von Tiberias …» Bevor in unserem Text Fragen beantwortet werden, tauchen zunächst einmal neue auf, zum Beispiel: Was tun die Jünger in Galiläa, nachdem ihnen Jesus bereits in Jerusalem erschienen war und sie ausgesandt hatte (Joh 20,19–23)? Damit hatte er doch sicher nicht gemeint, dass sie nach Hause gehen sollten! Auch im Johannesevangelium steht also einiges auf dem Spiel!
Und auch die Zusammensetzung dieser Jüngerschar ist sehr speziell: «Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus (Zwilling), Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern» (21,2). Es sind nicht die Zwölf, sondern nur sieben. Und nur drei davon werden mit Namen genannt: Simon Petrus wie auch Thomas, der Zweifler (20,24–29), und Natanaël, der ganz am Anfang des Evangeliums bereits ein Bekenntnis zum «Sohn Gottes» abgelegt hatte (1,49). Von den beiden Söhnen des Zebedäus dagegen hatte man im Johannesevangelium bisher noch nichts gehört. Dafür waren Jakobus und Johannes in den synoptischen Evangelien und in der frühen Kirche um so wichtiger (Paulus nennt sie, zusammen mit Petrus, «die Säulen»; Gal 2,9). Und ganz seltsam ist, dass zwei weitere Jünger namenlos bleiben. Erst im Fortgang der Erzählung erfahren wir, dass einer davon der «Lieblingsjünger» war (21,7). Er allerdings war bisher nur in Jerusalem aufgetaucht und will nicht so recht zu den galiläischen Fischern passen. Fragen über Fragen!
Alle miteinander gehen sie nun fischen – erfolglos. Dass sie nachts unterwegs waren, erfahren wir erst durch die folgende Zeitangabe: «Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.» Wie die beiden Jünger in der Emmauserzählung (Lk 24,16) oder Maria von Magdala am Grab (Joh 20,14) erkennen die Jünger auch hier den Auferstandenen nicht. Aber: Ohne die Lebenskraft der Auferstehung werden sie erfolglos und hungrig bleiben müssen: «Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.»
Der Auferstandene «erscheint», indem er ihnen einen Weg weist: «Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas fangen. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.» Das Zeichen wird erkannt – vom «Lieblingsjünger»: «Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr!» Und Petrus reagiert sofort, wenn auch etwas seltsam und ungestüm. Er «gürtete sich das Obergewand um, weil er nackt war». Nacktheit ist seit der Paradieseserzählung zur Schande geworden (Gen 3,7). Die eigene Bedürftigkeit dem «Herrn» gegenüber braucht ein «Feigenblatt». Und «er sprang in den See» – warum, wird nicht gesagt. Petrus taucht unter – und taucht so schnell auch nicht wieder auf.
«Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot (…) und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.» Obwohl sie Jesus vorher nach «etwas zu Essen» (wörtlich: Zubrot, Frühstück) gefragt hat, sind Fisch und Brot nun plötzlich schon da. Trotzdem sollen sie die gefangenen Fische herbringen.
Da taucht nun Petrus wieder auf «und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig grossen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.» Ohne Petrus kann die Geschichte nicht weitergehen. Er allein zieht das Netz an Land. Wie bei der Fusswaschungserzählung, wo er vom Wasser nicht genug bekommen konnte (Joh 13,9), so wirft er sich auch hier mit ganzer Kraft ins Geschäft. Er ist wieder da!
Doch auch seine Vergangenheit ist wieder da: das «Kohlenfeuer» im Hof des hohepriesterlichen Palastes (18,18), wo er Jesus dreimal verraten hat. Gut, dass er sein «Feigenblatt» anhat. Denn Jesus wird ihn genau auf diesen dreifachen Verrat ansprechen. Zuerst aber kommt das gemeinsame Mahl. Jesus hat nie Zugangsvoraussetzungen zu seinem Mahl aufgestellt, im Gegenteil – die sind erst späteren Datums.
Es bleibt eine Atmosphäre der Andacht und des Schweigens, wenn Jesus nun zum Mahl einlädt: «Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch.»
Erst nach dem gemeinsamen Mahl, nach der Erfahrung des lebendigen Auferstandenen, wird Petrus zu seiner Vergangenheit stehen können und seine Liebe zu Jesus beteuern. Alle sind sie wichtig, damit die Geschichte mit dem Auferstandenen weitergehen kann: die «Säulen»: Petrus, Jakobus und Johannes; der anfänglich skeptische Natanaël, der sich dann aber überzeugen liess, und der bis zum Schluss zweifelnde Thomas; natürlich auch der «Lieblingsjünger». Und der oder die siebte «Andere» – sind das vielleicht wir?

Lukas und Johannes im Gespräch

Auch wenn es sich nicht mit letzter Sicherheit beweisen lässt: Die Verfasser des Johannesevangeliums müssen das Lukasevangelium gekannt haben. Zu vieles klingt wie eine Variation oder Wiederaufnahme. Und geht man einmal davon aus, dass es so war, dann wird natürlich ein Vergleich der beiden Fischfanggeschichten bei Lukas und Johannes besonders spannend:
Die Lukaserzählung vom vergeblichen Fischfang (Lk 5,1–11) nennt ebenfalls die Zebedäussöhne als Teilhaber des Petrus. Und sie endet mit einer Verheissung an Simon: «Von nun an wirst du Menschen fangen». Stehen die 153 grossen Fische womöglich für die Vielzahl und Vielgestalt von Menschen, die es in dieser Nachfolgegemeinschaft Jesu braucht? Und dieses Mal «zerriss das Netz nicht» (Joh 21,11)! Niemand soll verloren gehen oder ist überflüssig! Nachdem Petrus wieder aufgetaucht ist, hat er seine Arbeit gut gemacht!

Dieter Bauer ist Zentralsekretär des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle in Zürich.