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Ratlosigkeit am Tage danach   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium am Ostermontag, Mt 28,8–15 SKZ 12/2010

Der Ostermontag stellt uns vor gewisse Schwierigkeiten. Um in den Alltag zurückzukehren, ist es zu früh. Doch ein richtiger Feiertag ist er auch nicht, denn die Festfreude des Ostersonntags, die Feier der Auferstehung, kann nicht überboten und nicht wiederholt werden. Was genau feiern wir also am Ostermontag? Haben doch diejenigen recht, die an diesem Tag ihren gewohnten Alltagsbeschäftigungen nachgehen? Oder sollten wir ihn nicht als Chance nutzen, uns neu zu orientieren, uns nach dem Schrecken der Kreuzigung, der Trauer um den toten Jesus und der Freude über die Auferstehung Christi zu fragen: Wie soll es jetzt weitergehen?

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Die Perikopen, die für diesen Tag als Evangelienlesung vorgeschlagen werden, lassen das Vakuum ebenso erspüren. Jesus begegnet zwar den Frauen, die vom Grab wegeilen, und sie erkennen ihn auch sogleich und verehren ihn, indem sie sich, seine Füsse erfassend, vor ihm niederwerfen. Doch Furcht und Freude erfüllte sie bereits vorher durch die Rede des Engels am Grab, und Jesu Botschaft ist lediglich eine Wiederholung des Auftrags, den ihnen der Engel bereits erteilte. Matthäus unterlässt es denn auch, eine weitere Reaktion der Frauen zu schildern. Fast könnte man meinen, es hätte der Bestätigung durch den «leibhaftig» auftretenden Christus nicht bedurft, um der Verkündigung der Botschaft und der Ausbreitung des Glaubens an den Auferstandenen Boden und Dynamik zu geben. Im Gegenteil gerät der Erzählfluss durch diese Begegnung, die eigentlich die Dramatik erhöhen sollte, eher ins Stocken.
Im Weiteren sind da die Wachtposten, die zuerst die gleiche Botschaft verkünden, die wahrscheinlich die Frauen zusätzlich zum Auftrag des Engels auch erzählt haben werden, nämlich was sie am Grab erlebt haben. Die Schilderung lässt annehmen, dass die Begegnung der Frauen mit Jesus weit genug weg von der Grabstätte stattgefunden hat, sodass die Wächter diese nicht miterlebt hatten und davon nicht zu berichten wussten. Durch Bestechung und die Zusage, vor allfälligen disziplinarischen Konsequenzen geschützt zu werden, sind sie bereit, ein Gerücht zu verbreiten, dass sich «ganz natürliche Dinge» zugetragen hätten, dass nämlich die Jünger/innen Jesu bei Nacht den Leichnam aus dem Grab gestohlen hätten. Dadurch wird jedoch nur das leere Grab erklärt. Der Glaube an die Auferweckung Jesu wird, genau genommen, nicht tangiert.

Mit Matthäus im Gespräch

Matthäus liegt, wie ich schon beim Fest der Epiphanie festgehalten habe, sehr daran, die Geschichte Jesu in die Geschichte Israels und insbesondere in die Verheissungen einzubinden. Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat (Mt 1,22; 2,5.15 usw.). Umso erstaunlicher erscheint, dass gerade die für die christliche Gemeinde zentrale Botschaft, dass Christus von den Toten auferweckt wurde, durch keinen Hinweis in den Schriften verankert wird. Zwar erinnert der Engel die Frauen daran, dass Jesus selbst seine Auferstehung am dritten Tag vorausgesagt hatte. Doch die oben erwähnte zu Anfang des Evangeliums so gern gesetzte Floskel bleibt hier aus. Aus der Situation der Gemeinde heraus betrachtet, scheint dieser Befund jedoch auch wieder nicht so überraschend. Durch die Auferstehung, die nicht durch die Schriften vorausgesagt wurde, erweist sich Jesus nur noch für die Christen und Christinnen als der von Gott Gesandte und Gesalbte, während er durch sein Leben und die Zeichen, die sein Leben begleiteten, eigentlich auch den Juden und Jüdinnen als Messias erkennbar hätte sein müssen.
Allerdings scheint Matthäus offenbar davon auszugehen, dass die Ereignisse am Grab und die Botschaft des Engels auch die Juden und Jüdinnen überzeugt hätten. Sie müssen erst durch ein Gerücht getäuscht werden. Überraschend dabei ist, dass die Hohepriester und die Ältesten die Wachen nicht bestochen haben, einfach das Grab wieder zu verschliessen und zu schweigen oder zu behaupten, es habe sich nichts ereignet. Wer hätte denn nachgesehen, ob es leer war, ausser vielleicht denjenigen, die ohnehin bereit waren zu glauben, dass Christus auferstanden war? Stattdessen zementieren sie durch die Behauptung, die Anhänger/innen Jesu hätten den Leichnam gestohlen, wie sie es ihnen schon vorwegnehmend unterstellt hatten (Mt 27,64), den Befund, dass das Grab am Ostermorgen leer war, und leisten so den Fragen Vorschub, wie das geschehen konnte.
Irritierend ist auch, dass die Wachen, die ja von Pilatus gestellt und also Römer oder römische Söldner waren, sich auf diesen Handel einliessen. War das Grab tatsächlich leer, so wäre es naheliegender, dass eher sie die Hohepriester und Ältesten um Schutz vor disziplinarischen Konsequenzen gebeten und als Gegenleistung versprochen hätten, nichts von den Geschehnissen zu berichten. Oder sie hätten selber auf die Idee kommen können, das Grab wieder zu verschliessen und zu melden, es habe sich nichts ereignet. Wieso sollten sie das Risiko, wegen Nachlässigkeit belangt zu werden, selber erhöhen, indem sie sich entgegen den Tatsachen durch das erwähnte Gerücht selbst bezichtigten? Was kümmerten sie die Glaubensstreitigkeiten der jüdischen Bevölkerung? Bis das Gerücht der Auferstehung bis zum Statthalter vorgedrungen und er vielleicht eine Kontrolle angeordnet hätte – wenn ihm denn die Angelegenheit dafür noch wichtig genug erschienen wäre –, wären wohl einige Tage verstrichen, sodass die Wachen immer noch hätten behaupten können, der Leichnam sei in diesem späteren Zeitraum gestohlen worden. Dann wäre das Grab einfach irgendwann leer gewesen und als solches kein Indiz für die Auferstehung am dritten Tag, wie es die Hohepriester und Pharisäer befürchtet hatten: Herr, wir erinnerten uns, dass jener Betrüger sprach, noch lebend: Nach drei Tagen werde ich erweckt. Befiehl also, dass gesichert werde das Grabmal bis zum dritten Tag (Mt 27,63 f.). Dadurch, dass sie die Wachen bestochen hatten, das Gerücht des gestohlenen Leichnams unverzüglich zu verbreiten – den Eindruck verstärkt Matthäus, indem er davon als Einschub berichtet und so suggeriert, es habe sich verbreitet, noch bevor die Frauen den Jüngern/Jüngerinnen die Frohbotschaft verkünden konnten –, halfen sie mit, die Auferstehung am dritten Tag in Erinnerung an Jesu Voraussage immerhin als eine mögliche Erklärung für das leere Grab zu etablieren.

Dr. Katharina Schmocker Steiner ist zurzeit in der Administration im Zürcher Lehrhaus – Judentum Christentum Islam tätig.