Wir beraten

Das leere Grab und die Auferweckung   

Ursula Rudnick zum Evangelium an Ostern am Tag: (Joh 20,1–9 oder) Lk 24,1–12 SKZ 12/2010

Die Geschichte des leeren Grabes kommt in jedem der vier Evangelien vor. Gemeinsam ist ihnen folgendes: Eine oder mehrere Frauen, die Jesus verbunden sind, gehen zu seinem Grab. Das Höhlengrab ist geöffnet, der Stein fortgerollt und auch der Leichnam Jesu verschwunden.
In der Ausgestaltung einzelner Aspekte unterscheiden sich die Geschichten sehr. Wer sind die Frauen? Ist es nur Maria Magdalena oder ist sie es in Begleitung von Johanna, Maria, und/oder Salome, nebst anderen Frauen? Ereignet sich ein Erdbeben mit einer göttlichen Erscheinung, als die Frauen zum Grab kommen? Verlassen die Frauen das Grab sofort wieder, nachdem sie entdeckt haben, dass der Leichnam Jesu fehlt oder begegnen sie dort jemandem? Und: Wem begegnen die Frauen im Grab? Ist es eine oder sind es zwei Personen? Ist es ein Mensch oder ein Engel? Welche Botschaft hören sie dort? Wie reagieren die Frauen? Behalten sie ihre Erfahrung und die Botschaft für sich oder geben sie sie weiter? Wie reagieren die Jünger auf die Botschaft? Jede Erzählung setzt ihren eigenen Akzent und deutet das Geschehen auf die je eigene Weise.

Was die Schriften sagen

Lukas beginnt seine Erzählung damit, dass er «die Frauen» mit Spezereien zum Grab gehen lässt. Später erfahren die Leserinnen und Leser, dass es sich bei den Frauen um Maria Magdalena, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus, sowie um weitere Frauen handelt. Über deren Zahl und Identität schweigt Lukas. Als die Frauen ins Grab eintreten und feststellen, dass der Leichnam Jesu verschwunden ist, beschreibt sie Lukas als «ratlos.» Sie können das Geschehen nicht einordnen. Sie bewerten es auch nicht. In dieser Situation der Ratlosigkeit lässt Lukas zwei Männer «in leuchtenden Gewändern» hinzutreten. Jetzt erst erschrecken die Frauen. Die Männer stellen den Frauen eine rhetorische Frage, die sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verstehen können: «Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?» Sie erinnern die Frauen an einen Satz Jesu, den sie von ihm in Galiläa gehört hatten: «Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen.» Daraufhin erinnern sich die Frauen und begreifen das Geschehen. Sie kehren zurück in die Stadt und berichten den Jüngern von ihrer Begegnung und von ihrer Einsicht. In keinem anderen Evangelium reagieren die Jünger so abweisend, wie bei Lukas. Hier erklären die Jünger die Worte und die Einsicht der Frauen schlechterdings für «Geschwätz».
Auch wenn dieser Aspekt der Geschichte keineswegs zentral ist – so zieht er dennoch die Aufmerksamkeit auf sich. Denn die Erfahrung, dass Worte von Frauen als «Geschwätz» behandelt werden, habe ich in der Kirche, an der Universität, in der Politik und auch im Privaten immer wieder einmal selber erfahren und beobachtet. Die Erfahrung, aufgrund des Geschlechts, der Herkunft oder des sozialen Status kein Gehör zu finden, ist bitter. Einiges hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Besseren gewandelt. Jedoch ist der wichtige theologische Satz von der Gottesebenbildlichkeit einer jeden Frau, eines jeden Kindes und Mannes täglich neu zu vergegenwärtigen und zu erstreiten.
Wie ereignet sich die Erkenntnis von etwas Neuem? Um etwas zu verstehen, brauchen wir Kategorien. Was fast 2000 Jahre nach der Auferweckung kaum mehr im Bewusstsein ist, wird von den Evangelien je auf ihre eigene Weise dargestellt: der Sprung, das Neue wahrzunehmen und zu begreifen.
Ernst Bloch zeigt in seinem Buch Spuren auf anschauliche Weise, wie Sehen und Erkennen miteinander verbunden sind. «Als ein englisches Schiff zum ersten Mal eine Fidschi-Insel anlief, wurde es gleichfalls von dorther nicht gesehen … Aber die Eingeborenen waren des Schiffs dort nicht nur nicht vermutend, sondern es gab noch andere Gründe, die es aus ihrem Gesichtskreis herausfallen liess. Derart sahen die Insulaner, als das Schiff wegen der Riffe um die Insel draussen hielt und ein Kanu ausgesetzt wurde, das mit grossartigem Ruck-Zuck dem Stand zuschoss, nur dies Kanu … nicht aber das Schiff. Denn das Kanu, so schnittig es war, konnten sie noch halbwegs mit ihren eigenen, plumpen Einbäumen vergleichen, so hatten sie zu ihm noch Zugang, optisch. Die grossartige Fregatte hingegen, die draussen hielt, zu ihr fehlte jeder Zugang, es gab kein Fallreep des Vergleichs, sie blieb buchstäblich unter dem Horizont, der der des Wahrnehmens ist. Was ja unter Kulturen eine Parallele hat, worin der gereizte Babbit einem neuen Werk blind gegenübersteht, das seinen gewohnten Gesichtskreis überschreitet.»
Ich begreife und sehe nur das, von dem ich eine Vorstellung habe. Sonst übersehe ich es, nehme es schlicht nicht wahr. Diese Situation gestaltet jeder Evangelist auf seine Weise. Um das Neue – die Auferweckung – begreifen zu können, genügt es nicht festzustellen, dass das Grab leer ist. Nein, es bedarf des Zuspruchs, der «Tatsachenbeschreibung» und der Deutung durch himmlische Boten. Lukas genügt es nicht, die Boten sagen zu lassen: «Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.» – sondern in seiner Darstellung erinnern die Boten die Frauen an die Prophezeiung Jesu in Galiläa, als er noch mit ihnen leibhaftig zusammen war: «Des Menschen Sohn muss … gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen.» Zu Lebzeiten Jesu verstanden sie diese Worte nicht, wie uns Lukas es in der zweiten Leidensankündigung Jesu mitteilt. Im Rückblick jedoch, in Erinnerung an den gemeinsamen Weg, erkennen sie, dass Jesus lebt.
Die Frage nach der Auferweckung lässt sich nicht mit den Methoden der historischen Wissenschaft klären. Es bedarf zum einen bestimmter Denk- und Deutekategorien, zum andern bedarf es aber ebenso ein Sich-Ansprechen- und -Anrühren lassen, wie nicht allein Lukas auf sehr anschauliche Weise, sondern auch Johannes zeigt. So erkennt Maria Jesus erst dann, als er ihren Namen nennt – zuvor hatte sie ihn für den Gärtner gehalten. Und: Die Jünger bedürfen bei Lukas des gemeinsamen Brot-Brechens. Erst dann erkennen sie Jesus. Seine Gegenwart, sein Gespräch mit ihnen, die Auslegung der Schrift – all dies hatte nicht genügt, um ihnen die Augen zu öffnen.
Glaube, so zeigt sich hier deutlich, ist nicht primär das für Wahr-Halten von Aussage-Sätzen; Glaube, im Sinne der Emunah, lebt von der Beziehung des Vertrauens zwischen Mensch und Gott bzw. Jesus. Glaube an die Auferweckung, heisst Gott auf dem Weg des Lebens zu trauen.

Auferstehung

von Marie Luise Kaschnitz
Manchmal stehen wir auf,
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken.
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht,
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung,
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Prof. Dr. phil. Ursula Rudnick ist Studienleiterin und Geschäftsführerin von Begegnung – Christen und Juden Niedersachsen e.V.