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Jesus reitet in Jerusalem ein   

Andrea Moresino-Zipper zum Evangelium am Palmsonntag: Lk 19,28–40 SKZ 11/2010

Wer hat den Satz nicht auch schon gehört: «Würde Jesus in heutiger Zeit zu uns kommen, würde er mit einem Mercedes fahren.» Aber wir wissen, dass dieser Vergleich hinkt. Jesus ritt nicht auf einem stolzen Pferd in Jerusalem ein, sondern auf einem Esel. Einfach so dahin gesagt: Im Vergleich mit einem Pferd oder einem Kamel erscheint der Esel wenig attraktiv. Mit seinem eher unscheinbaren grauen Fell, seiner geringen Körperhöhe und seiner manchmal unberechenbaren Art musste dieses Tier schon in der Antike Spott ertragen und stand als Schimpfwort für die Dummheit des Beschimpften. Dabei handelt es sich um das allgemein gebräuchliche Arbeits- und Lasttier des antiken Orients, welches durch seine Geschicklichkeit seinen Besitzern schon damals eine grosse Hilfe war. In der Perikope Lk 19,28–40 wird nicht einfach von einem Esel berichtet, der Jesus in die Stadt Jerusalem trägt, sondern die Bedeutung dieses Tieres ist an dieser Stelle besonders und vielfältig.

«... was in den Schriften geschrieben steht»

Die Vorlage für den Einzug Jesu in Jerusalem findet sich in Mk 11,1–10. Matthäus und Lukas übernehmen die Grundelemente und verändern den Text nach ihren Schwerpunkten. Auch Johannes gibt den Einzug in Jerusalem wieder (12,12–19). Seit Lk 19,11 ist bekannt, dass Jesus schon nahe bei Jerusalem ist, und in V. 28 wiederholt sich diese Angabe mit der Präzisierung in V. 29, dass «er in die Nähe von Betfage und Betanien kam, an den Berg, der Ölberg heisst». In den Versen 37 und 41 nähert sich Jesus immer mehr der Stadt bis er in V. 45 sein Ziel betritt – den Tempel.
Lukas demonstriert – ebenso wie die beiden anderen Synoptiker – am Beginn dieser Perikope (Verse 29–32) das überlegene Wissen Jesu. Durch den Auftrag an seine beiden Jünger, ihm einen Esel zu bringen und der beigeschlossenen Vorhersage, wird dieser erfüllbar, da Jesus um den vorausbestimmten Weg von Gott weiss (vgl. Lk 18,31). Wie bei Markus finden die Jünger bei Lukas einen jungen Esel. Matthäus hingegen missversteht den Text in Sach 9,9 und berichtet von einer Eselin mit einem Fohlen (Mt 21,2) und erregt so in 21,7 den Anschein, als ob Jesus auf beiden Tieren reiten würde. Mit dem Auffinden des Esels erfüllt sich die Vorhersage von Sach 9,9: «Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.» Der eschatologische Friedenskönig kommt auf einem noch unberittenen Fohlen. Das Gegenbild und der Hintergrund zu diesem Vers ist der hellenistische Kriegskönig, der auf einem Pferd und begleitet von seinem Heer umherzieht. Die Pferde und die Streitwagen sind Ausdruck des politischen Hochmuts (vgl. Jes 2,7) und stehen in der Tradition der prophetischen Kritik (vgl. Hag 2,22). Der Esel hingegen ist zu jener Zeit das Reittier der Richter (vgl. Ri 10,4; 12,14) und symbolisiert die drei Eigenschaften Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft und Demut, die den politischen Herrschern fehlten.
In der markinischen Vorlage kommt es zum Protest einiger Anwesenden, als die Jünger den Esel losbinden möchten: «Wie kommt ihr dazu, den Esel loszubinden?» (Mk 11,5). Bei Lukas möchten die Fragesteller nur den Grund für diese Aktion wissen (vgl. 19,33) und geben sich mit der Antwort der Jünger «Der Herr braucht ihn» (vgl. Lk 19,34 par. Mk 11,3 und Mt 21,3) zufrieden. An allen drei Stellen ist diese Antwort mit Vollmacht besetzt und gibt keinen Anlass zu einer weiteren Frage. Dennoch unterscheiden sich Markus und Matthäus dahin gehend, dass sie dieser knappen Antwort noch den Zusatz beifügen «… er lässt ihn bald wieder zurückbringen». In der Antike musste für den Diebstahl oder der Verletzung eines Esels ein Schadensersatz bezahlt werden (vgl. Ex 21,33; 22,3).
Die Verse 35 und 36 können mit 1 Kön 1,33 verglichen werden, wo David den Ritt seines Sohnes Salomo auf dem königlichen Maultier zu seiner Inthronisation anordnet. Das Auflegen der Kleider auf dem Boden vor Jesus gleicht dem Auslegen eines roten Teppichs und erinnert an das Verhalten der Anhänger Jehus bei dessen Königsproklamation (vgl. 2 Kön 9,13). Auch an dieser Stelle unterscheidet sich der Text des Lukas von dem des Markus und des Matthäus: In den Versen 36 und 37 wird deutlich, dass nur die Jünger Jesus die Ehre erweisen und Gott freudig loben. Bei den beiden anderen Synoptikern sind es viele Menschen, die Jesus auf seinem Weg begleiten (Mk 11,8; Mt 21,8). Ein Blick auf die Textstelle bei Johannes zeigt, dass er den Prozess des Findens und Bereitmachens des Esels auf einen Satz reduziert: «Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf …» (vgl. Joh 12,14). Jedoch sieht auch er den Einzug Jesu als Erfüllung von Sach 9,9 und nicht die Jünger, sondern die Volksmenge zieht Jesus, aus der Stadt Jerusalem kommend, entgegen (vgl. Joh 12,12). Mit Palmzweigen, die als Siegessymbol zu verstehen sind, empfangen sie und preisen ihn mit Ps 118,26: Hosanna! «Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn», der König Israels. Mit diesem Psalm preisen auch die Menge bzw. die Jünger bei den Synoptikern Jesu Ritt in Richtung Jerusalem. Lukas zitiert diesen Psalm bereits in 13,35. Dort spricht ihn Jesus aus, aber im Zusammenhang mit seinem eschatologischen Kommen. Das Motiv des Königs, welches Lukas an dieser Stelle dem Ps 118,26 hinzugefügt hat, wird wieder aktuell in 23,3, wenn Pilatus die Frage an Jesus richtet: «Bist du der König der Juden?»

Mit Lukas im Gespräch

Der Evangelist ergänzt in V. 38 «Im Himmel Friede und Herrlichkeit auf der Höhe!» und verknüpft dies mit der Geburt Jesu, die in 2,14 als Ereignis des Friedens verkündet wird. Der Friedenskönig zieht in Jerusalem ein und doch zeigt sich, dass dieser Stadt in näherer Zukunft kein Friede beschert ist. In 19,41–44 bringt Jesus seine Traurigkeit darüber zum Ausdruck und kündigt die Zerstörung Jerusalems an. Indirekt geschieht diese Ankündigung schon im letzten Vers der messianischen Einzugsperikope, wenn Jesus sich an dem Zitat aus Hab 2,11 orientiert: «Es schreit der Stein in der Mauer, und der Sparren im Gebälk gibt ihm Antwort.» Die Steine werden die Rolle der Zeugen übernehmen.
In Anlehnung an dieses Motiv existiert ein Spottbild in Stein geritzt, dass den Gekreuzigten mit einem Eselskopf zeigt, daneben eine stehende Person und die griechische Inschrift «Alexamenos betet Gott an». An anderer Stelle wird Alexamenos als Christ bezeichnet. Dieses Graffito aus dem 2. Jh. n. Chr. ist noch heute am Palatin in Rom zu sehen.

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Andrea Moresino-Zipper ist Doktorandin an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg und Mitglied des Zentralvorstands des Schweizerischen Katholischen Bibelwerkes