Wir beraten

Ganz Jerusalem erschrak mit ihm   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium an Epiphanie – Erscheinung des Herrn Mt 2,1-12

in: SKZ 51-53/2009

In vielen «modernen» Weihnachtsgeschichten wird das Thema bearbeitet, dass wir erschrecken würden, käme der wieder erwartete Christus jetzt, in unsere Zeit. Weil wir trotz aller Erwartung nicht vorbereitet sind? Weil unsere Gesellschaft nicht dergestalt lebt, wie sie es nach christlichen Grundsätzen müsste? Weil wir Christi Wiederkunft nicht so sehr erhoffen als vielmehr fürchten? Haben wir Angst vor den Veränderungen, die das Ereignis mit sich bringen könnte? Oder wären wir nur ganz einfach schrecklich überrascht, weil wir eigentlich doch nicht so ganz daran glauben, dass Christus wieder erscheint?

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Und wovor erschrickt Herodes und mit ihm ganz Jerusalem? Vielleicht ist es im ersten Moment die Tatsache, dass die magoi, die Sterndeuter aus dem Osten kommen, möglicherweise aus Babylonien. Schon einmal hat dieses Gebiet für die jüdischen Menschen nichts Gutes bedeutet. Kann sein, dass Herodes auch schaudert, weil sie nach dem neugeborenen König der Juden fragen, einem direkten Konkurrenten also. Doch warum sollte darüber ganz Jerusalem mit ihm erschrecken? Da läge ein freudiger Schrecken doch näher, da mit dem Erscheinen des Messias auch das nahe Ende der Fremdherrschaft verknüpft ist. Die weitere Erzählung legt nahe, dass Verwirrung herrscht, weil zuerst Fremde kommen und vom Messias künden müssen. Ist Jerusalem beunruhigt über die eigene Gottvergessenheit, darüber, dass es nicht (mehr) mit dem Eingreifen Gottes gerechnet hat? Zwar sofort, letztlich aber doch im Nachhinein werden die eigenen Weisen, die Hohepriester und Schriftgelehrten von Herodes in die Pflicht genommen. Sie sollen Auskunft geben, wo der Messias geboren werden soll und damit die Wahrscheinlichkeit, dass er geboren wurde, implizit bestätigen. Die Aussagen genügen Herodes allerdings nicht. Er erfragt von den fremden Weisen den genauen Zeitpunkt, heimlich, ohne «seine Leute» zu informieren, während er die Fremden am Wissen der Schriftgelehrten teilhaben lässt. Das gemeinsame Erschrecken führt zu getrennten Wegen, wobei in diesem Textabschnitt nicht berichtet wird, was es bei «ganz Jerusalem» anschliessend auslöst. Herodes hingegen scheint sich schnell gefasst und seine Pläne geschmiedet zu haben. Er will die Weisen aus dem Osten dafür einspannen. Später erfahren wir, dass er durchaus dem neugeborenen König nicht huldigen, sondern ihn töten will. Sollte er an die Schriftstellen erinnert worden sein, die zu unserem Text als Verweise angegeben werden (2 Sam 5,2; 1 Chr 11,2), die über David berichten: Schon früher, als noch Saul unser König war, hast du Israel in den Kampf und wieder nach Hause geführt. Der Herr hat zu dir gesagt: Du sollst der Hirt meines Volkes Israel sein, du sollst Israels Führer werden. Fürchtet er, dass sich die Geschichte wiederholt und der «neue David» seinen, des Herodes Untergang bedeutet? Vielleicht glaubt er, dem durch den Tod des mutmasslichen Messias entgehen zu können. Das erneute Eingreifen Gottes macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Magier haben seinen Plan nicht durchschaut, doch sie folgen ohne Zögern der Anweisung Gottes, die ihnen im Traum gegeben wurde, wie sie auch dem Stern gefolgt sind – der sie wohl auch ohne Zutun des Herodes, der Hohepriester und der Schriftgelehrten ans Ziel geführt hätte, wie uns V 9f verrät. Doch letztere sollten aufgeschreckt werden, was Matthäus ausnahmsweise nicht damit begründet, dass sich die Schrift erfülle.

Mit Matthäus im Gespräch

Matthäus liegt sehr daran, die Geschichte Jesu in die Geschichte Israels und insbesondere in die Verheissungen einzubinden. Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat (Mt 1,22; 2,5.15 usw.) Dazu dient zunächst die ausführliche Genealogie in 1,1-16, die in V 17 zusammengefasst wird: Im Ganzen sind es also von Abraham bis David vierzehn Generationen, von David bis zur babylonischen Gefangenschaft vierzehn Generationen und von der babylonischen Gefangenschaft bis Christus vierzehn Generationen.
Im Weiteren sind es Träume, die immer wieder zur Rettung beitragen, wie Träume auch oft in der Geschichte Israels Wegweiser waren. Als Beispiel mögen die Träume des «ersten Josef» dienen (Gen 37,5-7.9), die ihm verraten, dass sich einst seine Brüder und sogar sein Vater Jakob vor ihm verneigen werden. Sie bringen ihm zwar zunächst Unglück und er wird von seinen Brüdern, die ihn zuerst töten wollen, schliesslich nach Ägypten verkauft, doch dies dient letztlich der Vorbereitung zur Rettung ganz Israels. Auch Josef, der Mann Marias, wird durch einen Traum nach Ägypten geführt, um Mutter und Kind vor dem Tod zu schützen und dadurch die Möglichkeit zu bewahren, dass der Verfolgte – aus Sicht des Matthäus – zur Rettung ganz Israels wird.
Möglicherweise ist auch der Stern ein Symbol dafür, dass sich in der Geschichte Jesu die Geschichte Israels wiederholt. Denn Israel leuchtet wie ein Stern, wenn es der Tora gemäss lebt. Genau das aber wird von Jesus verkündet, dass er die Schrift erfüllt und so ist es ausdrücklich sein Stern, dessen Aufgehen die Sterndeuter beobachtet haben.
Es mag sehr weit hergeholt sein und vielleicht hiess der (irdische) Vater Jesu schlicht und einfach Josef. Doch sei hier eine Parallele zur Konkurrenz der Brüder Josef und Juda gewagt, die im Judentum als Spannung zwischen Süd und Nord, zwischen geistig-»himmlisch» und politisch-irdisch weitertradiert wurde. Im Geschick Jesu finden Juda und Josef zusammen, denn Josef, im Traum davon abgehalten, Maria und das Kind zu verstossen, kommt nach Juda. Juda steht seinerseits für Umkehr aufgrund der Einsicht in die eigene Schuld, parallel zu David, von dem wiederum der Messias abstammt, für den Josef als Vater zeichnet.
Doch Jesu Geschick ist nicht nur mit dem Israels verbunden, es weist darüber hinaus, ist universell, denn es lässt einen Stern aufscheinen, den die Fremden – sogar als erste – entdecken und – richtig – deuten.

Dr. Katharina Schmocker Steiner, Zürcher Lehrhaus – Judentum Christentum Islam