Wir beraten

Wann ist ein Mann ein Mensch?   

Dieter Bauer zur Lesung am 27. Sonntag im Jahreskreis SKZ 39/2009

Alttestamentliche Lesung: Gen 2,18–24
Evangelium: Mk 10,2–16

Der heutige Lesungstext erzählt eine der schönsten Geschichten der Bibel zum Verhältnis von Mann und Frau. Leider wurde er im Laufe der Zeit eher in sein Gegenteil verkehrt und hat eine schlimme frauenfeindliche Wirkungsgeschichte entfaltet. Das soll uns hier aber nicht weiter beschäftigen, sondern es soll vor allem darum gehen, die positiven Aspekte dieser biblischen Schöpfungserzählung hervorzuheben.

Mit Israel lesen

Die zweite Schöpfungserzählung der Bibel (Gen 2,4 ff.) beginnt mit der Erschaffung des Menschen (2,7) und stellt diesen damit von vorneherein ins Zentrum des Geschehens. Für die Erzählerinnen und Erzähler ist der Mensch – anders als in vergleichbaren altorientalischen Schöpfungserzählungen – die «Krone der Schöpfung». Alles wird auf ihn hin geschaffen, zuallererst der wunderbare Garten, in den er gesetzt wird (2,15). Doch ist noch nicht alles perfekt. Der Mensch ist allein. Und das ist nicht gut (2,18b). Mit dieser Feststellung beginnt unser Lesungstext.
Diese biblische Schöpfungserzählung sieht den Menschen wie keine andere in der Menschheitsgeschichte in erster Linie als soziales Wesen: Ein Mensch, der allein ist, ist kein wirklicher Mensch! Zum Menschen gehört konstitutiv die Gemeinschaft, damit sich sein Menschsein entfalten kann. Der Mensch braucht den anderen, nicht irgendeinen, sondern einen, «der ihm entspricht» (2,18c). Wer oder was das sein könnte, darüber sprechen die folgenden Verse, die von der Erschaffung der Tiere – ebenfalls aus Ackerboden (!) – erzählen. Das heisst: Die Tiere sind ihm von allem Geschaffenen (schon von der gemeinsamen Herkunft her) am nächsten. Doch ebenso wird erzählt, dass der Mensch ihnen überlegen ist, weil er sie nämlich benennen darf (2,19 f.). Damit ist aber auch schon klar, was sie trotz aller Nähe nicht sein können: «eine Hilfe, die ihm entspricht» (2,18.20).
Männlich dominierte Theologie und Kirche konnten lange Zeit nicht anders, als diese «Hilfe», die der Mensch (üblicherweise als «Mann» verstanden!) braucht, als «Haushaltshilfe» zu verstehen. Das widerspricht allerdings diametral dem biblischen Befund: «Hilfe» (hebr. ezer) ist ein Gottesprädikat, das häufig z. B. in den Psalmen auftaucht (vgl. Ps 35,3 u. ö.): «Meine Hilfe und mein Retter bist du. Mein Gott, säume doch nicht!» (Ps 40,18). Was dem Menschen zum Menschsein noch fehlt, ist dieses göttliche hilfreiche Gegenüber! Darum kümmert sich Gott nun Im Folgenden: «Da liess Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu» (Gen 2,21 f.).
Leider hat die Tradition diesen Schöpfungsakt immer so verstanden, dass die Frau aus dem «Mann» entnommen wurde. Das allerdings steht nicht im Text! Dieser legt nämlich Wert darauf, dass es bis dahin nur einen (androgynen? geschlechtslosen?) «Menschen» gibt, aus dem erst durch Gottes Schöpfung Mann und Frau werden. Dies macht der Text sehr geschickt, indem er diese Neuschöpfung in ihrem Material reichlich unbestimmt lässt. Was die christliche und jüdische Tradition meist mit «Rippe» übersetzt, ist nämlich nicht so ganz eindeutig. Das Wort (hebr. zela) wird in der Bibel nämlich nur an dieser einzigen Stelle mit «Rippe» übersetzt, sonst bedeutet es immer «Seite», etwa an der Lade (Ex 25,12) oder die «Längsseite» eines Altars (Ex 27,7). Auch die Septuaginta hat mit «Seite» (gr. pleura) übersetzt, einem Wort, das im NT auch für die Seitenwunde Jesu am Kreuz verwendet wird (Joh 19,34; 20,20). Erst die Vulgata liest «Rippe» (lat. costa). Wenn also die Septuaginta und nach ihr viele Rabbinen (z. B. R. Samuel bar Nachman in Bereschit Rabba z. St.) mit «Seite» übersetzten, dann hat das seine Berechtigung. Und der tiefere Sinn des Textes wird dadurch zusätzlich erhellt: Der «Mensch» ist prinzipiell dual zu denken. Das «Männliche» oder das «Weibliche» stellen immer nur die eine «Seite» dar. Oder um es mit dem Talmud zu sagen: «Jeder Mensch, der keine Frau hat, ist eigentlich kein Mensch» (bJebamot 63a). Und: «R. Tanchum sagte (im Namen von) R. Chanilai: Jeder Mann, der keine Frau hat, lebt ohne Freude, ohne Segen und ohne Güte» (bJebamot 52b).
Diese Frauenfreundlichkeit des Talmud widerspricht natürlich diametral den gerne gehegten Vorurteilen dem rabbinischen Judentum gegenüber. Trotzdem lassen sich – im Gefolge des biblischen Jubelrufes (Gen 2,23) über die Frau – noch viele weitere Belege dafür beiziehen. So leitet der Talmud z. B. aus der Beobachtung, dass einzig die Frau innerhalb von Gottes Schöpfung «gebaut» (hebr. bnh) wurde, ab, dass Gott den Frauen mehr «Weisheit» (hebr. binah) gegeben habe als den Männern (bNiddah 45b). Und in Pirke de R. Elieser wird bemerkt, dass sich Mann und Frau (hebr. ijsch und ischah; vgl. Gen 2,23) allein durch die beiden Buchstaben Jod und He unterscheiden. Diese aber gehören zum Gottesnamen (Jah), was bedeutet, dass die Gottebenbildlichkeit auf beide «Seiten» verteilt ist. Ohne diese beiden Buchstaben bliebe für beide nur das Wort «Feuer» (hebr. esch) übrig: Wandeln die beiden nicht auf Gottes Wegen, so werden sie zu Feuer, und einer zerstört den anderen.

Mit der Kirche lesen

Diese Heiligkeit der Beziehung zwischen Mann und Frau, die gemeinsam «Abbild Gottes» sind (Gen 1,26 f.), hat auch Jesus vor Augen, wenn er im Evangelium auf die trickreiche Frage seiner Gegner antwortet: «Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?» Mk 10,2). Er entlarvt diese Frage als reine Männerfrage, geht es hier doch ganz parteiisch einzig um das Recht des Mannes. Dem hält Jesus die biblische Schöpfungsordnung entgegen: «Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins» (V. 7 f.; vgl. Gen 2,23 f.). Das reicht ihm, diesen Männern vorzuhalten: «Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen» (V. 9). Und seinen Jüngern schärft er die Gleichberechtigung – oder besser: Gleichverantwortung – zwischen Mann und Frau ein: «Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet» (V. 11 f.).
Allerdings: Auch wenn es sich so anhört, als läge hier ein Jesuswort vor, aus dem man ein (kirchliches) Eherecht ableiten könne, so wäre das zu kurz gegriffen. Was hier Männern gesagt ist, die sich Rechte herausnehmen wollen, die ihnen einfach nicht zustehen, ist längst nicht pauschal und immer und in jedem Fall anwendbar. Jesus warnt vor der Leichtfertigkeit im Umgang mit einer von Gott geheiligten Beziehung! Dass eine solche aber trotzdem, selbst bei allem Bemühen beider Beteiligter, auch scheitern kann, eben weil wir Menschen sind (und von diesem Scheiternkönnen spricht die folgende Sündenfallgeschichte; Gen 3 f.), ist bei Jesus ebenso wenig im Blick wie in unserem alttestamentlichen Lesungstext.