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Ein Mensch in der Krise – oder: Geschichte einer Auferstehung   

Rita Bahn zur Lesung am 19. Sonntag im Jahreskreis SKZ 31-32/2009

Alttestamentliche Lesung: 1 Kön 19,4–8
Evangelium: Joh 6,41–51

Gleichgültig wie stark, selbstbewusst, unabhängig, vertrauensvoll, fromm, … ein Mensch sein mag, kann es für ihn doch eine Zeit geben, in der sich die Welt um ihn herum zusammenzuziehen scheint. Sein Leben wird enger und enger und erstickt schliesslich in Aussichtslosigkeit. Der Betroffene kann sich nicht vorstellen, dass sein Leben weitergeht, geschweige denn, dass es sogar noch Besseres zu bieten haben könnte als zuvor. Und doch bleibt ihm, will er sich nicht selbst töten oder nur dahinvegetieren, letztlich nichts anderes als das Wagnis, dem Raum zu geben, das grösser und umfassender ist
als alles, was Menschen sich vorstellen können.
Die heutige Lesung stellt uns im Propheten Elija einen Mann vor, der sich eben diesem Prozess unterziehen, diesen Weg gehen muss.

Mit Israel lesen

Elija ist auf der Flucht, versucht sich nach der Morddrohung Königin Isebels in Sicherheit zu bringen, indem er aus ihrem direkten Einflussbereich, dem Nordreich, nach Juda flieht. Hier lässt er in Beerscheba seinen Gehilfen zurück und geht allein noch einen Tag lang in die Wüste hinein. Offensichtlich ist seine Angst gross und seine Entschlossenheit auch. Aus dieser lebensfeindlichen Umgebung kann er so schnell nicht zurückkehren, und ohne Proviant ist er möglicherweise auch gar nicht mehr dazu in der Lage. Er hat sich selbst definitiv ins Aus manövriert.
Es ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen, was Elija so verzweifeln lässt. Ist Gott ihm nicht immer beigestanden, hat ihm zuerst durch Raben, dann durch eine Witwe (17,4.9) Nahrung zukommen lassen? Hat er nicht vor wenigen Tagen mit Gottes Kraft grosse Taten vollbracht: in einem dramatisch inszenierten Brandopfer die Macht Jahwes und die Nichtigkeit Baals und Ascheras erwiesen, die Propheten der Götzen getötet und so die vernichtende Dürre beendet? Kann er sich nicht des Respekts König Ahabs gewiss sein; hat Königin Isebel denn so viel Macht? Vielleicht, dass seine Menschenkenntnis ihm sagt, dass seine Hilfe schnell wieder vergessen sein wird: Nachdem die Trockenheit vorbei ist, wird man zur Tagesordnung übergehen und nicht unbedingt einen schwierigen Propheten verteidigen wollen.
Vielleicht ist da aber auch gar nichts nachzuvollziehen. Vielleicht geschieht hier einfach ein Bruch, für die betroffene Person, für Elija selbst, nicht begreiflich. Eine unerklärliche, plötzlich hereinbrechende Depression wie sie manchmal im Leben auftritt. Eben noch war alles in Ordnung, und im nächsten Moment versteht man sich selbst und die Welt nicht mehr!
Er, der zuvor noch um sein Leben gelaufen ist, bietet es jetzt – und es ist das einzige Mal, dass Elija in unserem Text spricht – Gott an. Das heisst auch: Wenn er schon sterben muss, dann nicht durch die Leute Isebels, die seinen Tod zugleich als Triumph über seinen Gott interpretieren würden. Elija stellt sich ausdrücklich in eine Reihe mit seinen Ahnen: Sie alle haben für die Sache Gottes getan, was sie konnten, waren nicht erfolgreicher, nicht besser und nicht schlechter als er. Und sie alle waren sterblich.
Er legt sich nieder – in jeder Hinsicht am Boden – und schläft ein. Da ergeht es ihm ähnlich wie Hagar in der gleichen Wüste (Gen 21,17). Sachte weckt ihn die Berührung eines Boten Gottes. Er wird aufgefordert, aufzustehen, zu essen. Vermutlich richtet sich Elija nur auf, setzt sich allenfalls hin – alles ein bisschen reflexhaft, wie in Trance, halbwach. Das reicht: Alles, was er braucht, ist in greifbarer Nähe – wohl durchaus auch im übertragenen Sinn. Elija isst und will zurücksinken in seinen lebensmüden Schlaf; das aber lässt der Engel nicht zu. Jetzt steht der Prophet auf, isst und trinkt. Über seinen Gemütszustand, seine Gedanken erfahren wir nichts, aber er kann wieder handeln, aktiv sein. Fraglos macht er sich auf den Weg, nicht ahnend, welch neue Dimensionen ihm eröffnet werden. Der Heisssporn Elija, dessen Element das Feuer ist (vgl. 18,38; 2 Kön 2,11), ist dabei zu lernen, dass es bei Gott auch anders geht – sachte wie die Berührung seines Boten, langsam und geduldig, eben den Möglichkeiten des Menschen angepasst, wie er es gerade erlebt hat. Und schliesslich erfährt er am Horeb Gottes Wesen selbst still wie die Stimme eines verschwebenden Schweigens. Gott ist grösser, tiefer als jedes noch so machtvolle Spektakel. Er ist selbst im scheinbaren Nichts.
Vielleicht hat diese Geschichte dazu beigetragen, dass der von seinem Charakter her so feurig eifernde Elija in der jüdischen Tradition auch zu einem wird, «der, immer wenn das Neue kommt, an der Schwelle steht» (F. Weinreb) und der nach Maleachi (3,24) versöhnend, verbindend «das Herz der Väter den Söhnen zuführt und das Herz der Söhne den Vätern».
Im Text finden sich zahlreiche Anklänge an den Exodus: Im Stehen soll Elija essen, bereit zum Aufbruch (Ex 12,11). Wie die Israeliten beim Zug durch die Wüste wird auch er dort von Gott genährt (s. Lesung vom vergangenen Sonntag). Wie das Volk 40 Jahre, so ist er
40 Tage und Nächte unterwegs. Tatsächlich hat Elija ja auch beim Seder-Mahl an Pesach seinen festen Platz: Der Tisch ist für ihn mitgedeckt, ein Becher Wein, den niemand sonst benutzt, steht für ihn bereit, und die Haustür wird für ihn geöffnet.
Im späteren Geschehen finden sich darüber hinaus Bezüge zwischen Elija und Moses: Beide harren auf einem Gottesberg aus (Mose wiederum 40 Tage und Nächte) und erleben eine Theophanie, Elija von einer Höhle, Mose von einer Felsnische aus.

Mit der Kirche lesen

Zum einen bekräftigt das Evangelium des Tages den Trost und die Stärkung, die der Bote Elija gebracht hat. So wie Gott durch die Jahrhunderte immer wieder Menschen mit Brot vom Himmel gespeist hat, tut er es in Jesus jetzt und für alle Zukunft. In ihm sind Himmel und Erde, menschliche und göttliche Sphäre nicht voneinander geschieden. In ihm zeigt sich, dass sie einander im Gegenteil grundsätzlich durchdringen.
Zum anderen teilt Jesus das Schicksal Elijas und das von Menschen auf der Flucht, von wegen ihrer Überzeugung Verfolgten aller Zeiten. Grund genug, daran den eigenen Umgang mit Flüchtlingen zu messen. Wir wissen es gut: Menschen können Boten und Botinnen Gottes und Brot des Lebens füreinander sein.