Wir beraten

Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen   

Dieter Bauer zur Lesung am Hohen Donnerstag SKZ 14/2009

Alttestamentliche Lesung: Exodus 12,1–8.11–14
Evangelium: Johannes 13,1–15

Nach dem Johannesevangelium, dem das heutige Evangelium entnommen ist, starb Jesus am Rüsttag vor dem Paschafest (Joh 19,14) als das wahre Paschalamm, dem kein Bein gebrochen wurde (V. 36). Der Tag, an dem im Jerusalemer Tempel die Paschalämmer geschlachtet wurden, verweist in seiner Symbolik auf Jesus als «Lamm Gottes» (Joh 1,29.36; vgl. Jes 53,7). Nach den drei anderen Evangelien lebte Jesus am Paschaabend noch und konnte mit seinen Jüngern das Paschamahl feiern (Mk 14,12 ff. parr). Ganz gleich, wie man diese historische Unstimmigkeit bewertet: Sämtliche Evangelien legen grossen Wert darauf, das Geschehen um Jesu Leiden und Sterben mit dem Paschafest in Verbindung zu bringen.

Mit Israel lesen

Das Buch Exodus ist so etwas wie die «Gründungsurkunde Israels». Das Geschehen um Knechtschaft und Befreiung aus Ägypten, das in diesem Buch erzählerisch entfaltet wird, wird Jahr für Jahr erinnert in der Feier des jüdischen Paschafestes, an dem die Kinder am Familientisch fragen: «Wodurch unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten?» Von dieser besonderen Nacht wird im heutigen Lesungstext erzählt.
Gleich zu Beginn erfahren wir, dass für Israel damit eine neue Zeitrechnung beginnt:
Dieser Monat soll die Reihe eurer Monate eröffnen, er soll euch als der erste unter den Monaten des Jahres gelten (Ex 12,2).
Und der bevorstehende Auszug aus Ägypten wird sorgfältig vorbereitet: Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am Zehnten dieses Monats soll jeder ein Lamm für seine Familie holen, ein Lamm für jedes Haus. Ist die Hausgemeinschaft für ein Lamm zu klein, so nehme er es zusammen mit dem Nachbarn, der seinem Haus am nächsten wohnt, nach der Anzahl der Personen. Bei der Aufteilung des Lammes müsst ihr berücksichtigen, wie viel der Einzelne essen kann. Nur ein fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm darf es sein, das Junge eines Schafes oder einer Ziege müsst ihr nehmen. Ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Gegen Abend soll die ganze versammelte Gemeinde Israel die Lämmer schlachten (VV. 3–6).
Die ganze Gemeinde Israels – jede(r)! – ist miteinbezogen. Miteinander soll noch einmal im alten Land Ägypten gegessen werden, bevor man der Vergangenheit den Rücken kehrt. Lange genug hat es ja gedauert, bis aus dem von Mose geforderten Auszug (erstmals Ex 5,1) nun endlich Wirklichkeit werden soll. Neun sich immer mehr steigernde Plagen hat es gebraucht, bis die Situation auch für den Pharao unhaltbar geworden ist. Für die hebräischen Sklaven war sie dies schon längst. Wenn hier also noch einmal Blut fliesst, dann ist das nichts Neues. Das Blut der Opfertiere steht für den Abschluss einer alten Geschichte. Nach jüdischem Verständnis opfern die Israeliten damit ihre versklavende Vergangenheit, nämlich die tiergestaltigen Gottheiten Ägyptens (vgl. Ex 8,22): «Der Heilige, gelobt sei Er, sprach zu Mose: Bei deinem Leben! Die Israeliten ziehen von hier nicht eher weg, als bis sie die Gottheiten der Ägypter vor deren Augen geschlachtet haben. Ich will ihnen zeigen, dass ihre Gottheiten keine Gottheiten sind» (Exodus Rabba 16,3).
Das Blut der Opfertiere soll entsühnen und einen Neuanfang in Freiheit ermöglichen. Im gelobten Land wird dieses Blut der Opfertiere an den Altar im Jerusalemer Tempel gesprengt werden. Beim ersten Pascha aber kam es an die Türpfosten der Häuser: Man nehme etwas von dem Blut und bestreiche damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern, in denen man das Lamm essen will (Ex 12,7).
So wird für alle sichtbar, dass mit der Vergangenheit abgeschlossen ist. Dass es hier nicht um eine Art «Abwehrzauber» geht, wie oft vermutet wurde, zeigt V. 13: Das Blut aber werde zum Zeichen für euch an den Häusern, darin ihr seid (so wörtlich Martin Buber). Nicht Gott bedarf dieses Zeichens, sondern die Israeliten! «Was nützt das Blut dem Todesengel, was dem Türpfosten? Vielmehr: Solange die Israeliten Gottes Willen tun, verschont Er sie» (Mekhilta de Rabbi Simeon ben Jochai). Wörtlich heisst es (wieder Martin Buber): ich sehe das Blut und überspringe (hebr.: pascha) euch; nicht euch zum Verderber sei der Stoss, wenn auf das Land Ägypten ich einschlage (V. 13).
Es ist Eile geboten: Noch in der gleichen Nacht soll man das Fleisch essen. Über dem Feuer gebraten und zusammen mit ungesäuertem Brot und Bitterkräutern soll man es essen. So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an den Füssen, den Stab in der Hand. Esst es hastig! Es ist die Paschafeier für den Herrn (V. 10 f.). Alle sind zum Aufbruch gerüstet: Gürtel, Sandalen und Stab sind Reiseausrüstung. Noch befinden sich die Israeliten in «Feindesland». Trotz der Erlaubnis Pharaos können die Israeliten ihres Lebens nicht sicher sein, wie sich zeigen wird (vgl. Ex 14,5 ff.). Und doch sind sie es, die als Einzige wirklich «Zukunft» haben. Nicht die Ägypter, deren Erstgeborene in dieser Nacht erschlagen werden, und nicht die Götter Ägyptens (12,12), sondern Israel! Und damit dies nie vergessen wird, soll aus dem «Pascha Ägyptens» ein «Pascha der Generationen» werden: Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest zur Ehre des Herrn! Für die kommenden Generationen macht euch diese Feier zur festen Regel! (V. 14).
Stets ist daran festgehalten worden, dass dieses «Pascha Ägyptens» nicht einfach nur ein historisches Ereignis war, sondern immer wieder neu vergegenwärtigt werden müsse. So heisst es in der Mischna: «In jeder einzelnen Generation ist ein Mensch verpflichtet, sich selbst so zu betrachten, als ob er aus Ägypten gezogen sei» (bPes 10,5; vgl. Ex 13,8).

Mit der Kirche lesen

Diese Vergegenwärtigung ist für mich auch der eigentliche Vergleichspunkt zum Evangelium: Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe (Joh 13,15). Es ist ein Sklavendienst, den Jesus an seinen Jüngern vollzogen hat, nämlich ihnen die schmutzigen Füsse zu waschen: Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füsse gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füsse waschen (V. 14). Nicht die «Herren» und nicht die «Meister» verkünden das Evangelium, sondern die, welche dienen. Während Paulus und Lukas Jesus eine Mahlhandlung als «Gedächtnis» einsetzen lassen (1 Kor 11,23–25; Lk 22,19), war nach Johannes ein Sklavendienst «typisch» für Jesu Hingabe. Leider ist das in der Tradition unserer Kirche immer wieder vergessen worden. Die Mahlsymbolik wurde vor allem materiell von Brot und Wein hergeleitet. Die Hingabe Jesu aber kommt in der Fusswaschung viel deutlicher zum Ausdruck.
Wenn man die Brücke schlagen möchte vom «Lamm Gottes» zum Paschalamm, wie es die liturgische Leseordnung ja suggeriert, dann führt der Weg meines Erachtens nur über den unbekannten Exilspropheten:
Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, /
und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, /
so tat auch er seinen Mund nicht auf.
Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), /
er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab (Jes 53,7.10).
Die sühnende Wirkung solchen Handelns rührt nach Johannes von der Übernahme des Sklavendienstes am Nächsten her – bis zur Hingabe des Lebens (Joh 15,13).