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Menschenrechte, Menschenpflichten, Menschenhoffnung   

Winfried Bader zur Lesung am 1. Fastensonntag SKZ 7-8/2009

Alttestamentliche Lesung: Gen 9,8–15
Evangelium: Mk 1,12–15

Mit Israel lesen

Nach der grossen Flut schliesst Gott einen Bund. Bund – berit ist das Leitwort im Lesungstext aus Genesis 9. Es kommt fünf Mal vor und gibt die gedankliche Gliederung.

In koinzidenter Rede stellt Gott den Bund auf: «Ich selbst – sieh her – aufstellend einen Bund» (Gen 9,9). Damit ist der Bund da, von Gott selbst hingestellt und aufgestellt in diesem Moment des Sprechens. Der Bund wird nicht mit dem sonst üblichen Verb «geschnitten», d. h. durch einen Akt in zwei Hälften der Verpflichtung geteilt. Die Rede Gottes richtet sich an Noach und seine Söhne. Sie werden in der Rede zuerst als Mitglieder des Bundes genannt. Mitglieder des Bundes sind aber noch mehr Menschen: Eure Nachkommen – das sind dann nach der Logik der Sintfluterzählung alle Menschen, denn bei dieser zweiten Schöpfung fängt die Menschheit nochmals mit dieser einen Familie neu an. Weiter sind auch alle Lebewesen Mitglieder des Bundes: Vögel, Haustiere, die wilden Tiere, die mit in dem Kasten waren, und die Kriechtiere in der Erde, die auch ohne die Hilfe Noachs überlebt haben (Gen 9,10). Der Bund ist also umfassend. Alles Lebendige, das in seiner Existenz bedroht war, ist eingeschlossen. Der Mensch ist den anderen Lebewesen gleichgestellt und alle Menschen sind Noach gleichgestellt.

Der Inhalt des Bundes ist (Gen 9,11): Gott verpflichtet sich, nie wieder eine Flut zu schicken, die alle Wesen aus Fleisch ausrotten könnte. Diese Selbstverpflichtung Gottes fordert keinerlei Gegenleistung. Noach braucht – und wird es auch nicht, denn er ergreift in der ganzen Erzählung erst am Ende nach seinem Rauschschlaf ein einziges Mal das Wort (Gen 9,25 f.) – nicht einmal antworten. Der Bund gilt.

Die jüdische Wirkungsgeschichte ist grossartig, auch wenn sie – gerade bei Christen – bis heute immer wieder in Vergessenheit gerät. Wenn für alle Menschen diese Zusage Gottes gilt, dann braucht es keine Mission – so der jüdische Gedanke. Alle, die ganze noachidische Menschheit, sind von Gott angenommen und von ihm in ihrem Heil garantiert. Aus Gen 9,1–13 näher hin den Versen 4–6 leitet der Talmud sieben Gebote ab (Sanhedrin 13), die als Weltethos für alle Menschen gelten: Mord, Diebstahl, Tierquälerei, Unzucht, Götzenanbetung und Gotteslästerung sind verboten, die Wahrung des Rechtsprinzips in einer geordneten Gerichtsbarkeit ist gefordert. Das durch den Bund gegebene Menschenrecht wird durch diese allgemeingültige Menschenpflicht ergänzt. Allen ist diese Einsicht gegeben und zugänglich, daher braucht nicht missioniert zu werden, alle, die sich an dieses Weltethos halten, sind als gleichwertige Brüder und Schwestern anzusehen, das ist der Ruf zu religions- und konfessionsunabhängiger Toleranz in einer geistig-religiösen Nachbarschaft. Das Judentum anerkennt damit eine seiner eigenen Erwählung vorangehende Beziehung Gottes zur Menschheit. Die eigene Religiosität wird begriff en als ein Ausschnitt aus einem grösseren Ganzen, das bereits das Essentielle der eigenen Grundlagen enthält.

Der Bund, der von Gott gegeben wird – so die Formulierung bei der dritten Nennung des Worts in Vers 12, und noch immer wird nicht das Verb verwendet, dass eine Gegenseitigkeit voraussetzt – hat ein Zeichen: den Bogen. Der babylonische Hintergrund des priesterschriftlichen Autors im Exil legt nahe, an einen Kriegsbogen zu denken. Der babylonische Schöpfergott Marduk ermöglichte Leben auf der Erde, indem er die als Göttin Tiamat personifizierte Urflut mit dem Bogen tötete. Damit dieser Sieg dauerhaft bleibt und so das Bestehen der Schöpfung sichert, nahm der höchste Gott Anu diesen Kriegsbogen Marduks und setzte ihn an den Himmel. Der Bogen ist Zeichen göttlicher Macht, Störungen auf der Erde zu besiegen und das Leben zu sichern. Im Kontext des einen biblischen Gottes wird der in den Himmel gehängte Bogen zum Zeichen, dass Gott die Auseinandersetzung mit seiner Schöpfung beendet hat.

Ein anderes der wenigen Vorkommen des Wortes «Bogen» ist in der Eingangsvision des Ezechiel – sie ist fast zeitgleich im gleichen Kontext wie die Priesterschrift entstanden. Der Bogen ist als Regenbogen Zeichen für die Herrlichkeit Gottes. «Wie der Anblick des Regenbogens, der sich an einem Regentag in den Wolken zeigt, so war der helle Schein ringsum. So etwa sah die Herrlichkeit des Ewigen aus» (Ez 1,28). Der Regenbogen erinnert Gott, dass die Erde sein Königreich ist, für das er sorgt.

Beide Aspekte des Bogens gehören im jüdischen Verständnis zusammen. Der Talmud mahnt, den Bogen nicht anzuschauen, weil er die Herrlichkeit Gottes wiederspiegelt. Parallel und im Widerspruch dazu wird gelehrt, dass man den Bogen als Bundeszeichen bewusst ansehen soll, denn Gottes Zorn ist zu Ende. Er habe wie ein Krieger seinen Bogen gesenkt und ohne Bedingungen Frieden erklärt. Wenn ein Regenbogen am Himmel erscheint, so soll man nach jeglicher jüdischer Tradition das folgende Gebet sprechen:

«Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott; du regierst die Welt.

Du erinnerst dich an den Bund und bleibst ihm treu.

Du stehst zu deinem Wort.»

Mit der Kirche lesen

Nimmt man die liturgische Zusammenstellung der Lesung und des Evangeliums als Auftrag zu einer gegenseitigen Interpretation der Texte, so ergeben sich – vielleicht die Gesamtausgabe der Evangeliumsperikope verkürzend, aber sicherlich bereichernd – für das Evangelium folgende drei Aspekte: «Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe» (Mk 1,15) lässt sich wie der Bundesschluss in Gen 9,9 als koinzidente Rede auffassen. Mit dem Aussprechen der Worte wird die Wirklichkeit des ankommenden Reiches Gottes gestiftet. Es ist die Selbstverpflichtung Gottes, für sein Reich zu sorgen, es ist die Zusage an alle Menschen, dass Gottes heile Welt da ist. Der neue Bund wird nicht erst beim Abendmahl gestiftet, wie es der neutestamentliche Befund des Wortes diatheken nahelegt, sondern er ist die grundsätzliche Dimension. Ging die Selbstverpflichtung Gottes für alle Menschen der jüdischen Erwählung voraus, so folgt diese universale Zusage ihr nach.

Der noachidische Bund knüpfte sich nicht an Bedingungen, er wurde geschenkt. Die abgeleiteten Gebote sind eine allen Menschen zugängliche Ethik. So kann das proklamierte «Evangelium» nicht eine Ansammlung von unerfüllbaren ethischen Höchstnormen sein, sondern eine Einladung an alle. Evangelisch leben heisst dann nichts anderes als menschlich leben. «Kehrt um» ist keine Bedingung, sondern die Einladung, sich menschlichem Leben zuzuwenden.

Der Bund mit Noach gilt. Jesus hebt ihn nicht auf, kann und will es nicht. Er kann dahinter nicht zurück, um eine vielleicht sogar mit einer Drohung verbundene Exklusivität aufzubauen. Er selbst ist das neue Zeichen, in dem wir das Weltethos erkennen und an das wir unsere Menschenhoffnung knüpfen.