Wir beraten

Wo ist denn ihr Gott?   

Winfried Bader zur Lesung am Aschermittwoch SKZ 7-8/2009

Alttestamentliche Lesung: Joël 2,12–18
Evangelium: Mt 6,1–6.16–18

Nein, die Frage der Überschrift ist nicht einfach eine Abwandlung des Satzes «Mein Gott, wo bist du?» oder auch «Wo bist du unser Gott?», den man gerne in Zeiten der Not, Trauer und Verzweiflung ausruft. Es ist die Frage, die früher, als das Christentum in Auseinandersetzung mit atheistischen Positionen noch Bedeutung hatte, von aussen gestellt wurde. «Zeigt mir euren Gott!» ist die Aufforderung im Sinne von Friedrich Nietzsches griffiger Formulierung: «Ihr Christen müsstet erlöster aussehen!». Von aussen wird heute in einer panreligiös-säkularen Welt diese Frage nicht mehr gestellt. Aber vielleicht können wir diese Frage neu im innerkirchlichen Dialog stellen, und Dekrete, Beschlüsse und falsch beratene Entscheidungen von Kirchenmännern – auf dieser Stufe der Hierarchie finden sich leider keine Kirchenfrauen – mit dieser Frage: «Wo zeigst du uns mit deiner Weisung Gott?» abprüfen.

Mit Israel lesen

«Ja, der Tag YHWHs steht kurz bevor, aber auch jetzt noch ist Zeit, was zu tun!» (Joël 2,11–12) ist der Einstiegsruf in den Text. (Leider lässt die liturgische Abgrenzung des Textes die ersten beiden Wörter des Verses «auch jetzt noch!» weg und nimmt die Dringlichkeit.) Es ist fünf vor Zwölf, jetzt solltet ihr etwas tun: «Kehrt um!» (Joël 2,.12). Abgesehen davon, dass Menschen sich ungern ändern, scheint diese Aufforderung ganz einfach und eindeutig zu sein. Sie enthält aber zwei Schwierigkeiten: Ist es wirklich schon so dringend, oder bleibt nicht doch viel mehr Zeit, Reflexionen und Entscheidungen hinauszuzögern? Der Prophet mahnt zur Eile, die Kirche heute – nicht nur in der liturgischen Abgrenzung – lässt diese Eile weg und versucht zu bewahren. Das Zweite: Der Tag YHWH kommt mit Schrecken, es ist aber offen, für wen es ein Schrecken ist? Sind es die Völker, die Israels Existenz bedrohen, die da mit Schrecken verjagt werden sollen, oder ist es Israel selbst, den dieser Schrecken erwartet, weil es auf Abwegen ist? Innerkirchlich gesprochen: Ist es richtig auf dem Weg der Umsetzung des Vaticanums II umzukehren und ihn nach rechts zu verlassen oder kann nicht auch die Fortsetzung dieses Wegs in Treue zu den Gedanken der Konzilsväter der 60er Jahre dem Tag YHWHs ohne Schrecken entgegengehen?

Joël kann dies off en lassen. Denn er kennt noch einen anderen Weg. Bei Hosea im Kapitel 11 hat er es gelernt: YHWH ist Gott und nicht einfach ein Mann (Hos 11,9). Was Männern schwerfällt, auf ihre Gefühle zu hören und den eingeschlagenen Weg zu ändern, das kann Gott: «Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf» (Hos 11,8). So kann auch Joël formulieren und hoff en: «Vielleicht kehrt er (Gott) um!» (Joël 2,14). Mit dem «vielleicht» lässt er Gott die Freiheit. Joël rechnet aber damit, dass auch Gott seine Richtung endet und «sich erbarmt» (Joël 2,14). Er lässt dann bei den Menschen «Segen zurück», d. h. er sorgt, dass auf den Feldern Früchte wachsen, dass die Herden gedeihen, so dass die Menschen die Chance haben, davon ihm zu opfern. Alles, was wir Menschen Gott geben können, erhalten wir zuvor von ihm, nichts können wir aus uns. Aber – das ist der Duktus des Textes – wir sollen es dann auch ihm geben, nicht einem anderen Götzen. Macht und Anerkennung, die es auch in der Kirche gibt, kommen aus Gottessegen. Sie sind Ihm wieder zu opfern, nicht dem Götzen des politischen Kalküls.

Das Gebet der Priester in Vers 17 ist das, was das Volk Gott bieten kann. Der unsichtbare Gott kann sich in der Welt nur zeigen durch sein Volk. Der Spott, den dieses Volk von aller Welt erhält, wenn es im schlecht geht, betriff t nicht nur das Volk, sondern geht weiter auf seinen Gott. Dass es diesen Gott gibt, dafür dient das Wohlergehen des Volks in der Welt als Beweis. Der Gedanke lässt sich – wenn man den Willen des Volks zu Umkehr und Fasten, zu Versammlung und Gottesdienst aus dem ganzen Text berücksichtigt – weiterführen: Die Eigenschaften Gottes lassen sich von den Völkern an dem einen, seinem Volk ablesen. Das Volk soll sich so verhalten, wie Gott ist: «gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte, es erbarmt ihn, dass er Unheil verhängt» (Joël 2,13).

Damit lässt sich die eingangs erwähnte Schwierigkeit nach der Notwendigkeit eines Umkehrens lösen: Umkehr ist damals und heute dann notwendig, wenn das Verhalten des Gottesvolks und der Kirche nicht Gott gemäss ist, wenn es diesen Kriterien von gnädig, barmherzig, langmütig und gütig nicht genügt.

Mit der Kirche lesen

Wo ist denn ihr Gott? Wenn man diese Frage der Evangelienperikope stellt, ist man zunächst erstaunt: Hier scheint der an Joël gewonnene Gedankengang, religiöse Menschen zeigen Gottes Wirklichkeit hier in der Welt, nicht zu funktionieren, denn es ist ja die Aufforderung, sein religiöses Leben gerade nicht zu zeigen.

Was wird genannt? Das Beten ist eine Selbstverständlichkeit für jedes religiöse Leben, genauso wie das Fasten. Das sind persönliche Vollzüge, die niemand etwas über Gott zeigen: Gott selbst fastet und betet nicht; es sind nur unsere Hilfsmittel auf dem Weg zu ihm. Almosen sind zwar ein kleiner Hinweis auf die Barmherzigkeit, aber wie das Evangelium selbst sagt, nichts Besonderes, sondern nur einfach die Minimalregel der Menschlichkeit.

Die Herausforderung ist, die hier nicht genannten Verhaltensweisen zu leben, die Gott entsprechend und dadurch ihn in der Welt präsent machen. Ein Beispiel dafür legt uns schon Mt 6,17 nahe: «Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest», das man mit Mk 2,19 weiterführen kann: «Können denn die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten.»

Ein Christentum optimistisch zu feiern, das den gnädigen, barmherzigen und vergebenden Gott zeigt, ist ein guter Vorsatz für die Fastenzeit.

* Vergleiche zu diesem Text auch die fortlaufende Auslegung von Rita Bahn: Mit Gott ist zu rechnen!, in: SKZ 175 (2007), Nr. 6, 87, zugänglich auch unter: www.bibelwerk.ch. So kann ich mich hier auf einige ausgewählte Aspekte beschränken.

Der Tag YHWHs

Ein zentraler Begriff des Buches Joël, das am Anfang des 4. Jahrhunderts vor Christus bereits mit Blick auf den grössten Teil der hebräischen Bibel speziell für diesen Platz im Dodekapropheton zwischen Hosea und Amos geschrieben wurde, ist der Tag YHWHs. Der heutigen Lesungsperikope geht die Ankündigung des Tags YHWHs unmittelbar voraus und gibt die Situation zum Verständnis der Perikope vor: «Ja, gross ist der Tag des Herrn und voll Schrecken. Wer kann ihn ertragen?» (Joël 2,11).

Der Tag YHWHs ist ein «Tag» bzw. Zeitraum besonderen Eingreifens Gottes für oder gegen sein Volk, sei es in der Vergangenheit, sei es in der (eschatologischen) Zukunft. Einerseits darf das Volk auf diesen Tag hoff en, weil es ihm dann von Gott Recht verschaff t wird und es errettet wird, andrerseits braucht man diesen Tag sich nicht zu wünschen, weil das abgefallene Gottesvolk selbst das Gericht zu erwarten hat.

Das Buch Joël aktualisiert durch Rückbezüge die Tag-YHWH-Theologie von Jes 13 und 34; Ez 30 und 38; Jer 4–6; Am 5,18–20, Obd 15a.16–18; Zef 1,14–18; Mal 3. Neu muss bei Joël der Tag YHWH nicht in ferner Zukunft liegen, sondern er bricht schon in gegenwärtiger Erfahrung an.