Wir beraten

Gott ist einer und Jesus ist sein Prophet?   

Dieter Bauer zur Lesung am 4. Sonntag im Jahreskreis SKZ 4/2009

Alttestamentliche Lesung: Dtn 18,15–20
Evangelium: Mk 1,21–28

Am 20. Januar 2009 wurde Barack Obama als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Nachfolger von George W. Bush in sein Amt eingeführt. Für viele Menschen, nicht nur Amerikaner, ist er ein Hoffnungsträger. Und die Erwartungen sind riesig. Wie immer sind sie von dem Traum gespeist, eine charismatische Führungspersönlichkeit könne die Welt verändern.

Mit Israel lesen

Die Bibel hingegen ist in grossen Teilen äusserst skeptisch, was charismatische Führungspersönlichkeiten angeht. Das hängt natürlich mit schlechten Erfahrungen zusammen. Nachdem 722 v. Chr. das Nordreich Israel und 586 v. Chr. das Südreich Juda untergegangen waren, veränderte sich der Blick auf die «Könige» dieser Welt. In einer in der Weltgeschichte einzigartigen Selbstreflexion und Selbstkritik wurde die Geschichte Israels analysiert. Und sie wurde neu geschrieben, und zwar total königskritisch. Beginnend mit dem Buch Deuteronomium bis zum 2. Buch der Könige entstand ein Geschichtswerk (= Deuteronomistisches Geschichtswerk), das an den Grenzen des Gelobten Landes beginnt und mit dem Verlust des Landes im Exil endet. Dazwischen wird von den Bemühungen des Volkes Israel erzählt, sich – trotz der Erfahrung der Befreiung aus Ägypten – den anderen Völkern anzupassen und sich u. a. einen König zu geben (vgl. 1 Sam 8,1–22). Von Anfang an ist aber klar, dass das keine gute Idee war. Für die Verfasser des Deuteronomistischen Geschichtswerkes entspricht die Bitte nach einem König dem Abfall von Gott bzw. dem Götzendienst. Und so werden die Könige Israels und Judas auch fast durchgehend negativ gewertet.

Aber diese negative Wertung des Königtums ist nur die eine Seite der Analyse. Die biblischen Autoren haben sich auch Gedanken darüber gemacht, was denn eine Alternative (gewesen) wäre. Und sie kommen zu der Überzeugung, dass ein Hören auf die Prophetinnen und Propheten den Untergang womöglich hätte verhindern können.

Was Christen in ihrem «Alten Testament» als «Geschichtsbücher» verstehen (Jos – 2 Kön), bezeichnen Juden nicht zufällig als «vordere Propheten». Das mag auf den ersten Blick verwunderlich sein, aber es zeigt den hohen Stellenwert, der den Propheten (im Nachhinein) in der Geschichte Israels gegeben wurde. Von Anfang an werden die Herrschenden von Prophetinnen und Propheten begleitet, meist in Opposition. Im Buch Deuteronomium wird daraus geradezu ein «Amt». So spricht Mose, der grösste der Propheten (Dtn 34,10–12):

Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören (Dtn 18,15). Nimmt man den Satz für sich, so klingt er danach, als ginge es um die Prophezeiung eines zukünftigen (endzeitlichen) Propheten, um einen «wiederkommenden Mose». Diese Interpretation war im Frühjudentum geläufig und auch die ersten Christen haben sie gerne übernommen, indem sie diese «Prophezeiung» auf Jesus übertrugen. Aber so war das nicht gemeint. Der Text wollte die Kontinuität der Botschaft vom Sinai (im Dtn: Horeb) dadurch gewährleisten, dass es immer (!) Propheten als Vermittler des Gotteswortes an die Menschen geben würde:

Der Herr wird ihn als Erfüllung von allem erstehen lassen, worum du am Horeb, am Tag der Versammlung, den Herrn, deinen Gott, gebeten hast, als du sagtest: Ich kann die donnernde Stimme des Herrn, meines Gottes, nicht noch einmal hören und dieses grosse Feuer nicht noch einmal sehen, ohne dass ich sterbe. Damals sagte der Herr zu mir: Was sie von dir verlangen, ist recht. Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm auftrage. Einen Mann aber, der nicht auf meine Worte hört, die der Prophet in meinem Namen verkünden wird, ziehe ich selbst zur Rechenschaft. Doch ein Prophet, der sich anmasst, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufgetragen habe, oder der im Namen anderer Götter spricht, ein solcher Prophet soll sterben (Dtn 18,16–20).

Anders als die Könige waren die Propheten einzig und allein Gott verpflichtet. Und ziemlich sicher denken die Verfasser des deuteronomistischen Geschichtswerkes dabei an Propheten wie Jeremia, der in eben der Zeit des Niedergangs und des Exils das Gotteswort verkündet hat. Auch ihn hat Gott als Propheten «erstehen lassen» (Jer 29,15; vgl. Dtn 18,15.18), und ihm hat Gott seine Worte «in den Mund gelegt» (Jer 1,9; vgl. Dtn 18,18). Auch Jeremia sollte «alles sagen, was der Herr ihm aufträgt» (Jer 1,7; vgl. Dtn 18,18). Die Verfasser sind davon überzeugt, dass es diese Korrektur der Herrschaft – jeder menschlicher Herrschaft – durch die Propheten braucht; und zwar zu allen Zeiten. Die Propheten treten nun neben die Tora, die für alle Zeiten gilt. Ihre Aufgabe allerdings ist es nicht einfach, die Worte der Tora zu wiederholen, sondern sie für ihre jeweilige Zeit zu aktualisieren. Das Wort Gottes ist nun einmal nicht einfach «Buchstabe», sondern dynamisch und aktualisiert sich jeweils neu.

Mit der Kirche lesen

Die frühen Christen haben, wie gesagt, die Ankündigung «des Propheten» auf Jesus von Nazaret bezogen (Mt 17,5; Mk 9,7; Lk 9,35; Joh 1,21; 6,14; 7,40; Apg 3,22 f.; 7,37). Und wenn die liturgische Leseordnung dem Evangeliumstext (Mk 1,21–28) als Lesung Dtn 18,15–29 beigesellt, soll dies genau jene Interpretation untermauern.

Aber sie ist auch problematisch: Mit dieser Festlegung «des Propheten» auf Jesus von Nazaret wurde der biblische Text (wie viele andere «messianische» Texte auch) unseren jüdischen Geschwistern entrissen. Diese christliche Deutungshoheit hat über Jahrtausende verhindert, dass der biblische Text auch anders gelesen werden könnte.

Was das für Jüdinnen und Juden heissen muss, merken wir Christen vielleicht erst heute, wo wir uns auch mit anderen religiösen Deutungen auseinandersetzen müssen. Ich ver mute einmal, dass viele Christen empört wären, wenn sie etwa die muslimische Deutung des Textes aus dem Deuteronomium hören: Muslime, für die ja die Bibel ebenfalls ein heiliges Buch ist, deuten nämlich den «Propheten, den Gott erstehen lassen wird», auf den Propheten Mohammed. Wie Mose «das Gesetz» (= die Tora) empfangen hat, so hat Mohammed «die Scharia», den Koran empfangen. Und Mohammeds Herkunft wird über dessen Sohn Ismael auf Abraham zurückgeführt – die Geschichte von Judentum und Christentum wird einfach «übersprungen».

Dass es im Neuen Testament bereits auch kritische Stimmen gegen vorschnelle Festlegungen «des Propheten» gibt, zeigt übrigens das Johannesevangelium. Da wird im Anschluss an die wunderbare Speisung erzählt: «Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen» (Joh 6,14 f.). Offensichtlich hatte die johanneische Gemeinde ein gutes – gerade zu prophetisches – Gespür dafür, was sich dahinter verbirgt, wenn man «den Propheten» für sich vereinnahmen will.