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Wo wohnt Gott?   

Winfried Bader zur Lesung am Fest Erscheinung des Herrn SKZ 51-52/2008

Alttestamentliche Lesung: Jes 60, 1–6
Evangelium: Mt 2,1–12

Das ist die Frage, die alle Kinder stellen, wenn sie merken, dass man den Himmel mit dem Flugzeug durchqueren kann, ohne Gott zu sehen. Es ist die Frage, welche die drei Sterndeuter stellen und zunächst fehl gehen, weil für sie der neue König in Jerusalem wohnen muss – die Stadt, die selbst Gott als Wohnsitz angemessen ist. «Wo wohnt Gott?», können sie als Frage jedem Besucher der Weihnachtsgottesdienste stellen und die Antwort ist klar. Aber im Stall haben die drei Sterndeuter Jesus nicht gefunden. Der kleine Sohn wohnt in einem richtigen Haus. Wo wohnt Gott? Das ist eine Frage, die auch die hebräische Bibel stellt und seither alle Juden und besonders die jüdische Mystik und der Chassidismus auf ihre Weise beantworten.

Mit Israel lesen

Der neu gebaute Tempel ist wieder eingeweiht (515 v. Chr.), der Ort für die Gegenwart Gottes steht also wieder mitten in der Stadt, die Exilszeit ist endlich überwunden, und trotzdem stellt sich der erwartete Zustand des Glücks nicht ein, denn in Jerusalem herrscht Dunkelheit. Sie wird konkret beschrieben: «Eure Sünden verdecken das Gesicht Gottes» (Jes 59,2), «eure Hände sind mit Blut befleckt, eure Lippen lügen» (Jes 59,3), «keiner hält ehrlich Gericht» (Jes 59,4), «ihre Taten sind Taten des Unheils» (Jes 59,6), «den Weg des Friedens kennen sie nicht» (Jes 59,8). «Wir hoff en auf Licht, doch es bleibt fi nster, wir tasten uns wie Blinde an der Wand entlang, als hätten wir kein Auge, wir leben im finstern, wie die Toten» (Jes 59,9– 10). Das ist der reale Zustand in Jerusalem: «Wir kennen unsere Schuld: Untreue und Verleugnung des Herrn, Abkehr von unserem Gott» (Jes 59,13–14), legen die Bewohner ein Schuldbekenntnis ab. Es gibt Gott die Basis für sein erbarmendes Eingreifen: «Doch für Zion kommt der Erlöser» (Jes 59,20).

Durch die Umkehr des Volkes kommt in die Dunkelheit das Licht. «Erhebe dich, werde Licht, denn dein Licht ist gekommen» (Jes 60,1). Die Imperative sprechen die Stadt Jerusalem an; Jerusalem soll selbst Licht werden. Gleichzeitig wird gesagt, dass dieses Licht – von aussen – kommt. Wie geht das zusammen? Der Midrasch erklärt es mit Verweis auf Ps 36,10: «In deinem Licht sehen wir das Licht», so dass klar ist, es ist Gott selbst, der dieses Licht ist. Rabbi Jochanan erzählt: «Ein Mann ging in der Abenddämmerung. Da begegnete ihm ein anderer und zündete ihm eine Kerze an, doch die Kerze erlosch. Wieder kam einer, zündete ihm eine Kerze an, doch auch sie erlosch. Da sagte der Mann: Von jetzt an warte ich aufs Licht des Morgens». Es ist das Licht Gottes, das nie erlischt und alles überstrahlt. Nicht die Menschen entzünden es, sondern Gott. Das grosse Licht ist ein Geschenk Gottes an die Menschen, das einzige, was notwenig ist. Nicht einmal Sonne und Mond braucht es mehr: «Nicht mehr wird die Sonne für dich Licht sein am Tag, und nicht der Mond wird als Lichtglanz für dich leuchten: Der Herr wird ewiges Licht sein für dich» (Jes 60,19).

Das Licht wird gleichgesetzt mit der Herrlichkeit Gottes: «und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir» (Jes 60,1b). Die Herrlichkeit ist die Schechina, die Einwohnung Gottes, die jetzt wieder in Jerusalem ihren Sitz nimmt – so Rabbi Abarbanel. Diese Immanenz Gottes wird jeden Freitagabend in dem Gebet der safidischen Juden aus dem 16. Jahrhundert begrüsst mit einem Lied, dessen 5. Strophe Jes 60 zitiert:

«Wach auf, wach auf! Denn dein Licht kommt. Erhebe dich, werde Licht! Wach auf, wach auf und sing ein Lied. Die Herrlichkeit des Herrn erscheint über dir!»

Die Schechina Gottes, die sich in diesem Licht zeigt und konkret Sabbat für Sabbat als gegenwärtig erlebt und begrüsst wird, wirkt auch auf die Völker. Auch sie sitzen im Dunkel (Jes 60,2) und werden durch das aufstrahlende Licht erleuchtet. Der Text hebt diesen Aspekt ausdrücklich hervor: «Dunkel der Völker» ist chiastisch umschlossen von der «Herrlichkeit des Herrn, die über dir strahlt» (V1) und dann gedreht «über dir erstrahlt der Herr, seine Herrlichkeit wird sichtbar» (V2).

Der Bogen des Texts spannt sich so:

a) Aufforderung, Licht zu werden, b) Begründung, denn dein Licht kommt, c) der bisherige Zustand ist die Finsternis, d) es folgt der neue Zustand für Israel und e) in V3 der neue Zustand für die Völker. Vv4–6 beschreiben f ) den neuen Zustand für Israel und die Völker. Die Völker stehen aber ganz im Dienst Israels. Sie bringen den Reichtum und die Geschenke aus ihren Ländern für Jeru salem. Vor allem aber bringen sie aus der ganzen Welt die Söhne und explizit auch die Töchter Jerusalems an den Ort der göttlichen Gegenwart.

Mit der Kirche lesen

Das Kamel, das aus unseren Krippenszenen als Begleiter der «Heiligen Drei Könige» nicht wegzudenken ist, hat sicherlich seinen Anhaltspunkt in Jes 60,6. Wahrscheinlich hat auch Matthäus zwei Geschenke der Sterndeuter für das Jesus Kind von hier übernommen. Der aufgehende Stern ist eine Anspielung auf den Text, auch wenn er literarisch von Bileam her stammt (Num 24,17). Die eigentliche Parallele der beiden Perikopen liegt in der weiteren Frömmigkeitsgeschichte. Die Botschaft von Matthäus wurde durch Weihnachten b kannt und gleichzeitig verfälscht. Sein Gedanke ist, dass Gott in die Welt kommt, als Mensch in einem Haus wohnt. Für Matthäus steht dabei nicht das bedürftige Windelkind im Vordergrund, sondern das königliche Kind, dessen Stern so leuchtet, dass von weither die Völkerwallfahrt einsetzt. Das ist die Tradition der Drei Könige. Sie kommen aus der ganzen bekannten Erde, der Weisse mit dem Pferd aus Europa, der Braune mit dem Kamel aus Asien und der Schwarze mit dem Elefanten aus Afrika. Sie sind selbst Könige, die den göttlichen König zu verehren. Der grosse Gott – nicht das Kind – ist in die Welt gekommen, sein Name ist Immanuel: Gott ist mit uns (Mt 1,23). Es ist die gleiche Idee, wie sie die rabbinische Frömmigkeit mit dem Gedanken der Schechina entwickelt hat: Gott wohnt bei uns.

Die Schechina Gottes

Der Begriff Schechina (hebräisch: škynh von der Wurzel škn – wohnen, zelten, Substantiv: miškan – Zelt; andere Umschrift Schechinah, Schekina) bezeichnet in der jüdischen Theologie die «Einwohnung » oder «Wohnstatt» Gottes in Israel, die als Inbegriff der Gegenwart Gottes bei seinem Volk verstanden werden kann. Von seinem Ursprung weist der Begriff auf die Wüstenzeit zurück. Gottes Gegenwart manifestiert sich in seinem Zelt – lat. tabernaculum, ein wichtiger Ort der christlichen Spiritualität – und der darin aufgestellten Bundeslade mitten unter dem Volk (vgl. Ex 25,8–9). Schechina ist die Immanenz Gottes, seine Funken in der Welt. Sie gehört wie die Sophia zu der weiblichen Seite Gottes und wird u. a. als Braut in Gestalt der «Königin Sabbat» verehrt. Das Bedeutungsspektrum schliesst eine Reihe von Nebenbedeutungen wie «Ruhe», «Glück», «Heiligkeit» oder «Frieden» ein, immer als Merkmale, die den Wirkungskreis der Gegenwart Gottes charakterisieren und für den Menschen spürbar werden lassen.