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«Ehe du ein Haus baust in der Stadt...»   

Peter Zürn zur Lesung am 4. Adventssonntag SKZ 50/2008

Alttestamentliche Lesung: 2 Sam 7,1–5.8b–12.14a.16
Evangelium: Lk 1,26–38

«Ehe du ein Haus baust in der Stadt, schlage in der Wüste ein Zelt auf für deine Träume» sagt ein Sprichwort. Haus und Zelt, Stadt und Wüste stehen für zwei Lebensformen und zwei Haltungen dem Leben gegenüber. Sie werden im Sprichwort nicht gegeneinander ausgespielt, sondern in ein differenziertes und spannungsvolles Verhältnis gebracht: sich gegenseitig korrigierend und befruchtend.

Mit Israel lesen

Das Leitwort unseres Textes ist bajit, Haus. 16-mal kommt es im 7. Kapitel des zweiten Samuelbuches vor, 5-mal im Lesungstext. Bajit bezeichnet den Palast des Königs in Jerusalem (7,1.2), den geplanten Tempel (7,5) und die Dynastie der davidischen Könige (7,11.16). Bajit ist Ausdruck von Sesshaftigkeit und feststehenden Verhältnissen. Dem Haus in der Stadt steht das Zelt gegenüber, in dem die Lade Gottes wohnt. Sie ist das traditionelle Heiligtum der Stämme und in der Geschichte des Volkes eng verbunden mit der Wüstenwanderung. Die Lade ist die Verbindung zu einem Gott, der im Zelt wohnt (Ex 33,7–11). Der Lesungstext spielt am Übergang vom Zelt zum Haus. Kapitel 6 beschreibt den Weg der Lade, begleitet von ekstatischem Tanz und unterbrochen von erschreckenden Ereignissen (6,6 f.), in die geordneteren und sicheren Verhältnisse, mit denen 7,1 einsetzt.

Der Übergang geschieht aber nicht nahtlos und nicht unwidersprochen. Während der Prophet Natan den Plänen des Königs David beim ersten Hören und im Licht des Tages noch kritiklos zustimmt, meldet sich in der Nacht eine andere Stimme. In der Nacht sind die Mauern der Häuser durchlässiger. Die Nacht ist die Zeit für die Stimme des Zeltgottes, die Stimme der Wüste und der Nichtsesshaftigkeit. Sie meldet sich nicht direkt bei David, der den Übergang zur Sesshaftigkeit und zur staatlichen Ordnung verkörpert, sondern beim Propheten Natan und das obwohl dieser ein Stadtbewohner par excellence ist. Natan ist ein einflussreicher Jerusalemer aus der jebusitischen Oberschicht, den David nach der Eroberung der Stadt in seinen Dienst übernimmt. In den kommenden dynastischen Streitigkeiten um die Nachfolge Davids setzt er dementsprechend seinen politischen Einfluss für Salomo, den Sohn der Jerusalemerin Batseba ein. Die Stimme des Wüsten- und Zeltgottes meldet sich bei dem, der in der neuen Führungselite am Hof Davids als früherer Gegner und «heidnischer Kanaanäer» vermutlich verdächtig und umstritten war und deswegen am Rand stand. Wie die Nacht die Zeit des Zeltes im Haus, so ist der Rand der Ort des Zeltes in der Stadt. Natan formuliert die Bedenken gegen einen Tempelneubau in Jerusalem aus Sicht der alteingessenen Jerusalemer, die darin wohl einen Affront der neuen Herrscher gesehen hätten. Er sucht das friedliche Zusammenleben der alten und neuen Bewohnerinnen und Bewohner und das verbindet den Städter Natan mit dem Zeltgott.1

Diese Verbindung ermutigt ihn in unserem Text zu einem «Ja, aber» den Plänen des Königs gegenüber. Daraus wächst später sein klares Eintreten gegen den König, der seine Macht missbraucht, indem er Menschen wie Besitz behandelt (Batseba) und bereit ist, andere (Urija) für seine Interessen zu opfern (2 Sam 11–12). Aber auch wenn der Widerstand gegen den Bau eines Tempels zunächst von Natan laut wird, so findet er bei David ein offenes Ohr. Schliesslich hat David ja die Lade als ekstatischer Tänzer in die Stadt begleitet, sich damit mit dem «Gesindel» gemein gemacht und sich gegen den Widerstand eingesessener Kreise am Hof durchgesetzt, die von der Königin Michal2 verkörpert werden (2 Sam 6,20 ff .). Auch im kleinen Hirten, der wider alle Erwartung zum König wird, kommt etwas von dem in die Stadt, wie sich der Zelt- und Wüstengott den Umgang mit Macht erträumt.

Aber auch im Haus des Hirtenkönigs stapeln sich die Leichen im Keller. Kurze Zeit später begeht David Ehebruch mit Batseba, der Frau des Hethiters Urija, der als Soldat in Diensten Davids steht. Sie wird schwanger, und um seine Vaterschaft zu vertuschen, holt David Urija von der Front und schickt ihn zu seiner Frau. Urija aber weigert sich: «Die Lade und Israel und Juda wohnen in Zelten … und ich sollte in mein Haus gehen … um bei meiner Frau zu liegen?» Urija wird auch zum theologischen Gegenspieler Davids. Während der König, der im Palast wohnt, seinen Gott in einem Haus unterbringen will, bleibt Urija, der wie Natan ein Gojim ist, dem nichtsesshaften Gott des Wüstenzeltes treu. Urijas Schwur: «So wahr der Herr lebt … ich tue so etwas nicht» (2 Sam 11,11) liest sich im Zusammenhang mit 2 Sam 7 wie eine massive Anfrage an David: Will er für Gott nur deswegen ein Haus bauen, um über ihn verfügen, ihn für seine Interessen manipulieren zu können? Urijas Tod zeigt aber auch in tragischer Weise auf, dass die Menschen, die mit Gott aus Ägypten in die Wüste hinaus ziehen, immer wieder neu durch die Gewalt des Pharaos, der auch inmitten des Gottesvolkes auftreten kann, bedroht sind.

Die Spannung zwischen dem Haus in der Stadt und dem Zelt in der Wüste erweist sich als überaus produktiv. Sie verhilft dazu, genau hinzusehen und differenziert wahrzunehmen: nicht nur die festgefügten Steine und die Pracht der Paläste zu sehen, sondern auch die Leichen im Keller und den Hausherrn als Pharao. Der Raum zwischen Haus und Zelt verhilft dazu, einen eigenen Standort zu gewinnen, einen Freiraum, in dem aus dem Ja und Amen zu den Plänen der Mächtigen ein Ja, aber werden und von dem aus schliesslich jedem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet werden kann. Die jüdische Leseordnung sieht vor, dass 2 Sam 6–7 als Prophetenlesung zum Tora abschnitt Schemini (Lev 9–11) gelesen wird. Hier ist die Rede von Opfer und Opfermissbrauch und hier werden Menschen ermächtigt und angeleitet, differenziert wahrzunehmen, um «heilig und unheilig, unrein und rein unterscheiden» zu können (Lev 10,10).

Mit der Kirche lesen

In Lk 1,26–38 kommt der Engel Gottes in die Stadt. Maria empfängt eine Botschaft vom Gott des Hauses Jakob, dem Gott des Wüstenzeltes, dessen Kraft sie wie Zelttücher «überschatten» wird. Sie wird ein Kind gebären, wie ihre Verwandte Elisabeth und wie Frauen vor und nach ihr. Alle Menschen sind Geborene. Wir leben in der Spannung zwischen dem Behaustsein und dem Unterwegssein. Wir leben, weil wir die Fülle des Menschenhauses erfahren haben, Wärme, Nahrung, Zärtlichkeit, Sprache, Erziehung … Und wir leben, weil wir vom ersten Schrei an aus Häusern hinaustreten und zu unserem ganz Eigenen aufbrechen. Wir lösen diese Spannung nie auf, bleiben immer Verbundene und Aufbrechende – das ist das Geheimnis unseres Lebens. Das Buch Exodus hat dafür ein wunderbares Bild gefunden: Die Menschen des Gottesvolkes stellen sich in die Tür ihres Zeltes und neigen sich vor der Wolkensäule, die zum Zelt der Begegnung kommt (Ex 33,10). Ihnen gleich tun es die «heidnischen» Sterndeuter. Und auch Maria steht in der Tür ihres Hauses, das zum Zelt geworden ist und sagt: «Mir geschehe nach deinem Wort.»

1 Vgl. Silvia Schroer: Die Samuelbücher (NSKAT 7). Stuttgart 1992 158.
2 Michal, Sauls Tochter, war Spielball im blutigen Konkurrenzkampf zwischen Saul und David (1 Sam 18,17 ff.) und ist die Überlebende von entsetzlichen Massakern an den Nachkommen Sauls, für die ihr Mann David mindestens mitverantwortlich ist, auch wenn die biblische Darstellung das beschönigt (u. a. 2 Sam 21,1–9). Ausser ihr überlebt nur Mephiboschet, der Sohn Jonatans und Enkel Sauls, der an beiden Füssen gelähmt ist. Vielleicht haben Michals Abneigung gegen den tanzenden David und ihre Kinderlosigkeit ja auch mit ihrer traumatischen Familien- und Ehegeschichte zu tun.