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Gaudete! Wer bitte?   

Dieter Bauer zur Lesung am 3. Adventssonntag SKZ 49/2008

Alttestamentliche Lesung: Jes 61,1–2a.10–11
Evangelium: Joh 1,6–8.19–28

Den 3. Sonntag in der Adventszeit feiert die Kirche traditionell als Freudensonntag: Gaudete! Das ist wohl auch der Grund, warum als Lesung ein Text aus dem Jesajabuch gewählt wurde, in dem es in besonderer Weise um die Freude geht: Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn. Meine Seele soll jubeln über meinen Gott (Jes 61,10). Ausserdem wurde dieser Text ja bekanntlich im Lukasevangelium auf den Freudenboten aus Nazaret bezogen: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe … (Lk 4,18 = Jes 61,1). Trotzdem ist das nicht so einfach mit der Freude. Vor allem lautet die Frage: Wer darf sich freuen? Und das ist eben nicht einfach die zum adventlichen Gottesdienst versammelte Gemeinde!

Mit Israel lesen

Wer den Text aus dem Jesajabuch – er stammt aus dem dritten Teil des Buches, also Tritojesaja (vgl. SKZ 174 [2006], Nr. 51–52, 857) – gut kennt, stellt fest, dass der Lesungstext mitten im zweiten Vers abbricht: Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe … (Jes 61,1–2a). Was die Liturgiker hier – wie übrigens bereits Lukas – weggelassen haben, ist die genauere Akzenturierung dieses «Gnadenjahres»: einen Tag der Vergeltung unseres Gottes (2b).

Traditionell wurde das immer so erklärt, dass es mit dem Kommen des Freudenboten Jesus von Nazaret keinen «Tag der Vergeltung» mehr geben könne. Schlimmstenfalls wurde das als weiterer Beleg dafür verstanden, dass der «barmherzige Vater» Jesu den Gott der Vergeltung des Alten Testaments abgelöst habe. Das aber ist nicht nur Unsinn, sondern hat eine verhängnisvolle Wirkungsgeschichte im Umgang mit dem Judentum zur Folge gehabt. Diese Kürzung der liturgischen Lesung ist also nicht ganz so harmlos oder «gut gemeint» (man will der Gottesdienstgemeinde die Freude nicht verderben?), wie sie auf den ersten Blick scheinen mag.

Welchen Sinn aber hat diese Akzenturierung des «Gnadenjahres» als «Tag der Vergeltung unseres Gottes»? Dazu ist zu bedenken, dass das «Gnadenjahr» die biblische Überlieferung vom «Jobeljahr» aufnimmt, einer Einrichtung des Judentums, die soziale Gerechtigkeit (wieder)herstellen sollte: Nach Lev 25 nämlich sollten alle Israeliten, die auf Grund einer sozialen Notlage ihr Grundstück hatten verkaufen müssen und/oder in Schuldsklaverei (und oft in Folge davon ins Gefängnis!) geraten waren, alle 50 Jahre eine Art «Generalamnestie» erfahren und ihr Land und ihre Freiheit zurückerhalten.

Diese sehr konkrete Regelung überträgt nun der Prophet auf die Situation in Jerusalem nach dem Exil. Offenbar herrschen schreiende Ungerechtigkeiten, wie der bekannte «Fastentext» bereits ein paar Kapitel vorher eindrücklich illustriert hat: Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und treibt alle eure Arbeiter zur Arbeit an. Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank und ihr schlagt zu mit roher Gewalt (…) Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen (Jes 58,3–7).

Dass ein solcher «Fasttag» natürlich nur den Opfern des Systems Freude bereitet, liegt auf der Hand. Solche Gerechtigkeit ist nicht einfach nur mit gutem Willen oder frommen Wünschen herzustellen. Das ist auch der Grund, warum Gott selbst eingreifen muss. Er ist es, der Gerechtigkeit herstellt. Er ist es, der die Ungerechtigkeit «vergilt». Der «Tag der Vergeltung unseres Gottes» ist Trost für die Opfer und Grund zur Freude, aber eben nur für diese: damit ich alle Trauernden tröste, die Trauernden Zions erfreue, ihnen Schmuck bringe anstelle von Schmutz, Freudenöl statt Trauergewand, Jubel statt der Verzweiflung (Jes 61,2 f.). Die ersten drei Verse von Jes 61 gehören einfach zusammen! Nur so wird sichtbar, wie das mit dem Gott Israels ist. Er ist kein Gott, bei dem alles immer einfach nur beim Alten bleibt. Wo Menschen Unrecht geschieht, tritt er auf den Plan. «Israel, seine Armen und Gott bilden eine Trias, die singulär in der antiken Welt ist» (Clemens Thoma1).

Dieser Gott hat nach Jes 57,15 «drei Wohnsitze»: Denn so spricht der Hohe und Erhabene, der ewig Thronende, dessen Name «Der Heilige» ist: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum, und ich bin auch bei den Zerschlagenen und Bedrückten, um den Geist der Bedrückten wieder aufleben zu lassen und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben. So wie Gott sich für seine Zerschlagenen und Bedrückten engagiert, so droht er den Schlägern und Bedrückern: Euch aber, die ihr den Herrn verlassen, meinen heiligen Berg vergessen, dem Glücksgott den Tisch gedeckt und dem Gott des Schicksals den Weinkrug gefüllt habt, überantworte ich dem Schwert: Ihr müsst euch alle ducken und werdet geschlachtet. Denn ihr gabt keine Antwort, als ich euch rief, als ich zu euch redete, hörtet ihr nicht, sondern ihr habt getan, was mir missfällt, und habt euch für das entschieden, was ich nicht will (Jes 65,11 f.). Diejenigen, die «dem Glücksgott den Tisch gedeckt und dem Gott des Schicksals den Weinkrug gefüllt haben» brauchen angesichts der momentan aktuellen Finanz-, Banken- und Börsenkrise sicher keine besondere Aktualisierung!

All die weltweiten Opfer dieses Systems, die (wieder einmal) davon träumen, dass aus dem Desaster Konsequenzen gezogen werden, wie seinerzeit aus der Katastrophe des Exils, dürften sich dann freuen, wenn endlich Gerechtigkeit hergestellt wird. Ihnen gelten die Schlussverse der Lesung: Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn. Meine Seele soll jubeln über meinen Gott. Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit, wie ein Bräutigam sich festlich schmückt und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt. Denn wie die Erde die Saat wachsen lässt und der Garten die Pflanzen hervorbringt, so bringt Gott, der Herr, Gerechtigkeit hervor und Ruhm vor allen Völkern (Jes 61,10 f.). Damit das geschehen kann, darf aber nicht der «Mantel des Vergebens und Vergessens» über schreiende Ungerechtigkeiten gebreitet werden, sondern eben der «Mantel der Gerechtigkeit»!

Mit der Kirche lesen

Bereits in den Schriften von Qumran wurde das «Gnadenjahr» aus Lev 25 eschatologisch auf das Gericht Gottes bezogen, bei dem der endzeitliche Priesterkönig Melchisedek (vgl. Gen 14,18) die Heiligen aus der Hand Belials befreit und ihnen die Herrschaft überträgt (11 Q 13, II, 9). Diese Erwartungen auf den apokalyptischen Umbruch der Zeit waren zur Zeit Jesu höchst virulent. Und so verwundert es nicht, dass im Johannesevangelium an den taufenden Propheten in der Wüste solche Erwartungen herangetragen werden (Joh 1,19–21). Für ihn aber ist Jesus von Nazaret der gesalbte Geistträger (1,32), mit dem das «Gnadenjahr des Herrn» (vgl. Lk 4,19) höchst konkret anbrechen wird.

1 vgl. hierzu und zum Folgenden: Clemens Thoma: Fremde, Schuldner, Benachteiligte in Bibel und jüdischer Tradition; religion.orf.at/projekt03/religionen/judentum/fachartikel/re_ju_fa_fremde_schuldner.htm