Wir beraten

3. Vortrag: Die Bindung Isaaks und die Kreuzigung Jesu – Jona und die Auferstehung   

Die Bilder Seitenaltäre in der Stadtkirche Baden

Ich begrüsse Sie ganz herzlich zum dritten und letzten Vortrag in der Reihe über die Bilder der Seitenaltäre und das Gespräch, das sie miteinander führen. Im Zentrum steht ja das Gespräch zwischen den Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament. Ich möchte mit einem kleinen Rückblick auf die Altarbilder zum Alten Testament beginnen, die wir bereits gesehen haben. Ich möchte ihnen nochmals Raum geben, weil die alttestamentlichen Szenen im Christentum oftmals als weniger wichtig betrachtet werden, was sich ja auch hier an den Altarbildern zeigt. Die Bilder mit den alttestamentlichen Motiven sind viel kleiner als die neutestamentlichen und sie hängen so weit oben, dass sie nur schwer zu erkennen sind.

Hier nochmals das Bild von Mose am brennenden Dornbusch, das sich auf dem mittleren Seitenaltar auf der rechten Seite findet.

Bevor wir noch einmal einen genaueren Blick darauf werfen, hören wir erstmal Musik.

Musik

Als Mose im brennenden Dornbusch Gott begegnet, fragt er ihn nach seinem Namen. Und Gott antwortet mit dem berühmten Ausspruch: Ich bin der Ich-bin-da.
Im Hebräischen wurde aus diesem Ausspruch das Tetragramm, der Gottesname in vier Konsonanten. J, H, W, H. Im Christentum sprechen wir diesen Gottesnamen manchmal als Jahwe aus. Das Judentum vermeidet es, den Namen Gottes auszusprechen und verwendet dort, wo in der Bibel die vier Konsonanten des Tetragramms auftauchen andere Bezeichungen: Adonaj, der Herr, oder der Lebendige, gelobt sei er und viele andere.

Auf dem Bild des Seitenaltars sind vier hebräische Buchstaben in den Dornbusch hineingemalt. Der Künstler hat auf dem Bild wohl das Tetragramm darstellen wollen, die vier Konsonanten J, H, W und H oder Hebräisch Jod, He, Waw und nochmals He. Jedenfalls gibt es kein anderes hebräisches Wort, das so aussieht. Ich habe es übeprüft und zwei Menschen mit guten Hebräischkenntnissen gefragt.
Was hier steht, sieht aber nur so ähnlich aus wie die vier Buchstaben Jod, He, Waw und He. Der erste Buchstabe, der ganz rechts steht, weil das Hebräische ja von rechts nach links geschrieben wird, ist viel zu lang für ein Jod und die beiden He gleichen eher dem Buchstaben Chet, ch. Da sind die Unterschiede aber eh sehr gering. Früher, als Bücher noch von Hand geschrieben wurden, ist das wohl gerade bei diesen beiden Buchstaben jod und he oft passiert, dass sie ungenau geschrieben wurden und so dem glichen, was wir hier vor uns sehen. Vielleicht hat der Künstler für sein Bild in einer hebräischen Bibelhandschrift nachgelesen und entweder weil es dort ungenau geschrieben war oder weil seine Hebräischkenntnisse nicht gut genug waren, kam das heraus, was wir heute vor uns sehen.
Das Hebräische war ursprünglich eine Schrift, bei der nur Konsonanten geschrieben wurden. Die Vokale wurden erst zu sehr viel späterer Zeit hinzugefügt. Die Vokale sind die kleinen Punkte oberhalb und unterhalb der eigentlichen Buchstaben. Auch die Vokale hier entsprechen nicht den Vokalen, die zum Tetragramm hinzugefügt wurden. Die jüdischen Gelehrten, die den Namen Gottes ja nicht aussprechen wollten, haben den vier Konsonanten J, H, W und H die Vokale eines anderen Wortes hinzugefügt. Sie haben die Vokale des Wortes verwendet, das man statt dem Gottesnamen aussprechen sollte, die Vokale des Wortes Adonaj, Herr. So entstand das Missverständnis der Gottesname in der Bibel lautet Jehova. Jehova besteht aus den Konsonanten des Gottesnamen und den Vokalen von Adonaj, Herr. Der Ausdruck Jehova zeigt, dass die hebräischen und theologischen Hintergründe bei den Christinnen und Christen späterer Zeiten nicht mehr bekannt waren. Unser Bild hat allerdings noch mal eine etwas andere Variante bei den Vokalen, die ich so noch nie irgendwo gesehen habe. Vielleicht steckt dahinter auch eine theologische Absicht und die ist dann sehr gut: vielleicht steckt hinter der merkwürdigen Schreibweise ja die Ehrfurcht vor dem Gottesnamen, den die jüdische Tradition bewahrt hat: man soll diesen geheimnisvollen Namen Gottes nicht aussprechen und eigentlich auch nicht abbilden. Vielleicht hat der Künstler unseres Altarbildes aus dieser Scheu und Ehrfurcht heraus, den Gottesnamen in diesem Bild gleichsam verborgen. Damit wäre die Bildgestaltung ein Vorbild im Umgang mit dem Geheimnis Gottes.
Und selbst wenn einfach nur mangelnde Hebräischkenntnisse hinter diesem Bild stecken, können wir es uns trotzdem dafür zum Vorbild nehmen.

Schauen wir auch nochmals auf das Bild von Kain und Abel auf dem mittleren Seitenaltar auf der linken Seite.

Beim Bild, bei dem das Opfer Abels im Zentrum steht, können wir schon sicherer sagen, dass der Künstler mit den alttestamentlichen Opferregeln nicht sehr vertraut war. Die Kentnnisse über diese Regeln, wie sie vor allem in den Büchern Leviticus und Numeri vorkommen, sind bei Christinnen und Christen äusserst beschränkt. Die entsprechenden Texte werden kaum einmal gelesen.
Wir haben ja bereits gesehen, dass Abel in der Geschichte anders als Kain sein Opfer nach diesen biblischen Opfervorschriften darbringt. Indem er die Erstgeburt opfert, bringt er zum Ausdruck, dass alles Leben letztlich Gott gehört und nicht der Mensch der Herr über das Leben ist. Nach dem biblischen Text im Buch Genesis opfert Abel aber nicht nur die erstgeborenen Tiere, er opfert wie es heisst «von ihrem Fett». Auch damit folgt er einer Vorschrift in der Tora. In Numeri 18,17 wird gesagt, dass menschliche Erstgeburten vom Opfer ausgenommen sind und ausgelöst werden sollen. Und dann heisst es:
«Aber die Erstlinge vom Rind, vom Schaf oder von der Ziege darfst du nicht auslösen; sie sind heilig. Ihr Blut sollst du auf den Altar sprengen und ihre Fettteile als Feueropfer zum beruhigenden Duft für den Herrn in Rauch aufgehen lassen. Ihr Fleisch gehört dir,

Auf unserem Altarbild wird aber das ganze Tier verbrannt. Mit Haut und Haaren sozusagen. Der Maler unseres Bildes kannte die Opfervorschriften der Tora also nicht besonders gut. Nicht das ganze Tier mit Haut und Haaren soll dort verbrannt werden, sondern nur das Fett. Das Fleisch bleibt zum Essen. Das Fett steht für das Beste, Vorzüglichste an den Erzeugnissen des Landes. Immer wieder braucht die Bibel den Ausdruck das «Fett des Landes» (z.B. Gen 45,18). Fett ist Ausdruck für die materielle Seite der Verheissung, für ihre reale, spür- und schmeckbare und vollkommene Erfüllung, für das wiedergefundene Paradies auf Erden. Im Opfer des Fettes wird Abel seiner Situation gerecht: Er lebt jenseits von Eden, nicht in Eden, nicht im verheissenen Land. Das Opfer des Fettes ist Ausdruck dafür, dass das Leben auf dieser Welt noch nicht das verheissene Leben ist. Später führte das zur Vorstellung einer messianischen Endzeit. Abel und wir alle leben jenseits von Eden, wir leben noch nicht in der Fülle der uns verheissenen messianischen Endzeit. Das Opfer des Fettes macht bewusst, was uns verheissen ist und was wir ersehnen und erhoffen. Es hält unsere Sehnsüchte und die Träume vom Leben in Fülle wach.

Jesus greift das auf, wenn er beim Abendmahl sagt:
«Ich werde nicht mehr von diesem Brot essen und nicht mehr von diesem Wein trinken, bis das Reich Gottes da ist.»

Der Künstler der Altarbilder konnte also vermutlich wenig Hebräisch und er kannte die Vorschriften der Tora über das Opfern nicht besonders gut. Vermutlich hatte er wenig Beziehungen zu jüdischen Menschen. Und trotzdem zeigen die Darstellungen der alttestamentlichen Szenen immer wieder bemerkenswerte Gemeinsamkeiten mit der jüdischen Auslegung biblischer Texte.

Immerhin stellt er ja das Opfer Abels ins Zentrum des Bildes. Er folgt damit dem Hebräerbrief aus dem Neuen Testament, einem Text, der ganz stark judenchristlich geprägt ist. Und er macht deutlich, was auch die jüdische Auslegung im Bibeltext liest: In Abels Opfer zeigt sich seine Haltung: er wird Gott gerecht und er wird der Situation des Menschen jenseits von Eden gerecht. Abel ist ein Gerechter. Im Mord an Abel kommt die Erfahrung zum Ausdruck, dass Gerechte in dieser Welt, wie sie ist, oftmals Gewalt erleiden.

Die Aufmerksamkeit der Altarbilder für die Opfer von Gewalt zeigte sich auch schon bei der Darstellung der Sintflut. Im Vordergrund stehen die Ertrinkenden, nicht die rettende Arche und sie erwecken Mitleid, auch wenn sie nach dem Text dafür verantwortlich sind, dass die Erde erfüllt ist von Gewalttat.
Das gleiche Mitleid mit den Menschen, die Täter und Opfer zugleich sind, kommt in der jüdischen Auslegung der Exoduserzählung zum Ausdruck. Sie erinnern sich vielleicht: als die Engel wegen der Befreiung des Volkes Israel in Jubellieder ausbrechen wollen, hindert sie Gott daran. Er sieht die ertrunkenen Ägypter und trauert um sie, denn «auch sie sind meine Geschöpfe».

Ganz verdichtet ist diese Sympathie für die Menschen wie sie nun mal sind, in der Szene mit der ehernen Schlange zu finden.
Das Bild räumt den Menschen einen grossen Raum ein, einer bunten Vielfalt von Menschen. Sie sind die Identifikationsfiguren für uns, die wir das Bild betrachten.
Der Bibeltext erzählt, dass die Menschen des Volkes Israel auf dem langen Weg durch die Wüste an Gott und seiner Verheissung zu zweifeln beginnen. Daraufhin schickt Gott Giftschlangen, die Menschen werden gebissen und sterben. Die Menschen bereuen und bitten Mose für sie zu Gott zu beten. Gott antwortet: «Mach dir eine Schlange und häng sie an einer Fahnenstange auf. Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht.»
Die jüdische Bibelauslegung hat in dieser Geschichte eine Geschichte über die Bedeutung von Umkehr und Vergebung gesehen. Sie hat bemerkt, dass die Menschen nach den Bissen der Schlangen sehr schnell reagieren, dass sie vor Mose ihr Fehlverhalten bekennen und dass Mose daraufhin sofort für das Volk zu Gott betet. «Daraus lernen wir zweierlei – sagt die Auslegung – : die Bescheidenheit Mosches und die Kraft der Reue. Und auch, dass derjenige, der ernsthaft um Vergebung gebeten wird, nicht zornig bleiben sollte» (Midrasch BemidbarRabba 19,26).
«Vergib und unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern» heisst es im Vater unser. Wir können nur leben, wenn wir immer wieder neu anfangen können, wenn wir nicht für alle auf unsere früheren Taten oder Versäumnisse festgelegt werden. Die jüdische Philosophin Hannah Arendt hat zwei wesentliche Fähigkeiten benannt, die das Leben von Menschen miteinander erst möglich machen: sich etwas versprechen und sich verzeihen.

Die Altarbilder führen Gespräche mit den biblischen Texten. Damit setzen sie ein Gespräch fort, das bereits innerhalb der Bibel geführt wird. Ich lese die Bibel als ein langes Gespräch zwischen Texten. Die Vorstellung, dass Bibeltexte ein Gespräch miteinander führen, ist vielleicht überraschend, dabei ist sie uns sehr vertraut. Denn in jedem Gottesdienst lesen wir einen alttestamentlichen Text als Lesung und einen neutestamentlichen Text als Evangelium. Die Auswahl der beiden Texte folgt in der römisch-katholischen Kirche einer Leserordnung. Diese Leseordnung bringt also immer einen alt- und einen neutestamentlichen Text miteinander ins Gespräch. Manchmal hat die Auswahl der Texte etwas mit dem Kirchenjahr und seinen Festen zu tun.
Morgen feiern wir in der Katholischen Kirche zum Beispiel das Fest Kreuzerhöhung. Nach altkirchlicher Überlieferung fand die Kaiserin Helena am 14. September 320 in Jerusalem das Kreuz, an dem Jesus gestorben ist. Sie liess es in der neuerrichteten Grabeskirche aufstellen. Alljährlich zeigt man es am 14. September den Gläubigen, man «erhöhte» es im räumlichen Sinne, hob es in die Höhe, damit es für alle zu sehen war. Mit der Zeit übernahmen auch andere Ortskirchen dieses Fest.
Der altestamentliche Text, der an diesem Fest gelesen wird, ist der Text aus dem Buch Numeri, der von der ehernen Schlange erzählt.
Die Leseordnung für dieses Fest bringt diesen Text mit einem Text aus dem Johannesevangelium zusammen. Dort führt Jesus ein langes nächtliches Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus – ein Gespräch über Bibeltexte. Dabei sagt er: «Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat» (Joh 3,14).
Im Anschluss daran betont der Jesus des Johannesevangeliums, dass sich in dem Menschensohn Jesus Gottes rettendes Handeln für die Menschen zeigt. Jesus trägt dieses rettende Handeln in seinem Namen, Jesus bedeutet: Gott rettet. Und das Johannesevangelium macht deutlich, dass sich das rettende Handeln Gottes darin zeigt, dass Gott nicht als Richter für Gerechtigkeit sorgt, sondern uns als der Gott der Barmherzigkeit begegnet:
«Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird» (Joh 3,17).

Wir wünschen uns vermutlich alle einen barmherzigen und vergebenden Gott, einen Gott in dessen Mutterschoss wir einen neuen Anfang machen können. Das hebräische Wort für Barmehrzigkeit ist ja mit dem Wort für Mutterschoss verwandt.
Aber die biblischen Texte sind sich bewusst, dass wir mit diesem barmherzigen Gott auch Probleme haben können, etwa wenn er seine Barmherzigkeit auf Menschen ausdehnt, die wir lieber verurteilt sehen würden. Oder wenn wir entdecken müssen, dass wir letztlich aus derselben unverdient geschenkten Liebe heraus leben wie alle anderen Geschöpfe und so mit Menschen verbunden werden, mit denen wir nicht gerne verbunden sein wollen.
Die jüdische Tradition hat ein Lehrbuch dafür geschrieben, wie schwierig es sein kann, mit Gottes Barmherzigkeit zurecht zu kommen. Dieses Lehrbuch ist zu einem Teil der Heiligen Schrift geworden, es ist das Buch des Propheten Jona.

Er ist auf dem fünften alttestamentlichen Altarbild zu sehen, hier rechts oben.

Die Bilder der Seitenaltäre, die wir bisher betrachtet haben, haben eine relativ aussergewöhnliche Zusammenstellung von alt- und neutestamentlichen Motiven gezeigt: Maria auf der Arche, Abel beim Abendmahl, die eherne Schlange an der Krippe – das sieht man nicht so oft.
Die vier Bilder auf den Seitenaltären direkt neben dem Chorraum zeigen eine Zusammenstellung von Motiven, wie sie in der christlichen Kunst und Theologie sehr oft vorkommt:
Die Opferung Isaaks und die Kreuzigung Jesu sowie die Rettung des Jona nach drei Tagen im Bauch des Fisches und die Auferstehung Jesu am dritten Tag.
Die traditionelle Deutung ist die der Typologie. Die Szenen aus dem Alten Testament sind Typen, Vor-Bilder, Vorausbilder für das spätere Geschehen um Jesus.
Also so wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches war, so war Jesus drei Tage im Rachen des Todes. Und so wie Abraham bereit ist, seinen Sohn Isaak zu opfern, so ist auch Gott bereit, seinen Sohn am Kreuz für uns zu opfern.
Mit dieser Vorstellung ist meist eine Überbietung verbunden: was in Isaak und Abraham bzw. in Jona vorgebildet war, das kommt in Jesus endgültig zur Erfüllung.
Nichts gegen dieses Deutung. Aber sie macht aus dem Gespräch zwischen Bibeltexten eine Einbahnstrasse. Das Gespräch läuft nur in eine Richtung, es ist gleichsam ein Frage-Antwort-Spiel. Das Alte Testament stellt die Frage, das Neue Testament gibt die Antwort. Das Alte Testament ist die Verheissung, das Neue Testament ist die Erfüllung.
Ich mag solche Einbahn-Gespräche nicht besonders. Viel inspirierender, viel lebendiger sind doch offene Gespräche, ein Hin und Her, ein Suchen und ein Ringen um die Wahrheit, um das was sich be-währen könnte und früher bereits bewährt hat, im Leben von glaubenden und suchenden Menschen.

Schauen wir uns daraufhin die Geschichte von Jona genauer an. Das Buch Jona ist kein historisches Text. Es handelt von einem Propheten, der nach Ninive, in die Hauptstadt des assyrischen Grossreiches geschickt wird. Er soll der Stadt das drohende Strafgericht androhen. Das Buch Jona ist geschrieben worden, lange nachdem Ninive, die grosse und mächtige Stadt und mit ihr das Assysrerreich untergegangen ist. Es ist viele hundert Jahre später geschrieben worden. Zur Zeit seiner Entstehung waren andere Städte und andere Reiche an der Macht. Das Buch Jona handelt nicht von einem bestimmten historischen Propheten und seinem ganz konkreten Auftrag, sondern von einem grundsätzlichen Problem, das sich immer wieder im Verlauf der Geschichte stellt, auch über die biblische Zeit hinaus – bis heute. Dabei ist die Wahl der Stadt Ninive für das Lehrstück aber trotzdem wichtig. Unter dem Assysrerreich mit seiner Haptstadt Ninive hat das Volk Israel entsetzlich gelitten. Im Jahr 722 wurde das Nordreich erobert und zerstört, die Bevölkerung gefangen genommen und deportiert, Menschen aus anderen Gegenden wurden angesiedelt. Die Grausamkeit der assyrischen Kriegsführung und Politik war sprichwörtlich. Das Wort Assur löste damals Angst und Schrecken aus. Dieses Bild von Assur war noch in den Köpfen der Menschen gegenwärtig als viele hundert Jahre später das Buch Jona entstand. Es ist schwierig mit historischen Vergleichen, vor allem mit Vergleichen in denen der Nationalsozialismus vorkommt, aber ich wage es. Das Buch Jona in die Gegenwart übertragen könnte davon handeln, dass Gott einen Propheten 1941 nach Berlin schickt ins Führerhauptquartier, damit er dort die Menschen zur Umkehr aufruft.

Das Jonabuch stellt die Frage: Räumt der biblische Gott der Schöpfung allen Menschen, egal was sie getan haben, die Chance zur Umkehr ein? Ist er ein Gott der grenzenlosen Liebe zu allem Lebendigen? Sind wir, weil wir die Ebenbilder dieses Gottes sind, dazu herausgefordert und liebevoll eingeladen, es ihm gleichzutun?
Die Antwort des Jonabuches ist ein klares JA. Was wir gerne als Besonderheit des Neuen Testamentes und der Botschaft Jesu verstehen, ist auch die Botschaft des Alten Testamentes.
Umkehr, Vergebung, Neuanfänge sind Auferstehungserfahrungen. Nicht die Mächte des Todes haben das letzte Wort, sondern das Leben.

Wir können Gott leichter nachahmen, wenn wir entsprechende Erfahrungen machen oder solche Erfahrungen erinnern: im Lehrbuch ermöglicht Gott dem Jona eine solche Erfahrung: er lässt ihm in der heissen Wüste einen Rhizinusstrauch als Schattenspender wachsen.

Vielleicht ist dieser Strauch auf unserem Altarbild rechts unten zu sehen. Und dann schickt Gott einen Wurm, der den Strauch anfrisst, so dass er verdorrt. Jona tut es leid um den Strauch und Gott macht ihm klar:
«Dir tut es leid um den Rhizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht grossgezogen hast ... Mir aber sollte es nicht leid tun um Ninive, die grosse Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben – und ausserdem so viel Vieh?»(Jona 4,10f.)
Die Geschichte hat durchaus humorvolle Züge. Ein bisschen macht sich Gott, machen sich die Autorinnen und Autoren der Geschichte über den Jona in uns allen lustig – auch wenn es durchaus um etwas Ernstes geht.
Der Rhizinusstrauch steht für all das, was wir unverdient und ohne Gegenleistung geschenkt bekommen, letztlich für unser Leben. Wir erhalten alles, was wir zum Leben brauchen, geschenkt. Wir verdanken uns nicht uns selbst, sondern Menschen, die vor uns da waren und die verdanken sich wieder Menschen, die vor ihnen waren und so immer weiter zurück bis zum Geheimnis Gottes, in dem all das geschenkte Leben gründet. Die Erinnerung an unser Geborensein in ein geschenktes Leben ist unser Rhizinusstrauch. Wenn wir uns an das Geschenk unserer ersten Geburt erinnern, dann können wir leichter in neue Geburten einwilligen, neue Anfänge wagen, Auferstehungserfahrungen machen. Und dann stärkt das unsere Hoffnung darauf, dass auch der Tod nichts anderes ist, als ein neue Geborenwerden, der Anfang eines neuen Lebens, der Übergang zur Auferstehung. Jona macht auf unserem Altarbild eine Auferstehungserfahrung.

Ich lade Sie jetzt wieder ein in den Raum des Wortes Gottes hineinzugehen. Die ganze Kirche steht ihnen offen dafür. Sie können selbstverständlich auch sitzen bleiben und den Gang innerlich machen. Aber wenn Sie wollen, dann gehen Sie doch auch körperlich durch den Raum. Ich lade Sie ein, in Begleitung von Jona durch den Raum zu gehen. Lassen Sie sich von Jona fragen: Welche Auferstehungserfahrungen hast du schon gemacht?

Längere Musik zum Gang durch die Kirche

Zwei Altarbilder stehen noch aus, ein letztes Gespräch zwischen Altem und Neuem Testament.

Es sind Bilder von dunklen, verstörenden und erschreckenden Bibelgeschichten. Die Kreuzigung Jesu hier hinter mir und die sogenannte Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham im kleinen Medaillon darüber. Im Judentum wird diese Geschichte die Bindung Isaaks genannt, hebräisch heisst das Akedah, was richtiger ist, denn zu einem Opfer kommt es ja nicht, Isaak wird nicht geopfert, sondern verschont.

Die beiden Bilder konfrontieren uns mit schrecklichen Wahrheiten mit denen wir umgehen müssen. Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu war seine brutale Hinrichtung vermutlich ein riesiger Schock. Der auf den sie all ihre Hoffnungen setzten, der, der sie aufrichtete und aufstehen liess, der, der verkörperte, dass das Reich Gottes angebrochen ist, der, der die Gegenwart des lebendigen Gottes erfahrbar machte, der war tot, war gebrochen und vernichtet. Wenn sie nicht verzweifeln wollten, mussten sie versuchen, diesen Tod irgendwie zu deuten, ihm einen Sinn zu geben, ihn aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk heraus zu verstehen.
Die Bibel ist hier ganz klar und radikal: Sie bringt alles, was geschieht, mit Gott in Verbindung. Auch die dunklen und schmerzlichen Seiten des Lebens, auch Leid und Tod. Sie weigert sich Gott nur mit den positiven und hellen Seiten des Lebens in Verbindung zu bringen und alles andere, einem Gegengott oder Teufel anzulasten.
Nein, der Gott der Bibel ist der einzige Gott und er wirkt in allem, was geschieht.
Das Judentum hat diese Sicht konsequenter durchgehalten als das Christentum. Es hat Gott immer auch als ein erschreckendes Gegenüber für die Menschen gesehen. Jüdische Menschen haben es immer vorgezogen, Gott lieber nicht zu verstehen, als ihm einen fast ebenbürtigen Konkurrenten entgegenzustellen. Und so ist die Rede vom dunklen, unverständlichen, auch bedrohlichen Gott ein wesentlicher Teil des Judentums geblieben.

Das wird in der Geschichte von der Bindung Isaaks ganz besonders deutlich. Hier kommen die zwei verschiedene Seiten Gottes zum Vorschein. Sie werden unterschieden, in dem der hebräische Text zwei verschiedene Gottesnamen verwendet. Im ersten Teil der Geschichte kommt die Seite Gottes vor, die Abraham auf die Probe stellt und von ihm verlangt, seinen Sohn zu opfern, seinen einzigen, den er liebt, an dem seine ganze Hoffnung für die Erfüllung der Verheissung hängt. Diese Seite Gottes trägt in diesemText den Namen Elohim. Im zweiten Teil des Textes kommt dann die Seite Gottes vor, die die Durchführung des Opfers verhindert, die einen Boten schickt, der Abraham in den Arm fällt und stattdessen einen Widder bereitstellt. Diese Seite Gottes trägt in diesem Text den Namen Jahwe.
Die beiden Seiten Gottes bleiben nebeneinander stehen. Sie werden nicht harmonisch aufgelöst und versöhnt, es erweist sich nicht der eine als richtig und der andere als falsch. Beide bringen etwas von dem zum Ausdruck, wie Menschen das Leben und darin Gott erfahren: auf die Probe stellend, lebensgefährlich und daneben auch rettend, bergend und dem Leben verpflichtet.
Den beiden Seiten Gottes, den beiden Seiten des Lebens sind wir auf den Altarbildern schon mehrfach begegnet: Gott der die Sintflut und die Arche schickt, Gott, der die Schlangen schickt und Rettung davor bietet.

Die Geschichte von Abraham und Isaak, die im Buch Genesis steht, ist ein gewaltiger Text. Er bietet viele Rätsel und Sinnschichten und wer meint, ihr auf den Grund gekommen zu sein, entdeckt, dass darunter noch mehr Böden sind. Die Geschichte bietet keine Lehre, sondern berichtet von einem Geheimnis, dem Geheimnis des Lebens, das dunkel und hell, lebensbedrohlich und lebensfördernd zugleich ist.
Die ersten christlichen Gemeinden haben den Tod Jesu im Licht ihres biblischen Glaubens zu deuten versucht. Sie haben viele verschiedene Deutungsmodelle entwickelt, eines davon, die Vorstellung, dass Jesus als Sühne für unsere Sünden gestorben ist, hat die stärkste Wirkung entfaltet. Andere Modelle sind in den Hintergrund getreten und vergessen gegangen.
Keines dieser Modelle ist aber die einzig richtige Deutung des Todes Jesu. Die verschiedenen Deutungen stehen miteinander im Gespräch, ringen miteinander, ergänzen sich, relativieren sich, widersprechen sich. Sie tun das, was die Bibel im Ganzen ausmacht, das Bücherbuch vieler Stimmen, wie es Kurt Marti genannt hat. Wir tun gut daran, in der Auseindersetzung mit dem Tod Jesu auf eine einheitliche Lehre zu verzichten. Auch die Erzählungen vom Tod Jesu bieten keine Lehre, sondern berichten von einem Geheimnis.

Ich möchte mit einem jüdischen Text schliessen, einer Auslegung der Geschichte von Isaak und Abraham, die auch Sara, die Frau Abrahams und Mutter Isaaks mit ins Spiel bringt. Es ist eine beunruhigende Deutung einer beunruhigenden Geschichte. Ich wage es, Sie damit nachher alleine zu lassen.
Ich hatte gesagt, dass in der biblischen und jüdischen Tradition der Teufel nie zum beinahe gleichwertigen Gegenspieler Gottes wird. Aber trotzdem kommt er vor. Er ist oftmals die Figur, die die inneren Gefühle und Gedanken der Menschen in den Geschichten zum Ausdruck bringt, vor allem ihre Zweifel und Widerstände. So auch hier in dem Text von Albert Friedlander. Es ist der Versuch, nach Auschwitz, nach der systematischen Ermordung von 6 Millionen jüdischer Menschen durch die Nationalsozialisten noch Theologie zu treiben, fragend und ringend Gott und die Welt, wie sie ist, in Verbindung zu bringen.

«Dunkel und verborgen war der Weg Abrahams ... Er ging um seinen Sohn zu opfern, um Gotteswort zu hören und zu tun. Ein unsichtbarer Teufel stand an jeder Strassenecke und flüsterte zu Isaak: «Dein Vater will ich dich morden. Greif ihn an; verteidige dich!» Aber die Treue umgab Abraham und Isaak, Hand in Hand wandelten sie zusammen zum Berg, zum Gott, der kein Menschenopfer wollte, zum Gott, der sie zurück in das Leben schickte.
Dunkel und verborgen war auch der Weg des Teufels. Als es ihm nicht gelang, die Treue zwischen Vater und Sohn zu zerstören, begab er sich zu Sara, die allein ijm Haus auf den Gatten und den Sohn wartete. Und er kam nach Hebron am dritten Tag, als Abraham und der befreite Isaak den Weg zu Sara gingen. «Sara», flüsterte der Teufel, «weisst du, was passiert ist? Weisst du, warum die beiden weggingen? Sicher ahntest du es. Abraham wollte deinen Sohn töten. Und er hat es getan. Das Messer traf das Herz, der Körper ging ins Feuer. Jetzt kommt er zurück, gleich ist er wieder da, mit der Aschenurne des Sohnes in der Hand.»
Dunkel und verborgen war der Weg Saras. Sie ging in das Leiden hinein, sie starb im Gram, wie es die Bibel erzählt: «Sara starb in Hebron, und Abraham kam, um sie zu beweinen...»
So erzählt es Rabbi Tanchuma. Denn er wusstem dass es keinen Gang durch die Nacht gibt, kein Treffen mit dem Teufel, wo der Tod nicht seine Opfer fordert. Die Akeda, die Prüfung Abrahams, verlangte seine Opfer.
Wer wurde geopfert?
«Keiner», sagte die Bibel.
«Das Kind», flüsterte der Teufel.
«Die Eltern», lehrte Rabbi Tanchuma.

Hören wir nach dieser Geschichte und zum Schluss nochmals Musik.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Geduld und Ihr