Wir beraten

Gott ist nicht zu gebrauchen   

Dieter Bauer zur Lesung am 19. Sonntag im Jahreskreis SKZ 31-32/2008

Alttestamentliche Lesung: 1 Könige 19,9a.11–13a
Evangelium: Matthäus 14,22–33

Eigentlich mag ich Elija nicht. So wie ich auch sonst Menschen nicht mag, die immer so genau zu wissen scheinen, was falsch und richtig ist, und anderen damit auf die Nerven gehen. Ich stelle mir diesen Propheten des 9. Jh. v. Chr. als ziemlich einsam, kauzig, rechthaberisch und zudem gewalttätig vor.

Nicht, dass es solche Menschen nicht auch sonst in der Bibel gäbe, aber nachdenklich macht mich hier zumindest, dass in der Erinnerung Israels ein so ganz anderer Elija das Übergewicht bekommen hat: der Nothelfer, der Wegbereiter des Messias, der «das Herz der Väter wieder den Söhnen … und das Herz der Söhne ihren Vätern zuwenden» wird (Mal 3,24), damit das Reich Gottes endlich anbrechen kann.

Offensichtlich finden sich schon innerhalb der biblischen Überlieferung Korrekturen an einem Elijabild, mit dem nachfolgende Generationen eher wenig anzufangen wussten.

Mit Israel lesen

Bevor wir den alttestamentlichen Lesungstext eingehender anschauen, sei (wieder einmal) auf die geradezu ärgerliche Beschneidung des Textes durch die Leseordnung verwiesen. So wie der Text jetzt daherkommt, ist der grössere Zusammenhang nicht (mehr) erkennbar, in dem er steht: die Flucht Elijas, nachdem er (vermeintlich) in einem ebenso grandiosen wie blutigen «Götterwettstreit» seinen Gott als den Einzigen erwiesen hatte (1 Kön 18). Es müsste also in jedem Fall ab V. 1 ohne Auslassungen bis V. 13a gelesen werden.
1 Kön 19,1 schliesst durch einen direkten Rückbezug an die davor erzählte Elijageschichte vom «Götterwettstreit» an: Elija, der meistgesuchte Mann im Königreich Israel, hatte die fast 1000 Prophetinnen und Propheten des Königshauses lächerlich gemacht, indem er ihre Ohnmacht angesichts einer bereits drei Jahre andauernden mörderischen Dürrekatastrophe erwies. Weder der Wettergott Baal, noch die Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin Aschera konnten den so notwendigen Regen senden. So hatte Elija das Volk (zunächst einmal) dazu gebracht, sich seinem Gott JHWH zuzuwenden, der als Einziger Leben spenden kann: «JHWH ist der (wahre) Gott, JHWH ist der (wahre) Gott!» hatte das «ganze Volk» gerufen (1 Kön 18,39). Wenn solche Kategorien für Propheten überhaupt gelten, dann muss das so etwas wie der Höhepunkt in der Karriere Elijas gewesen sein.

Doch der «Kater» lässt nach diesem Triumph nicht lange auf sich warten. Die Königin spricht umgehend sein Todesurteil (V. 2). Elija flieht um sein Leben zu retten.

Doch bald schon wünscht er sich den Tod. Interessant in diesem Zusammenhang ist sein Argument. Er sagt nämlich: Nun ist es genug, JHWH. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter (V. 4). Wer unter diesem Anspruch lebt, besser sein zu müssen als seine Väter, läuft wahrscheinlich allzu leicht Gefahr, sich und (was oft noch schlimmer ist) andere zu überfordern. Aber lassen wir Elija mit seiner Todessehnsucht unterm Ginsterstrauch. Gott selbst wird ihn nun zu sich holen. Doch nicht durch den ersehnten Tod, sondern zurück ins Leben: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich (V. 7). Vierzig Tage und vierzig Nächte – symbolisch für die vierzigjährige Wüstenwanderung des Gottesvolkes an den Gottes berg – muss Elija wandern bis zum Gottesberg Horeb (V. 8). Und dort? Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Fast hat man den Eindruck, als wolle der Prophet erneut «abtauchen». Gott aber ist hart näckig: Was willst du hier, Elija? (V. 9).

Da bricht es aus Elija heraus: «Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für JHWH, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übrig geblieben und nun trachten sie auch mir nach dem Leben» (V. 10).

Elija scheint «die Nase voll» zu haben. Aus seiner Sicht hat er den Auftrag eines Gottes erfüllt, dem es nur um sich selbst gegangen war: «dein Bund, deine Altäre, deine Propheten». Und Elija kommt sich sehr alleine vor, auch wenn das objektiv so nicht stimmt (vgl. 18,4.13)!

Wie aber überzeugt man einen Propheten, der so genau weiss, wie Gott ist? Gott versucht, ihn aus seiner Höhle zu locken: Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Elija aber bewegt sich nicht. Elija verkriecht sich weiter in seiner Höhle.

Da zog JHWH vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch JHWH war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch JHWH war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch JHWH war nicht im Feuer (V. 11 f.).

Es ist, als demonstriere hier der Sturm- und Gewittergott JHWH seine Macht, so wie er sich Mose und dem Volk am Sinai (Ex 19,19; 20,1 f.) und auch beim «Götterwettstreit» in der Gewalt des Feuers gezeigt hatte.

Was Elija jedoch lernen muss: JHWH ist weder im Sturm, noch im Erdbeben, noch im Feuer! Das Erschütternde sind nur die Begleiterscheinungen seines Kommens. JHWH ist der ganz Andere, ganz anders, als sein Prophet es sich vorstellt!

Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln (V. 12).

Bei diesem Vers wird meist mitgedacht: Gott war im sanften, leisen Säuseln. Aber das steht nicht da! Zu ergänzen wäre im Gegenteil: JHWH war (auch) nicht im sanften, leisen Säuseln. Sonst wäre er ja gerade wieder dieser zu habende und zu gebrauchende Gott, mit dem Elija beim «Götterwettstreit» operiert hatte.

Allerdings: Dieses nun anbrechende Schweigen schafft Raum für die nun mögliche wirkliche Gottesbegegnung! Gott hat es geschafft, dass sich sein Prophet bewegt. Nicht durch «Blitz, Hagel und Ungewitter», sondern durch diese «Stimme verschwebenden Schweigens» (Martin Buber): Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle (V. 13).

Jetzt kann JHWH mit ihm reden und ihm, seinem eifernden und gewalttätigen Propheten, neue Zukunft eröffnen. Sie wird vor allem darin bestehen, dass Elija sich in Zukunft zurücknimmt und andere – u. a. seinen Nachfolger Elischa – die Geschichte gestalten lässt.

Mit der Kirche lesen

Die kirchliche Leseordnung ordnet unsere Elijageschichte dem Evangelium von der Gotteserscheinung auf dem See (Mt 14,22–33) bei. Matthäus bereits hatte die Rettungsgeschichte, in der Jesus durch sein Kommen zu den Jüngern ins Boot dem Wind Einhalt gebietet (Mk 6,45–52), zu einer von Petrus provozierten «Glaubensprobe» umgestaltet. Im Sturmwind haben die Jünger eine «Erscheinung» (nicht: «Gespenst») Jesu, «umhergehend» auf dem See (Mt 14,25). Petrus, Repräsentant des Jüngerkreises und auch sonst «einer, bei dem Affekt, Mut und Zweifel eng beisammen liegen» (Alexander Sand), möchte Anteil gewinnen an der göttlichen Macht Jesu und bittet ihn um seinen Ruf. Doch bald schon erweist sich sein Glaube als zu klein (V. 31). Zu heftig sind die Winde, und Petrus droht zu versinken. Jesus muss ihn retten: «Wozu zweifeltest du?» (V. 31). Auch Petrus muss lernen, dass Gott nicht zu haben und zu gebrauchen ist, nicht einmal in Jesus!

Literaturtipp: Rainer Albertz: Elia. Ein feuriger Kämpfer für Gott (= Biblische Gestalten Bd. 13). Leipzig 2006.