Wir beraten

Was sich ohne Geld kaufen lässt   

Ursula Rapp zur Lesung am 18. Sonntag im Jahreskreis SKZ 29-30/2008

Alttestamentliche Lesung: Jes 55,1–3
Evangelium: Mt 14,13–21

Als Menschen, die ihre Praxis zwar vielleicht nicht nur, aber zumindest auch an der Bibel orientieren, haben wir gelernt, uns für eine gerechte Welt und ein gutes Leben für alle einzusetzen. Dafür wurde und wird viel und mit grossem Eifer gekämpft für Gerechtigkeit, Moral und rechten Glauben. Unsere Gerechtigkeit ist eine ernste Sache. Was wäre, wenn Gott einmahnte, dass wir uns einfach mal hinsetzen, es sein lassen, nicht etwas leisten und uns stattdessen nähren lassen von Gottes Zuwendung? Die einen werden das zu bequem und zu einfach finden, die anderen werden sich auf diesen Lebensquell einlassen. Die Kunst ist es freilich, das eine nicht gegen das andere auszuspielen, sondern beides zu wagen.

Mit Israel lesen

Es war in der persischen Provinz Juda, als die Armut gross war und viele Menschen um ihr tägliches Brot kämpfen mussten, als eine Prophetin oder vielleicht auch ein Prophet an die Hoffnung erinnerte. Der Prophet spricht mit der Stimme Gottes und ruft die Durstigen dreimal, dass sie kommen sollen und zweimal, dass sie kaufen sollen. Sie sollen ohne Geld Wein und Mich kaufen. Wunderbar, werden die einen sagen, falsch gedacht, die anderen. Denn ohne Geld zu kaufen, ist ein Widerspruch. Hier steckt also etwas Absurdes – oder ein Hinweis darauf, jetzt einmal nicht ganz so realistisch zu denken und sich auf ein sprachliches Bild einzulassen. Lesen wir also weiter, vielleicht klärt sich etwas: In V2 ist wieder von Geld die Rede: Man bekommt für Geld kein Brot. Das Geld ist also wertlos. Ist es dann egal, ob man Geld hat oder nicht? Kann man dann doch ohne Geld kaufen? – Noch werden diese prophetischen Worte nicht unbedingt durchsichtiger. – Die Prophetin ruft weiter und fordert zweimal zum Hören auf (V2.3), nicht mehr zum Kaufen. Sie sagt, vom Hören würde man Gutes zu essen bekommen und Nahrhaftes («fette Speisen» lt. EÜ) würde es für die Kehle geben. Und weiter heisst es, wer hört, werde leben und Gott werde einen zuverlässigen Bund schliessen.

Was hier geschieht, ist eine klassische, bildhafte Umdeutung, eine Allegorie: Zunächst greift der Prophet die Alltagserfahrung des Durstes und die wirtschaftliche Not auf. Durst ist ja bekanntlich noch schlimmer als Hunger. Beseitigen lässt er sich aber nicht, weil das Geld, das man als Lohn erhält, nichts wert ist. Dies mag tatsächlich die nachexilische Situation in Juda wiedergeben. Man lese auch Nehemia 5 dazu. Aber der Prophet spricht noch einen anderen Aspekt des Nichtsattwerdens an. Der Aufruf, ohne Geld zu kaufen, weckt bereits Gedanken daran, dass es im Folgenden nicht nur um die Bewältigung wirtschaftlicher Not gehen wird. Tatsächlich hilft gegen den Hunger auch das Hören. Vielmehr noch: Hören macht nicht nur satt. Wer hört, bekommt köstlichste Nahrung, Leben, einen ewigen Bund mit Gott und zuverlässige Zuwendung Gottes. Der physische Durst wird umgedeutet in existenziell-spirituellen Hunger, das Geldgeben in Hören.

Die in Deuterojesaja gesammelten prophetischen Worte erzählen noch an anderen Stellen davon, dass Gottes Wasser nicht nur physischen Durst stillt, sondern in schwierigen Situationen hilft (48,20–21), Zuwendung spürbar macht (41,17 oder der spätere Text Jes 65,13) und Leben schenkt (48,21).

Wenn nun das Hören gegen den Hunger hilft, geht das in eine ähnliche Richtung. Immer wieder werden die Lesenden ermahnt, auf prophetische Worte zu hören und damit zu hören, was Gott ihnen Gutes tut, zum Beispiel 44,1.3: «Und nun höre, Jakob, in meinem Dienst, und Israel, das ich erwählt habe! (…) Denn ich will Wasser auf das Durstige giessen und Rieselbäche auf das Trockene. Ich werde meine Geistkraft auf deine Nachkommen giessen und meinen Segen auf deine Sprösslinge.»

Das Hören auf die prophetische Stimme ist in der nachexilischen Zeit schon identisch mit dem Hören auf die Worte Gottes, denn prophetische Worte sind Aktualisierung und Erklärung der Tora.

Die Verbindung von Wasser und Tora, die Vorstellung, dass die Tora Wasser ist, kennt die jüdische Tradition seit langem. Sie geht auf die allegorische Auslegung von Ex 15,22 zurück, wo erzählt wird, dass Israel drei Tage gewandert sei, ohne Wasser zu fi nden. Das Wasser von Mara sei deshalb bitter gewesen, weil Israel wegen der Wassersuche drei Tage lang nicht die Tora studiert habe. Das eigentliche Wasser, das es zu suchen gelte, sei aber die Tora. So heisst es etwa in Talmud Baba Qama: «Es wird nämlich gelehrt: Und sie wanderten drei Tage in der Wüste und fanden kein Wasser; die Schriftausleger erklärten, unter Wasser sei die Tora zu verstehen, denn es heisst: auf, ihr Durstigen alle, kommt herbei zum Wasser. Als sie nämlich drei Tage ohne Tora gingen, erschlaff ten sie; da traten die Propheten unter ihnen auf und ordneten an, dass man am Sabbath aus der Schrift vorlese und am Sonntag unterbreche, am Montag vorlese und am Dienstag und am Mittwoch unterbreche, am Donnerstag vorlese und am Freitag unterbreche, damit sie nicht drei Tage ohne Tora übernachten.»1 Wenn Wasser also Tora, Weisung und Gesetz ist, dann wird der Jesajatext noch fordernder. Denn es geht in Jes 55,1–3 nicht einfach nur um Nahrung zur Lebenserhaltung. Schon V1 nennt auch Wein und Milch. Die Kombination dieser beiden Getränke findet sich in Hld 5,1, wo der Bräutigam der Braut zuruft, dass er in den Garten käme, dort u. a. Wein und Milch trinken werde und seinen Freunden zuruft, sie mögen sich an der Liebe berauschen. Wein und Milch sind gemeinsam genossen Liebesgetränke, nicht Grundnahrungsmittel. Die Tora hat demnach nicht nur etwas mit grundlegendem Leben zu tun, sondern mit Liebe und Eros, Anziehung und Sehnsucht.

Auch V2 schlägt ähnliche Töne an. Was die Einheitsübersetzung mit «fetten Speisen » wiedergibt, ist ein Wort, das eigentlich für «Verweichlichung», «Verzärtelung» (Dtn 28,54.56, Jer 6,2), aber auch für Lust und Freude an Gott steht (Ij 22,26; 27,11; Ps 37,4.11, Jes 66,11).

Wie können wir den Eros und die Lust an der Tora verstehen? Ist das nicht viel zu unernsthaft und schöngeistig verspielt? Liegt es uns nicht viel näher, die Tora als lebensnotwendiges Wasser zu verstehen statt als Liebesgetränk und Lustbringerin? Wie verbindet sich das mit dem Kampf für eine gerechte Welt? – Vielleicht deutet der Text an, dass es gerade nicht darum geht, einen Kampf zu liefern, sondern Lust und Freude zu empfinden. Vielleicht ist das eine Ansage gegen den K(r)ampf, selbst Gerechtigkeit schaff en und leisten zu müssen? Dann wird das absurde Anfangsbild auch klarer: Menschen können das lebensrettende Wasser nicht selbst kaufen. Was Menschen an Geld zu geben haben, kann dieses Wasser, den Wein oder die Milch nicht kaufen. Was Menschen tun können, ist hören und sich in Gottes Zuwendung hinnehmen lassen und vertrauen. Das allein ist in der Zeit der Hoffnungslosigkeit (nach dem Exil) schwierig genug.

Mit der Kirche lesen
Das Evangelium in Mt 14,13–21 greift mit der Speisung der über 5000 Leute den Gedanken auf, dass die Menschen nichts kaufen und leisten müssen, weil für alle genug da ist. Das ist ja vielleicht der oder zumindest ein wichtiger Kern in Jesu Botschaft: zu begreifen und daraus zu leben, dass für alle genug da ist, oder anders: dass die göttliche Zuwendung der menschlichen Leistung zuvor kommt. Gott gibt das Wasser, das Israel drei Tage lang vergeblich gesucht hat.