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Von Königen und Eseln   

André Flury-Schölch zur Lesung am 14. Sonntag im Jahreskreis SKZ 26/2008

Alttestamentliche Lesung: Sach 9,9–10
Evangelium: Mt 11,25–30

In Zeiten gesellschaftlicher und politischer Umbrüche wurde und wird in der Menschheitsgeschichte immer wieder der Ruf nach einer starken «Führung» laut, der Ruf nach «Autorität», nach einer «harten Hand», nach einem «rigorosen Durchgreifen» usw. Von solchen «Führern» – im altorientalischen Bereich von solchen Königen – verspricht man sich Wohlstand, Frieden und Heil. Dem entgegen zeichnen Sach 9,9–10 sowie Mt 11,25–30 ein ganz und gar anderes Königsbild.

Mit Israel lesen

Angesprochen ist in Sach 9,9 die «Tochter Zion», die als Frau personifizierte kollektive Bewohnerschaft der Stadt Jerusalem (vgl. Sach 2,4; Zef 3,14). Ihr wird das Kommen eines Königs angekündigt. Wann immer Sach 9,9 f. entstanden ist,1 der hier beschriebene König stellt die altorientalisch und biblisch verbreitete Königsideologie radikal auf den Kopf. Der hier erhoffte König wird in 9,9 auf vierfache Weise charakterisiert: (1) Der kommende König wird als «gerecht» beschrieben. Dies knüpft bei den traditionellen altorientalischen und biblischen Königsbildern an: Praktisch jeder König behauptete von sich, in Gerechtigkeit zu herrschen (2 Sam 23,3), gerechte Gebote von Gott erhalten zu haben (Ps 72,1) und diese Gebote nun in seinem Volk durchzusetzen. Gar so uneigennützig werden die Motive der Könige dabei wohl zumeist nicht gewesen sein: Von der Gerechtigkeit des Königs gegenüber dem eigenen Volk (Ps 72,2–4) wird die Stabilisierung seiner Macht, Wohlstand / Segen für das eigene Land (72,5–7) und schliesslich der Sieg gegen andere Völker (Ps 72,8–11) erhofft. (2) Nach der Einheitsübersetzung ist der König einer, der «hilft». Doch der hebräische Text formuliert im Passiv, so dass wahrscheinlich übersetzt werden muss: Er ist ein König, dem geholfen wird. Vielleicht sogar: Er ist ein hilfsbedürftiger König.2 Dies ist eine erste Umkehrung der Verhältnisse, wird doch sonst vom König Hilfe / Rettung erbeten (2 Sam 14,4; 2 Kön 6,26) und werden z. B. die ptolemäischen Könige ab Ptolemäus II. (285–246 v. Chr.) mit dem Titel theos soter belegt. (3) Der König wird als «demütig » bezeichnet. Das hebräische Wort anj meint ursprünglich «arm», «unterdrückt», «elend». Dieser Ausdruck steht beispielsweise für die unterdrückte und ausgebeutete Landbevölkerung im 8. Jhdt. v. Chr. (Am 4,1; 8,4), aber auch für andere sozial benachteiligte Gruppierungen (Ex 22,24; Lev 19,10; 23,22). Später wird der Ausdruck im religiösen Bereich ausgeweitet im Sinne eines Demütigseins vor Gott.3 Der König von Sach 9 kommt jedenfalls entgegen dem traditionellen Bild (Ps 72,12) nicht als majestätisch-huldvoller Beschützer der Armen, sondern ist selbst ein Armer / Demütiger. Dies ist die zweite Umkehrung des traditionellen Königsbildes. (4) Der König «reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin». Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass dieser König komplett kampfunfähig ist, denn mit einem «Jungen einer Eselin» als Reittier lässt sich nicht in die Schlacht ziehen. Der König erscheint geradezu erbärmlich ohnmächtig. Ein derart depotenzierter König stellt das Gegenbild zum altorientalischen Herrscherideal dar. Folgerichtig ist es nicht dieser kampfunfähige König, sondern JHWH selbst, der in Sach 9,10 eine Entmilitarisierung durchführt: «Ross und Wagen» stehen für die militärisch hochgerüstete Heeresmacht einer Nation (Ex 14,9.23; 15,19; Dtn 11,4; 20,1 u. ö.). Ihre Vernichtung bedeutet die Demilitarisierung, am wohl schönsten ausgedrückt in Ps 76,7: «Von deinem Schelten, Gott Jakobs, sinken Kriegswagen und Schlachtross in tiefen Schlaf.» Das Besondere an Sach 9,10 ist, dass JHWH hier nicht die ägyptische Heeresmacht oder ein anderes Fremdvolk entwaffnet (Jes 2,4b; 9,4; Ps 46,10; Ez 39,9 f.), sondern Jerusalem (= das Südreich Juda) und Ephraim (= das ehemalige Nordreich Israel) zur waffenfreien Zone erklärt.
Und so kommt es zu dem grotesken Bild: Ein völlig kampfunfähiger, armer / demütiger König eines völlig unbewaffneten Volkes verkündet «den Völkern den Frieden » (Sach 9,10) – dies ist die einzige Aufgabe des Königs in Sach 9,9 f.! Und ein solcher König – so die Hoffnung – soll «von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde» regieren.4 Ist das Bild tatsächlich so grotesk? Oder wird darin nicht die tiefe Einsicht zum Ausdruck gebracht, dass Gewalt und Macht letztendlich keinen Frieden zu schaff en vermögen? Bricht sich hier nicht die Hoffnung Bahn, dass Gewaltlosigkeit schliesslich stärker ist als jede Gewalttätigkeit? Die Umkehrung der sonst üblichen politischen und religiösen Machtvorstellungen und -demonstrationen der Könige erinnert jedenfalls an das Gotteswort in Sach 4,6: «Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht JHWH Zebaoth.»

Mit der Kirche lesen

Das Königsbild von Sach 9,9 f. wird mit gutem Grund auf Jesus übertragen, besonders beim Einzug in Jerusalem in Mt 21,1–7, aber vielleicht auch in Mt 11,29: Denn das griechische Wort für «sanftmütig» (praus, Mt 21,5; 11,29) wird in der Septuaginta verwendet für das hebräische anj («arm», «unterdrückt », «elend», Sach 9,9 siehe oben). Damit wird betont: Jesus ist kein Gewaltsherrscher à la Alexander d. Gr. oder Augustus usw., die sich noch und noch als «Sohn Gottes» proklamieren liessen. Jesus wird vielmehr von jenen, die Religion und Politik mit Gewalt durchsetzen wollen, ans Kreuz geschlagen – um sich gerade in seiner Ohnmacht als am mächtigsten zu erweisen. Vielen ansonsten «Weisen und Klugen» bleibt dies verborgen (Mt 11,25). Wie sehr das Kreuzesgeschehen «den Griechen eine Torheit » (1 Kor 1,18) ist, zeigt sich wohl auch darin, dass ein Spott-Graffiti um 200 n. Chr. auf dem Palatin in Rom einen Gekreuzigten mit einem Eselskopf darstellt und die Inschrift enthält: «Alexamenos betet Gott an.» In einer weiteren Inschrift wird Alexamenos als «fidelis», das heisst als Christusgläubiger bezeichnet.

1 Die zeitgeschichtliche Einordnung von Sach 9–11 und 12–14 ist umstritten: Dass diese Kapitel nicht vom Propheten Sacharja (gemäss 1,7 um 520 v.Chr. berufen) stammen können, ist weitestgehender Konsens. Ob sie jedoch bereits in der nachexilischen Perserzeit oder erst in der griechischen bzw. ptolemäischen/seleukidischen Zeit entstanden sind, ist umstritten. Für Letzteres argumentiert in Bezug auf Sach 9,1–10 ausführlich Andreas Kunz: Ablehnung des Krieges. Untersuchungen zu Sach arja 9 und 10 (HBS 17). Freiburg i. Br. 1998, 192–242. Er sieht in Sach 9,1–10 einen Gegenentwurf zur hellenistischen Vergottung des Königs.
2 Dafür spricht neben der Verbform auch die einzige Stelle im AT, in welcher das Verb in derselben Form (Ptz Nif ) wie Sach 9,9 vorkommt: «Dem König hilft nicht sein starkes Heer, der Held rettet sich nicht durch grosse Stärke» (Ps 33,16).
3 Eine ähnliche Verschiebung sehen wir bei den Seligpreisungen: «Selig, ihr Armen» (Lk 6,20); «Selig, die arm sind vor Gott / die Armen im Geist» (Mt 5,3).
4 Für «herrschen» steht hier das neutrale maschal und nicht das gewaltbesetztere radah (Ps 72,8; 110,2).