Wir beraten

Von der Dreizehnfaltigkeit Gottes   

Dieter Bauer zur Lesung am Dreifaltigkeitsfest SKZ 19-20/2008

Alttestamentliche Lesung: Exodus 34,4b.5–6.8–9
Evangelium: Johannes 3,16–18

Am Dreifaltigkeitsfest feiert die Kirche Gott selbst. Sie feiert den, der nicht zu «haben» ist, der zu nichts zu «gebrauchen» ist und der sich jedem Zugriff immer wieder neu entzieht. Was ist das für ein Gott?

Manche Christen machen es sich einfach und sagen: Nachdem sich Gott in seinem Sohn offenbart hat und Fleisch geworden ist, haben wir ja etwas «Greifbares». Wenn das allerdings so wäre, bräuchten die Evangelisten nicht unermüdlich davon zu erzählen, wie sich der Auferstandene selbst seinen Jüngerinnen und Jüngern immer wieder entzog. Auch der Christus ist nicht zu «haben»! Und – wenn wir schon beim Dreifaltigkeitsfest sind – der Geist Gottes? Man braucht nur vom heutigen Evangelium (Joh 3,16–18) ein paar Verse weiter vorne zu lesen beginnen: «Der (Geist-)Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weisst aber nicht, woher er kommt und wohin er geht» (3,8).

Was also ist das für ein Gott? Wer ist dieser Gott, den Jesus seinen Vater genannt hat? Es ist der Gott Israels, der sich Mose am Dornbusch offenbart hat als der «Ich bin da für euch» (Ex 3,14). Von ihm spricht auch die heutige Lesung.

Mit Israel lesen

Bevor wir den alttestamentlichen Lesungstext eingehender anschauen, sei (wieder einmal) auf die geradezu ärgerliche Beschneidung des Textes durch die Leseordnung verwiesen. So wie der Text jetzt daherkommt, ist weder der grössere Zusammenhang erkennbar, in dem er steht: die zweite Gabe der Gebote am Sinai nach dem Tanz um das goldene Stierbild, noch wird deutlich, dass Gott hier von sich aus einen ewigen Bund mit seinem Volk schliesst. Es müsste also mindestens von V. 4a zu lesen begonnen werden, am besten bereits ab V. 1 (wobei V. 3 evtl. weggelassen werden kann). Und der Text sollte frühestens mit V. 10ab enden, damit noch etwas vom Bundesschluss zu hören ist. Auch sollte V. 7 keinesfalls weggelassen werden, sondern zu ihm muss in der Predigt etwas Erklärendes gesagt werden.

Die Hebräer, die unter Führung des Mose aus dem Sklavenhaus Ägyptens entronnen waren, wurden an den Sinai geführt, um dort ihrem Gott zu begegnen. So erzählen die ersten 19 Kapitel des Buches Exodus. In Kapitel 20 kommt es zur Gabe der Gebote, die sich aus Sicht des Volkes aber so lange hinauszögert, dass sie sich ein «greifbares» Gottesbild giessen. Mose ist entsetzt über diesen «Sündenfall» und zerbricht die Tafeln, auf denen Gott dem Volk Wegweisungen in die neugewonnene Freiheit mitgeben wollte. Trotzdem ist die Geschichte hier nicht zu Ende. Weil Gott eben ist wie er ist, gibt es eine zweite Chance. Hier setzt unsere Lesung ein:

Mose steigt mit zwei neuen Tafeln auf den Gottesberg. Auf dem Berg hat er eine Gottesbegegnung: «JHWH stieg in der Wolke herab und stellte sich dort neben ihn hin.» In der Einheitsübersetzung heisst es nun weiter: «Er rief den Namen Jahwe aus», und die meisten Leserinnen und Leser würden dies natürlich auf Mose beziehen. Warum sollte Gott seinen Namen ausrufen? Trotzdem ist es Gott, der seinen Namen ausruft, d. h. sein eigentliches Wesen offenbart und sich dem Mose – wie am Dornbusch! – als der zeigt, der er ist: der Gott seiner Erzeltern, der Gott, der das Schreien seines Volkes in Ägypten gehört hat, der Gott, der deshalb herabgestiegen ist, um bei seinem Volk zu sein als der «Ich bin da für euch». Insofern ist dieses Erscheinen Gottes als der «Ich bin da für euch» bereits eine Antwort auf die Frage, die Mose auf den Lippen brennen muss: «Wirst du trotz allem, was geschehen ist, weiterhin da sein für uns?» Ja, lautet die Antwort, weil ich JHWH bin. Die folgenden Verse (in sehr wörtlicher Übersetzung) entfalten dies:

«JHWH ging an ihm vorüber und rief: JHWH (ist und bleibt) JHWH, Gott, barmherzig und gnädig, langmütig im Zorn und reich an Huld und Treue: Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, ungestraft lässt er und nicht ungestraft; er verfolgt die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation» (V.6 f.).

Wahrscheinlich haben viele Hörerinnen und Leser dieses Textes vor allem mit dem V. 7 ihre Probleme, den die Leseordnung (wohl deshalb) weggelassen hat: einem Gott, der Verfehlungen bis in die vierte Generation verfolgt. Und dabei ist dies – bei genauer Betrachtung – «nur» die Kehrseite von Gottes Barmherzigkeit. Er ist eben nicht nur der «liebe Gott» und harmlose Opa, mit dem man machen kann, was man will, sondern er ist auch der, der für Gerechtigkeit einsteht. Weil Ungerechtigkeiten verheerende Folgen haben, die oft noch die Ururenkel büssen müssen! Er ist kein harmloser Gott! Und er hat eben diese beiden Seiten – und nicht nur diese.

Die rabbinische Tradition hat in dieser obigen langen Aufzählung von Eigenschaften Gottes, wie er sich seines Volkes annimmt, dreizehn verschiedene gezählt: JHWH sein, Gott sein, barmherzig, gnädig, langmütig, reich an Huld, reich an Treue, Huld bewahrend, Schuld aufhebend, Frevel aufhebend, Sünde aufhebend, ungestraft lassend, nicht ungestraft lassend (nach Maimonides). Auch wenn sich die Rabbinen nur in der Zahl, weniger in der Zuordnung dieser Eigenschaften einigen konnten, so sagt dies doch: Gott erscheint (mindestens) dreizehnfältig. Und die für den Menschen rein positiven Erfahrungen überwiegen bei weitem!

Das macht auch Mose Mut: «Eilends verneigte sich Mose bis zur Erde und warf sich zu Boden. Er sagte: Wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, JHWH, dann gehe doch mein Herr in unserer Mitte» (V. 9). Gott soll sich also als JHWH, als der «Ich bin da für euch» erweisen, der in der Mitte seines Volkes geht. Mose lässt dafür die interessante Begründung folgen: «Denn es ist ein halsstarriges Volk». Was soll nun das heissen? Im Kapitel vorher war diese «Halsstarrigkeit» noch der Grund dafür gewesen, dass JHWH nicht mitziehen wollte (33,3). Doch Gott straft nicht nur, er lässt auch ungestraft, wie es in V. 7 so paradox heisst. Menschlich gesprochen würde das wohl heissen. «Dieses Volk muss man einfach lieben!» Mose jedenfalls hat vollstes Vertrauen gewonnen und betet. «Vergib uns unsere Schuld und Sünde und nimm uns als dein Eigentum an.» Hier schliesst sich der Bogen zum «Adlerspruch», als die Hebräer am Gottesberg angekommen waren: «Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerfl ügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein» (Ex 19,4 f.). Dieser Bund wird nun geschlossen (V. 10).

Mit der Kirche lesen

Die kirchliche Leseordnung erinnert am Dreifaltigkeitssonntag mit der alttestamentlichen Lesung daran, dass man Gott nicht «haben» kann. Er ist es, der sich von sich aus offenbart: dreifältig, dreizehnfältig, vielfältig, und sicher nicht einfältig. Weil unser Gott so ist wie er ist, kommt auch Nikodemus in seinem Nachtgespräch mit Jesus zunächst nicht viel weiter. Als «führender Mann» (Joh 3,1) und «Lehrer Israels» (V. 10) weiss er wohl zu genau, wie denn Gott sei. Doch er muss umlernen. Behutsam führt ihn Jesus von einem Aha-Erlebnis zum anderen. Immer ist alles nochmals ganz anders. Die Erzählung strotzt von Doppeldeutigkeiten und entzieht sich jeder theologischen Einlinigkeit. Aus dem «Wissen» des Nikodemus (V. 2) wird ein Fragen, was immer noch einer der angemessensten Zugänge zum Geheimnis Gottes ist. Dass wir Christen uns das johanneische «wir wissen» (V. 11) leider oft nur allzu schnell zu eigen gemacht haben, hat unserer Glaubwürdigkeit leider geschadet. Besser wäre, wir stünden zusammen mit unserem Bruder Jesus von Nazaret staunend vor dem so ganz anders liebenden Gott (V. 16).