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Welche Bibelübersetzung soll ich wählen?   

Dieter Bauer, forum 9/2008

Was unterscheidet die verschiedenen Bibelausgaben voneinander?

Immer wieder begegnet mir in meiner Arbeit in der biblischen Erwachsenenbildung die Frage: «Welche Bibel soll ich kaufen?» Im Allgemeinen frage ich stets zurück: «Wofür wollen Sie Ihre Bibel denn verwenden?» Es ist nämlich ein grosser Unterschied, ob ich abends vor dem Einschlafen noch ein wenig in der Bibel lesen will, oder ob ich z. B. eine Bibelgruppe leite und Bibeltexte analysieren möchte.
Gleich vorab: Wirklich «schlechte» Bibelübersetzungen gibt es nicht. Die Bibelübersetzungen unterscheiden sich v. a. durch zwei Dinge: Einmal durch die Zielgruppe, für die sie hergestellt wurden. Und zum anderen durch die Prinzipien, nach denen übersetzt wurde. Beide Kriterien sind jeweils wichtig für eine Beurteilung.
Kirchliche Bibelübersetzungen
Den grösste Anteil am Markt haben natürlich die «kirchlichen» Bibelübersetzungen: für die römisch-katholische Kirche die «Einheitsübersetzung»(1980), für die «Lutheraner» die «Lutherübersetzung» (1984) und für die Zürcher Reformierten die kirchenamtliche Neufassung der Zürcher Bibel von 1931, die «Neue Zürcher Bibel» (2007). Alle diese Bibeln sind selbstverständlich aus den Urtexten übersetzt. Sie zeichnen sich alle durch eine «gehobene Sprache» aus, weil sie auch für die Verkündigung in den Gottesdiensten tauglich sein sollen. Bei den protestantischen Bibelübersetzungen kommt noch hinzu, dass sie die Tradition ihrer «Erstübersetzer» Martin Luther und Huldrych Zwingli nicht verleugnen können und deshalb für katholische und nicht kirchlich geprägte Ohren manchmal ein wenig «altväterlich» daherkommen. Dieses Problem hat die Einheitsübersetzung nicht, weil sie nach dem 2. Vatikanischen Konzil von einem grossen Kollektiv katholischer und evangelischer Exegetinnen und Exegeten quasi ganz «neu» übersetzt wurde.
Alle diese kirchlichen Übersetzungen sind sehr gute Übersetzungen, wobei die «Zürcher Bibel» den Vorteil hat, dass sie wirklich auf dem neuesten Stand heutiger Exegese ist, während die Einheitsübersetzung als älteste der drei gerade erst überarbeitet wird.
Eine «Bibel in heutigem Deutsch»
Das Projekt einer Bibel, die frei von kirchlichen Sprachtraditionen übersetzt, ist die so genannte «Gute Nachricht Bibel». Sie erschien erstmals 1984 als «Bibel in heutigem Deutsch» und wurde inzwischen mehrmals überarbeitet, vor allem auch aus frauengerechter Perspektive. Die «Gute Nachricht» zeichnet sich durch ein Übersetzungsprinzip aus, das sich «funktionale Äquivalenz» nennt. Dies bedeutet, dass ein Begriff der hebräischen oder griechischen Ursprache nicht einfach «wörtlich» übertragen wird, sondern je nachdem, wie man ihn heute ausdrücken würde. Wo es zum Verständnis nötig ist, wird eine Textaussage auch einmal in freier, aber sinntreuer Weise neu formuliert. Gerade bei Sprachbildern oder Redewendungen kommt es daher zu sehr ungewohnten Formulierungen im Vergleich zu den traditionellen Bibelübersetzungen. Der Vorteil ist klar: Die «Gute Nachricht» ist die absolut verständlichste Bibelübersetzung auf dem Markt. Erkauft ist diese Verständlichkeit allerdings dadurch, dass die Übersetzer sich jeweils für eine Übersetzungsvariante entscheiden mussten, also andere Möglichkeiten nicht offen lassen können. So werden die Paulusbriefe plötzlich total verständlich und plausibel. Aber natürlich hätte man an der einen oder anderen Stelle auch anders übersetzen können. Trotzdem ist und bleibt die «Gute Nachricht» gerade für Menschen, die nicht in kirchlicher Sprachtradition aufgewachsen sind, die ideale «Einsteigerbibel». Und sie ist immer noch die einzige ökumenische Vollbibel auf dem Markt!
Urtextnahe Übersetzungen
Am anderen Ende der Skala von Übersetzungsgenauigkeit stehen urtextnahe Übersetzungen. Sie machen genau das Gegenteil der «Guten Nachricht», indem sie wirklich Wort für Wort aus dem Urtext übertragen, manchmal auch auf Kosten der Verständlichkeit. Im Neuen Testament der Extremfall ist das «Münchener Neue Testament» (1988), das sklavisch am Urtext entlang übersetzt (»so griechisch wie möglich, so deutsch wie nötig»). Für das Alte Testament am sklavischsten übersetzt ist die so genannte «Interlinearübersetzung» (seit 1993), eine Bibelausgabe, die nicht nur den hebräischen Text wiedergibt, sondern darunter – also «zwischen den Zeilen» – auch die deutsche Aussprache und Übersetzung jedes einzelnen Wortes. Wer also wirklich genau wissen will, was denn nun im Urtext an einer bestimmten Stelle steht, hat mit diesen beiden Bibelübersetzungen ein ideales Handwerkszeug.
Zwei weitere Übersetzungen müssen noch benannt werden, die ebenfalls sehr urtextnah sind, sich aber dadurch auszeichnen, dass sie von einem einzelnen Übersetzer gefertigt wurden, die allerdings auch «sprachschöpferisch» tätig waren:
Für das Alte Testament ist dies die Übersetzung von Martin Buber (zusammen mit Franz Rosenzweig). Die «Buber-Übersetzung» (1962) versucht auch den Ursprung der hebräischen Wörter kenntlich zu machen, und so wird aus «opfern» z. B. «darhöhen», weil im hebräischen Urtext darin das Bild vom Aufsteigenlassen des Brandopferrauches enthalten ist. Das ist für deutsche Leserinnen und Leser, v. a. wenn sie des Hebräischen nicht mächtig sind, sehr gewöhnungsbedürftig, hat aber durchaus auch seinen Reiz. So löst diese Übersetzung das Problem mit dem unaussprechlichen Gottesnamen dadurch, dass grundsätzlich mit «ER» oder «DU» übersetzt wird, also mit dem (männlichen) Personalpronomen. Das wird zwar nicht allen Frauen gefallen, ist aber immer noch besser als der «Herr».
Das christliche Pendant zur Buber-Übersetzung bietet «Das Neue Testament» (1989) von Fridolin Stier. Auch er übersetzt sehr eng am griechischen Urtext, indem er viele Begriffe konsequent «wörtlich» überträgt. Er schafft aber auch Neubildungen, indem z. B. die Dämonen zu «Abergeistern» werden, und die griechische Satzstellung ist natürlich manchmal ungewohnt. Da diese Übersetzung aber vom Markusevangelium bis zur Johannesoffenbarung «eine Handschrift trägt», ist sie ähnlich wie die Buber-Übersetzung sehr konsistent, was man von im Kollektiv geschaffenen Übersetzungen gerade nicht sagen kann.
Einen guten Kompromiss zwischen den sklavisch übersetzten erstgenannten Bibelausgaben und den sprachschöpferischen von Buber und Stier, die wohl eher etwas für «Liebhaber» sind, ist die «Elberfelder Bibel» (1992). Sie ist nicht ganz so sklavisch übersetzt, wobei ihre urtextnahe Worttreue trotzdem eine gewisse Umständlichkeit und Holperigkeit in Kauf nimmt. Wo sie um der Verständlichkeit willen Kompromisse eingeht, wird das in Fussnoten auch kenntlich gemacht, und man erfährt, was denn nun genau im Urtext steht.
Die Bibel in gerechter Sprache
Zum Schluss möchte ich noch auf eine sehr spezielle Bibelübersetzung eingehen, weil sie in den letzten Jahren viel Furore gemacht hat: die «Bibel in gerechter Sprache» (2006). Der Name rührt daher, dass sie vielem gleichzeitig «gerecht werden» will: dem Urtext, den Geschlechtern, dem Judentum und den sozial Schwachen. Schon an diesem Anspruch wird klar, dass das nicht ohne Abstriche gehen kann. Wo der Urtext nun einmal nicht «frauengerecht» ist, muss man ihn entweder «anpassen» oder mit dieser «Ungerechtigkeit» leben. Und auch eine nach dem jüdischen Kanon sortierte christliche Bibelausgabe wird weder dem Judentum gerecht, noch dem Christentum. Aber bei all den vielen Fragen, die diese Bibelübersetzung aufwirft, ist sie ein äusserst interessanter und innovativer Versuch, noch einmal ganz neu anzusetzen. Und so lange man nicht meint, dass diese Übersetzung nun das «Non plus ultra» sei, wird man sie gerne zum Vergleich mit anderen Übersetzungen heranziehen.
Fazit
Welche Bibel also kaufen? Für kirchlich geprägte Menschen empfehle ich ganz selbstverständlich die jeweilige konfessionelle Bibelübersetzung, weil es einen Wert an sich darstellt, wenn sich biblische Formulierungen ins Gedächtnis einprägen. Und da hilft das Zusammenspiel von kirchlicher Verkündigung und persönlicher Lektüre ungemein. Auch für die Bibelarbeit sind diese Übersetzungen sehr gut geeignet, wenn nicht gerade intensive Textanalysen durchgeführt werden sollen. Dann allerdings ist eine sehr urtextnahe Übersetzung zumindest als Ergänzung wichtig.
Wenn man allerdings weiss und ernst nimmt, dass jede Übersetzung immer auch Interpretation ist, wird man von vorneherein diese Unterschiede zu schätzen wissen und eintreten in das Gespräch der verschiedenen Übersetzungen. Die «einzig richtige» Übersetzung nämlich gibt es nicht. Und die Bedeutung «für mich» kann sich immer erst im Dialog ergeben: mit den verschiedenen Übersetzungsvorschlägen, aber auch mit den Menschen, mit denen ich zusammen Bibel lese.