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Der Blick nach oben   

Josef-Anton Willa zum Antwortpsalm (97,1-2.6-7.12) am 7. Ostersonntag SKZ 19/2007

Seit der sogenannten «anthropologischen Wende» richten Theologie und Kirche ihren Blick weniger zum Himmel empor als auf das Hier und Jetzt, auf die Erde und die Menschen. Sie können sich dabei auf den Auferstandenen berufen, der den Jüngern kurz vor seinem Abschied den Auftrag gegeben hat: «Geht hinaus in alle Welt . . .!» (Mk 16,15) und auf die zwei weissgewandeten Männer, die nach der Himmelfahrt Christi zu den Jüngern sagten: «Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?» (Apg 1,11).

Doch die beiden sagen auch: Jesus «wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen». Am Sonntag zwischen den Hochfesten vom Himmelfahrt und Pfingsten, in der Zeit der Erwartung auf das Kommen des Heiligen Geistes, sind alle Lesungen (inkl. Psalm) durch den Blick zum Himmel gekennzeichnet.

Blick in die Zukunft

Psalm 97 wird mit dem Ausruf: «Der Herr ist König» eröffnet. Er leitet die Vision eines endzeitlichen Ereignisses ein: das Erscheinen Gottes als Herrscher und Weltenrichter. Sein Königtum umfasst alles Geschaffene, Mensch und Welt, denn auch die «Inseln», die die Enden der Erde repräsentieren, sollen sich freuen (V.1).

Der vollständige Psalm besteht – nach dem überschriftartigen ersten Vers – aus drei Teilen. Die Verse 2–6 beschreiben die Theophanie in verschiedenen, von der prophetischen Tradition inspirierten Bildern. Sie veranschaulichen die Macht und Majestät Gottes, seine Herrlichkeit (V. 6). Der richtende Gott kommt auf die Erde und wird sichtbar und erfahrbar. Er setzt Recht und Gerechtigkeit durch, die zu den Grundprinzipien seiner Königsherrschaft gehören (V. 2: «die Stützen seines Throns»). Dabei bleibt er der geheimnisvolle, unfassbare Gott, der sich – wie am Sinai – nur im Verborgenen, hinter «Wolken und Dunkel» zu erkennen gibt. Die beschriebenen Naturgewalten (verzehrendes Feuer, Gewitter, Erdbeben, Abschmelzen der Berge) gehen möglicherweise auf Erinnerungen an aussergewöhnliche Naturereignisse zurück. Sie bringen die Überlegenheit Gottes und die Begrenztheit des Menschen zum Ausdruck und sind darin von bleibender Aktualität.

Der zweite Teil des Psalms (Verse 7–9) beschreibt die Auswirkungen der endzeitlichen Gotteserscheinung. Die beiden äusseren Verse 7 und 9 zeigen, wie die «äussere» Welt reagiert, der dazwischen liegende, mittlere Vers 8 zeigt die Reaktion des von feindseligen Mächten umringten Volkes Israel. Mit dem Auftreten des einzigen, wahren Gottes fällt die bedrohlichen Umklammerung Israels dahin, denn die Feinde werden beschämt und die Götter anerkennen ihre Unterlegenheit. Jerusalem und die Tochterstädte Judas können sich freuen. Entsprechend wird dieser zweite Abschnitt in Vers 9 in hymnischer Form abgeschlossen.

Erfahrungen in der Gegenwart

Der dritte Teil des Psalms (Verse 10–12) ist wohl eine spätere Hinzufügung. Er lenkt den Blick auf die Gegenwart, wo das göttliche Reich der Gerechtigkeit noch nicht vollumfänglich, sondern erst im Kreis der «Gerechten» Gestalt annimmt. Der Glaube an den einzigen Gott und die Erfahrung, dass er gerecht ist und rettet, verpflichtet sie dazu, der Gerechtigkeit Gottes in der Welt zum Durchbruch zu verhelfen, indem sie selber «das Böse hassen» (V.10) und als «Gerechte» leben. Das Licht der Nähe Gottes ist für sie bereits «gesät» (wie es in V. 11 auf hebräisch wörtlich heisst) und drängt zur vollen Entfaltung; ihre gegenwärtige Freude (V. 12) verweist auf die zukünftige, universelle Freude (V.1).

Die Leseordnung für den 7. Ostersonntag sieht lediglich einen Auszug aus dem Psalm vor, doch die wesentlichen Aspekte sind darin enthalten: der Aufruf zur Freude und zum Lobpreis Gottes in den Rahmenversen 1 und 12, die Theophanie (V. 2 und 6) und was sie bewirkt (V. 7) sowie das hymnische Bekenntnis der Grösse Gottes (V. 9).

Vision vom kommenden Christus

In der Vision von Psalm 97 öffnet sich der Himmel und die Herrlichkeit Gottes wird offenbar. Wie der Psalm, so richten auch die Lesungen den Blick nach oben. Stephanus erkennt in seiner Vision, wie Jesus Christus, der Auferstandene, zur rechten Gottes sitzt (1. Lesung: Apg 7,55–60). Johannes sieht Jesus als Herrn der Welt – Alpha und Omega – und als den kommenden Weltenrichter, der jedem zuteilt, «was seinem Werk entspricht» (2. Lesung: Offb 22,12–14.16–17.20). In der Evangelienperikope schliesslich sagt Jesus von sich, dass er eins ist mit dem himmlischen Vater, dessen Herrlichkeit er den Menschen offenbart hat (Joh 17,20–2). Der auferstandene und erhöhte Christus ist damit der vom Psalm verkündete König. Er hat die Mächte des Todes überwunden; mit ihm ist die Endzeit bereits angebrochen. Die Kirche feiert in jeder Eucharistie sein Kommen und erwartet sein endgültiges Erscheinen «in Herrlichkeit». Der Begriff «Herrlichkeit» verbindet in der Liturgie vom 7. Ostersonntag nicht nur die Lesungen und den Psalm untereinander, er wird auch vom Tages- und vom Schlussgebet aufgenommen. Mit «Herrlichkeit» wird das Wesen Gottes, seine Majestät wie auch seine liebende Zuwendung zu seiner Welt bezeichnet.

Visionen im christlichen Alltag

Das erhabene, visionäre Bild, das Psalm 97 zeichnet, scheint kaum vereinbar zu sein mit einem von Realismus und Pragmatismus geprägten Alltag. Und doch ist der erweiterte Blick in die Zukunft für das menschliche Leben wichtig und notwendig. Auch im gesellschaftlichen Kontext, in Wirtschaft und Politik, erheben Prognosen und Zukunftsbilder den Anspruch, für die Gegenwart relevant zu sein, indem sie zu zielorientiertem Handeln motivieren. So will auch die Vision vom kommenden Reich der Gerechtigkeit nicht auf eine ferne Zukunft vertrösten, sondern vielmehr zu gerechten Taten motivieren im Blick und in der Hoffnung darauf, dass sich Recht und Gerechtigkeit letztlich durchsetzten werden und der Einsatz dafür nicht vergebens ist. Der Blick nach oben in die erhoffte Zukunft ist also nicht zu trennen vom Blick nach unten in die gegenwärtige Wirklichkeit. Im Kontext der Messliturgie des Sonntags vor Pfingsten kann der Psalm 97 die Gläubigen daran erinnern, auf welches Ziel sie ihr Handeln ausrichten, was sie erwarten und wo ihre österliche Freude verankert ist in einer Welt, die im Allgemeinen wenig erfreuliche Zukunftsperspektiven bereithält.

Dr. theol. Josef-Anton Willa ist Mitarbeiter am Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg.