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Nach oben! Liturgie und Politik in Psalm 47   

Martin Brüske zum Antwortpsalm am Fest Christi Himmelfahrt SKZ 18/2007

Kaum ein Hebräischlehrer verzichtet auf die Möglichkeit, das Gedächtnis für zwei der oft mühsam zu lernenden kleinen Wörter durch die Erklärung des Namens der israelischen Fluggesellschaft «El Al» zu unterstützen. «El Al» heisst in etwa «nach oben», «in die Höhe». Damit ist eine Bewegungsrichtung oder ein konkreter Bewegungsvorgang angezeigt. Nach oben und in die Höhe zielt auch die Bewegungsrichtung, die unseren Psalm beherrscht, verbunden auch hier mit einem konkreten Bewegungsvorgang. So zeigt sich bereits, dass es kein Zufall ist, wenn er schon sehr früh zu dem Himmelfahrtspsalm wurde. Es ist wichtig, auf dieses Textsignal zu achten, will man den Psalm richtig in den Blick bekommen. Sechsmal findet sich in dem doch nicht allzu langen Text die Wurzel ’al (auf/oben/über) – immer in Verbindung mit JHWE. Ebenso auffällig ist, dass Wörter, die in den kanonisch benachbarten Psalmen eine grosse Rolle spielen, «Berg», «Zion», «Stadt», gänzlich fehlen, dafür andere wiederum deutlich hervortreten: «Erde» (dreimal), «Volk», «Völker», «Nationen» (fünfmal!). Mit der «Höhe», die in unserem Psalm sprachlich angezeigt wird, verbindet sich eine entsprechende «Weite»; alle «lokalen» Bezüge sind zurückgetreten zugunsten einer Weitung des Blicks, der die Erde als Ganzheit erfasst – und alle Völker und Nationen auf ihr. Die «Höhe» aber, um die es geht, ist in ihrer Verbindung mit JHWE eine theologische Grösse: Es geht um die «Höhe» des Gottes Israels. Aber schauen wir nun genauer hin!

Der Psalm setzt formtypisch für den sog. «imperativischen Hymnus» mit einer Aufforderung zum Lobpreis ein. Aber schon dieser Eingang des Psalms setzt einen kräftigen Akzent! Dieser besteht nicht allein darin, dass hier sofort ein universaler Horizont aufgetan wird. Denn schlechterdings alle Völker werden ja aufgefordert. Eine solche Ermunterung der Völker zur Integration in den Lobpreis Israels ist nun im Psalter nicht ganz selten: Ps 66,1–4.8; 67; 68,33–35; 96,7–9; 98,4.7; 99,1–3;100,1;117,1; Ps 148,11 (und ähnliche Stellen). Diese im Psalter also relativ breit antreffbare universale Perspektive gewinnt jedoch bereits in den ersten Worten unseres Psalms eine Betonung, die ihm im Vergleich eine singuläre Gestalt gibt und zugleich für den ganzen Psalm das Programm aufstellt. Tatsächlich sind die Adressaten der Aufforderung zum Lobpreis in ungewöhnlicher Weise vorangestellt: «Ihr Völker alle …». Um diese Weite der Völkerwelt wird es in unserem Psalm vom ersten bis zum letzten Vers gehen, ja, dieser Impuls und der aus ihm hervorgehende Spannungsbogen findet seine Erfüllung und Einlösung tatsächlich erst im letzten Vers.

Einen eigenen Akzent setzt auch, wozu die Völker aufgefordert werden: Sie sollen nicht einfach loben, sondern zuerst einmal in die Hände klatschen. Ohne Zweifel hat dieses Klatschen akklamativen Sinn, denn wie das Jauchzen richtet es sich auf Gott. In Verbindung mit dem Schall der Hörner aus V. 6 verweisen Klatschen und Jauchzen in die Sphäre der Salbung und Inthronisation eines Königs (vgl. 2 Kön 11,12; 1 Kön 1,40; 2 Sam 15,10; 2 Kön 9,13). Die typische Aufforderung zum Lobpreis bekommt also in unserem Psalm eine ganz eigene, spezifische Gestalt: Sie wird zur Akklamation eines Herrschaftsantritts. Die gesamte Weite der Völkerwelt wird zu hymnischer Zustimmung zur Herrschaft des Gottes Israels aufgefordert. Man kann hier nur staunen: Bereits der erste Vers exponiert das Thema des Psalms fast vollständig – allerdings nur fast. Denn für die Exposition des gesamten thematischen Bogens ist nun der Blick auf den Gott Israels, der eine solche Zustimmung ermöglicht, unabdingbar.

Die Weise, wie dies geschieht, bedeutet wiederum die Erfüllung des Formmodells des Hymnus, in dem auf die Aufforderung zum Lobpreis immer die Begründung mit einem «denn» folgt, in einer dem inhaltlichen Impuls des allerersten Anfangs vollkommenen Entsprechung. Wie schon eingangs angedeutet wurde: Der einschränkungslosen Weite der angeredeten Völkerwelt entspricht die höchste Höhe des Gottes Israels, seine «hohe Erhabenheit» – wie es wiederum mit programmatisch abschliessendem Akzent im letzten Vers heisst (vgl. Ps 46,11 – es wäre spannend, den kanonischen Bezügen unseres Psalms nachzugehen). Er wird angeredet als der «Höchste», der als solcher (Gross-)König der ganzen Erde ist. Es ist wichtig für das Verständnis des Psalms, diese ihn durchdringende räumliche Metaphorik erst einmal als solche wahrzunehmen; die innere Imagination wirklich dafür zu öffnen und sie nicht vorschnell in Abstraktionen aufzulösen. Ebenso wichtig aber ist es, zugleich die qualitative Dimension wahrzunehmen, dass es nicht um in Metern messbare Abstände geht, sondern dass diese höchste Höhe, ohne ihren Bezug zur Räumlichkeit zu verlieren, doch vor allem eine bestimmte Intensität meint. Das Wort «Erhabenheit» («eine erhabene Stelle auf der Druckplatte» – «Erhabenheit» im Sinne von Überlegenheit und Majestät) drückt diesen Zusammenhang auch in der deutschen Sprache sehr gut aus. In diesem Sinne kann aber nun wirklich gesagt werden: Die erhabene Höhe des Thronens JHWEs öffnet den Raum der Sphäre seiner Herrschaft mit einem Horizont von allumfassender Weite. Umgekehrt wird der Gott Israels erst durch diese erhabene Höhe so wahrnehmbar, dass die ganze Weite der Völkerwelt in die hymnische Akklamation seiner Herrschaft einstimmen kann.

Aber das Grundverständnis des Psalms ist noch nicht vollständig! Entscheidend wichtig ist es nun, den Blick auf die Mitte des Psalms zu richten, auf V. 6, den Abschluss der ersten Strophe, der zugleich den Impuls für die zweite gibt, die mit einer erneuten Aufforderung zum Lobpreis einsetzt. Denn das Einstimmen der Völker in den Lobpreis Israels ist keine Selbstverständlichkeit. Damit dies geschieht, muss JHWE seine Herrschaft zur Geltung bringen. In der räumlichen Bildwelt unseres Psalms geschieht dies durch das Aufsteigen JHWEs zu seinem Thronsitz und die Einnahme dieses Platzes. Dieser Platz gehört ihm immer schon – er ist ja kein Usurpator –, aber die Inthronisation in dieser erhabenen Höhe setzt seine Herrschaft für die Völkerwelt allererst in Geltung, so dass sie einstimmen können.

In diesem Universalismus wird JHWEs Heilsgeschichte mit Israel nicht aufgehoben, sondern – auf ganz neue Weise – gerade in Geltung gesetzt (V. 4–5). Dementsprechend versammelt er die «Fürsten der Völker» «als Volk des Gottes Abrahams» (V. 10a). «Denn Gott gehören die Mächte der Erde» (V.10b): Der Blick in die absolute Höhe, in der der Gott Israels nun thront, relativiert alle menschliche Macht. Er bewahrt vor ihrer Vergötzung. Die Fürsten der Völker lernen im Blick auf den Hocherhabenen und in der hymnischen Zustimmung zu ihm Gott und die Götzen zu unterscheiden. So werden sie zum Volk des Gottes Abrahams.Wer diese Logik von Ps 47 noch einmal nachvollzieht und dann den Blick z. B. auf Phil 2,6–11 richtet, der sieht leicht, dass die Alten völlig richtig lagen, wenn sie Ps 47 zu dem entscheidenden Himmelfahrtspsalm gemacht haben. Aber auch umgekehrt: Erst die Sinnlogik von Ps 47 lässt die Dimensionen von Christi Himmelfahrt voll aufleuchten.

Martin Brüske ist freier Mitarbeiter des Liturgischen Instituts der Deutschschweiz in Freiburg.