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Nun saget Dank und lobt den Herren – eine Nachdichtung von Psalm 118   

Gunda Brüske zum Antwortpsalm (Ps 118) am 2. Ostersonntag SKZ/14-15/2007

Wie schon am Ostersonntag ist auch am 2. Sonntag der Osterzeit Psalm 118 als Antwortpsalm vorgesehen. Diesmal ist der erste Vers des Psalms als Responsum gewählt: Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. Mit diesem Vers beginnt auch das Kirchenlied Nun saget Dank und lobt den Herren (KG 440, RG 75, CG 803), ein Psalmlied, dem die zweite, ökumenisch ausgerichtete Auslegung dieses Psalms gewidmet ist.

«Mein Psalm» (Martin Luther – Arnold Stadler)
Die wohl berühmteste Auslegung dieses Psalms stammt von Martin Luther. Er nennt ihn mit dem ersten Wort der lateinischen Übersetzung «das schöne Confitemini». In einem Brief aus dem Jahr 1530 schreibt er: «Denn es ist mein Psalm, den ich lieb habe. Wiewohl der ganze Psalter und die heilige Schrift im ganzen mir auch lieb ist, so bin ich doch sonderlich an diesen Psalm geraten, dass er muss mein heissen und sein.» Mein Psalm – das zeigt Herznähe an. Ähnlich intim und zugleich mit einer gehörigen Portion Witz fasst ein Schriftsteller (und katholischer Theologe) unserer Tage seine besondere Nähe zu den Psalmen in seiner Ministrantenzeit in Worte: «Ich dachte, die Psalmen gehörten mir. Oder, wenn schon nicht mir, so doch wenigstens dem Papst» (Arnold Stadler). Die Liturgie hatte ihn mit den Psalmen so vertraut werden lassen, dass sie ihm gehörten.

Reformierter Psalter in deutscher Sprache
Die bedeutendste Sammlung französischer Psalmenlieder der Reformationszeit ist der Hugenottenpsalter oder Genfer Psalter. Calvin hatte ihn in Auftrag gegeben. Die auf Einfachheit zielende Neuschöpfung wurde von Clément Marot begonnen und von Théodor Beza 1562 vollendet. Ein Professor aus Leipzig, der 1539 zusammen mit allen übrigen Dozenten seiner Fakultät zum lutherischen Glauben übergetreten war, lernte diesen Psalter bei Studienaufenthalten in Frankreich kennen: Ambrosius Lobwasser (1515–1585). Lobwasser blieb nicht als Jus-Professor, sondern als Dichter in Erinnerung, nämlich durch seine Übersetzung des Hugenottenpsalters ins Deutsche. Es gelang ihm, den Sprachrhythmus der französischen Psalmennachdichtung beizubehalten, so dass die Melodien auch für die deutschen Psalmenlieder Verwendung fanden. Gleichzeitig erreichte seine Übersetzung ein hohes Mass an Verständlichkeit und auch Volkstümlichkeit. Reformierte Gesangbücher waren primär «Psalmenbücher», und noch heute stehen die Psalmen und andere biblische Gesänge im Reformierten Gesangbuch an erster Stelle. Der Lobwasser-Psalter war das Gebetbuch deutschsprachiger Calvinisten durch mehr als 200 Jahre. Die Psalmen konnten durch Melodie und Übersetzung den Betenden nahekommen.

Im Lande des Genfer Psalters geriet er seit dem späten 18. Jahrhundert in Vergessenheit. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts kam es zu einem erneuten Aufleben. In diesem Kontext steht das Lied Nun saget Dank und lobt den Herren. Der Schweizer Germanist, Gymnasiallehrer und Schulpolitiker Fritz Enderlin (1883–1971) wirkte in den Jahren 1942–1952 als Kommissionsleiter massgeblich an der Schaffung des Gesangbuchs der reformierten Kirche der Schweiz mit (erschienen 1952). Man verzichtete seinerzeit auf die Wiederherstellung des kompletten Genfer Psalters. Psalm 118 aber fand in neuer Fassung Eingang. Das KG hat 1998 diese Fassung übernommen (Nr. 440) und damit allen, die auf den Antwortpsalm nicht verzichten wollen, die aber keine/n Kantor/Kantorin haben, eine Alternative geschenkt.

Psalm 118 als Lieddichtung

In der Psalmnachdichtung Lobwassers umfasst Psalm 118 ganze 14 Strophen mit jeweils acht Zeilen. Das ist der vollständige Psalm. Dazu gehörte jene Melodie des Hugenottenpsalters, die auch heute noch gesungen wird. Lieder mit 14 Strophen haben nun im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert nicht eben Konjunktur. Fritz Enderlin selbst übernahm die Bearbeitung der umfangreichen Dichtung Lobwassers. Wie macht man aus einem Psalm mit 29 Versen und seiner Nachdichtung in 14 Strophen ein Psalmlied, das die Tradition nicht verleugnet und doch zu modernen Menschen spricht? Zur Tradition des Hugenottenpsalters gehören die Melodien. Enderlin blieb also beim Achtzeiler und den Endreimen jeder Zeile. Wo die Sprache Lobwassers altertümlich wirkte, passte er oft an, ohne die ältere Sprachstufe jedoch zu verleugnen. An anderen Stellen ersetzte er ein Bild durch ein anderes.Teilweise veränderte er auch den Sinn: Psalm 118,5 ist vom Jubel in den Zelten der Gerechten die Rede (Lobwasser: Hütten). Offenbar bedingt durch den Jubelgesang und vielleicht durch die nicht mehr unserer Lebenswelt entsprechenden Zelte ändert er: Mit «Freuden singen die Gerechten in neuen Liedern überall.» Enderlin bleibt mit der Ersetzung von Zelten durch Lieder der Sprache der Psalmen ganz nahe (vgl. Ps 96,1; 98,1). Stellenweise greift er auch über seine Vorlage bei Lobwasser auf moderne Bibelübersetzungen zurück.

Psalm 118 in nur fünf Strophen

Enderlin zieht die Strophen so zusammen, dass die Grundstruktur des hebräischen Psalms erhalten bleibt. Darin besteht eine nicht unbeachtliche Leistung. Psalm 118 ist gerahmt durch die Aufforderung zum Lobpreis (Teil A: V.1–4 und 29). Die Rahmung hat folglich auch Lobwasser. Enderlin übernimmt dessen 1. Strophe als seine 1. Strophe und die zweite Hälfte von Lobwassers 14. Strophe als zweite Hälfte seiner 5. Strophe. Innerhalb des Rahmens gibt es im Psalm einen Hauptteil B (V. 5–18) mit der Schilderung der Not eines Einzelnen und seiner Errettung sowie einen Hauptteil C (V. 19–28) als Dankfeier. Bedrängnis und Rettung schildert Enderlin in den Strophen 2 (übernommen von Lobwasser) und 3 (zusammengesetzt aus drei Strophen Lobwassers mit Veränderung der Reihenfolge der Psalmverse). Der Beginn der Dankfeier mit dem Öffnen der Tore ist markant an den Beginn der 4. Strophe gestellt: Hoch tut euch auf, ihr heilgen Tore, ihr Tore der Gerechtigkeit (dazu SKZ 175 [2007], Nr.13, 216 vom 29. März 2007). Die Dynamik des Psalms bleibt auf diese Weise erhalten. Weitere Verse dieses Teils C schliessen sich in der 4. Strophe (wieder aus drei Strophen Lobwassers zusammengefügt) und in der ersten Hälfte der 5. Strophe an, die in der 2. Hälfte in den lobpreisenden Rahmen übergeht. Auch wenn Enderlin natürlich auch einiges weglassen musste, dürfte dieses Psalmlied in allen seinen fünf Strophen dazu beitragen, dass die Psalmen zum Gebetsschatz werden, dass sie «mir gehören» können.

KG 440 am 2. Ostersonntag

Von daher ergibt sich vielleicht der Wunsch, dass es im Gottesdienst auch mit allen fünf Strophen erklingen kann. Sollte es nicht möglich sein, alle Strophen nacheinander zu singen, so würde eine Aufteilung der Strophen am 2. Sonntag der Osterzeit im Zusammenspiel mit den Lesungen und der Dynamik der Sonntagseucharistie neue, sinnvolle Akzente setzen: Strophe 1 mit dem Aufruf zum Lobpreis zur Eröffnung; Strophe 2 (Bedrängnis und Errettung) als Antwort auf die Krankenheilung in der 1. Lesung; Strophe 3 (Nicht sterben werd ich, sondern leben) vor dem Evangelium passt sowohl zur 2. Lesung (besonders Offb 1,18) wie zum Evangelium (Erscheinung des Auferstandenen vor Thomas). Eucharistie heisst Danksagung, insofern entsprechen die beiden Strophen 4 und 5 als Lied zur Gabenbereitung der Situation der Feier.

Dr. Gunda Brüske ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg.