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Die Bindung Isaaks: Kreuzestheologie oder Osternacht?   

Winfried Bader zur Lesung in der Osternacht SKZ 11/2008

Alttestamentliche Lesung: Gen 22,1–18
Evangelium: Mt 28,1–10

Im Vaterunser beten wir: «Führe uns nicht in Versuchung.» Wollen wir damit für uns selbst eine so harte Probe vermeiden, wie sie Abraham erfährt, wie es der Kreuzestod des Gottessohnes darstellt? Das ist menschlich und es ist auch richtig. Denn Beziehung braucht keine Tests und Beweise. Sie bezieht ihre Kraft aus Erfahrungen. Abraham machte eine solche Erfahrung. Und was ist unsere Erfahrung der Osternacht? «Geheiligt werde dein Name.»

Mit Israel lesen

Nach der kurzen Überleitung steht der erste Satz unserer Erzählung1 wie eine Überschrift: Gott prüfte Abraham. Der Gott steht mit bestimmtem Artikel als erstes Wort in einer für das Hebräische ungewöhnlichen Satzstellung. So ist Gott besonders betont. Er braucht nicht in den Text eingeführt zu werden. Es ist der Gott, den Abraham kennt. Der Gott ist das Subjekt dieses ersten Satzes. Abraham ist das Objekt, das auf dem Prüfstand steht. Der Text spannt den Bogen zurück zu Gen 12,1, wo die Beziehung Abrahams mit Gott beginnt. Bereits dieser Wegzug war für Abraham eine Prüfung.2 Die jüdischen Ausleger kennen 10 Prüfungen Abrahams. Der Wegzug aus seinem Land ist die erste, Hungersnot, Entführung Saras, Heirat mit Hagar, Vertreibung Ismaels sind einige der weiteren, und die geforderte Bindung Isaaks ist die härteste und letzte. Diese Glaubensprüfungen haben den Grund, das Zutage- Bringen der Gottesliebe Abrahams.

Auch sprachlich knüpft Gen 22 eng an die Auszugserzählung in Gen 12 an: Gott spricht zu Abraham, der Befehl zum Aufbruch heisst beides Mal lech l-cha – Geh weg, geh für dich, geh in dich! Und das Ziel des Wegzugs ist beide Mal unbestimmt: «Gehe in das Land/zu dem Berg, den/das ich dir zeigen/nennen werde. » Die letzte Prüfung gleicht also der ersten. Nur an diesen beiden Stellen in der Bibel findet sich dieses lech l-cha. Sich von teuer Gewordenem trennen, ist die Losung für Abrahams Leben, und dies beides sind die schwersten Trennungen. Dort waren es die Eltern, die Vergangenheit, die er aufgeben sollte, hier ist es die ganze Zukunft, der Sohn.

So formuliert Gen 22 in Parallele zu der dreifachen Loslösung von Land, Heimat und Vaterhaus ebenfalls in einem Dreischritt: «Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast: Isaak.» Isaak wird ausführlich beschrieben, ja es kommt fast einer Definition gleich, wer hier gemeint ist, und es lässt keinen Ausweg, da könnte es noch einen anderen geben. Isaak wird ausserdem ausschliesslich beschrieben in Relationen zu Abraham, es ist dein Sohn, dein einziger, den du lieb hast. Abraham wird mit dem geprüft, was zu ihm gehört und ihm wichtig ist.

Was zu tun ist, wird nachgereicht: «Um es ihm lieb zu machen», und «Damit sein Verstand darüber nicht zerrissen wird» – so die jüdischen Ausleger. «Lasse aufsteigen ihn als Opfer.» Isaak wird verwandelt, Isaak, sein Sohn, wird ein Opfer.

Abraham, der sonst keine Diskussion mit Gott scheut, rebelliert nicht. Die jüdischen Ausleger sehen darin die besondere Grösse Abrahams, beschreiben aber seinen inneren Kampf. «Ich habe nicht mit dir gestritten, oh Gott, sondern geschwiegen und mein Mitleid unterdrückt, um deinen Willen zu erfüllen.» Und der Midrasch fährt fort: «Daher möge es dein Wille sein, Herr unser Gott, Isaaks Nachkommen in der Stunde ihrer Vergehen die Bindung zu Gute zu halten und dich ihnen in Barmherzigkeit zuzuwenden.» In seinem seelischen Konflikt entscheidet sich Abraham für Gott, er reisst sich vom Rationalen los und tut das Irrationale. Er springt in die bodenlose Tiefe des Glaubens, geht Schritt für Schritt weiter. Unterwegssein und Gehen, das Wort kommt 7 Mal im Text vor, ist das Leitmotiv.

So geht es in diesem Anfangsteil (Vv1-5a) um die Beziehung zwischen Gott und Abraham und ebenso im Schlussteil (Vv9b-14). Eingebettet darin ist Vv5b-9b: Hier geht es um die Beziehung zwischen Vater und Sohn. War in V3 beim Aufbruch Isaak noch Objekt, das sogar den Dienern untergeordnet war («Abraham nahm die beiden Diener mit sich, und Isaak»), so rückt Isaak nun in die Position eines Subjekts im Satz, und zwar eng verbunden gleichwertig mit Abraham zusammen: «Ich und der Knabe werden weitergehen.» Damit beginnt das gemeinsame Gehen dieser beiden – die beiden folgenden Sätze sind die einzigen im Text, die ein Subjekt in 1. Person Plural, also ein WIR haben. «Beide gingen zusammen», fügt auch der Erzähler Abraham und Isaak sprachlich zusammen. Sie sind zusammen unterwegs, um Gott zu preisen; ihr gemeinsames Ziel eint sie. So führen sie das Gespräch, an dessen Ende sich die jüdischen Ausleger die Frage stellen: «Welche Glaubenskraft war grösser, Abrahams oder Isaaks? Manche sagten, die Kraft Abrahams, den er solle sein Kind mit der eigenen Hand töten. Das ist schlimmer als der eigene Opfertod. Und manche sagen, die Kraft Isaaks war grösser, den Abraham hat von Gott den Auftrag erhalten, Isaak aber von seinem Vater.»

Die Gesprächseröffnung wird ausführlich erzählt. Es wird sicher gestellt, dass sich beide verstehen. Isaak stellt dann die entscheidende Frage: «Wo ist das Kleinvieh für das Opfer?» Abraham antwortet: «Gott wird sich das Kleinvieh zum Opfer ausersehen.» Ist das nun eine Notlüge Abrahams, der ganz genau weiss, was Gottes Befehl ist? Das vermuten manche Ausleger schon in der Rede Abrahams in V5: «Wir (ich und Isaak) werden zurück kehren.» Aber dann hätte doch hier Abraham nur antworten können: «Gott wird das Opfer auswählen.» Um die Notlüge schwächer zu machen, müsste er nicht «das Kleinvieh» nennen. Er tut es. Abraham vertraut, dass sein Gott kein Kinderopfer will. Ist das so?

Am Anfang von V4 sieht Abraham den Ort, den Gott ihm nennen wollte (Ende V2). Mit genau den identischen Worten beginnt V13: «Abraham erhob seine Augen und sah.» Die Parallele zeigt, dass dieser Widder von Gott benannt wurde, das Opfer zu sein. So ist Abrahams Fazit am Ende dieser Prüfung die Namensgebung des Ortes: Gott sieht vor – Gott zeigt sich.

Mit der Kirche lesen

Gen 22 wurde schon oft als Parallele zu Jesu Kreuzweg genommen; dies drängt sich auf. Der jüdische Gedanke, dass die Bindung Isaaks für nachfolgende Generationen angerechnet wird, ist auf dieser Linie. Auch die Frage, wer von beiden brachte das grössere Opfer, ist ein wichtiger Aspekt der Kreuzestheologie. Heute in der Osternacht genügt aber dieser Rückblick auf Karfreitag nicht. Die Auferstehung soll verkündet werden.

Der Abschnitt aus dem Mätthäus-Evangelium hat am Ende eine auffallende Parallele zu Gen 22: «Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, dort werden sie mich sehen» (Mt 28,10). Es sind die gleichen Leitwörter, gehen und sehen, sich aufmachen im Vertrauen, dass es am Ende des Wegs ein Ziel gibt, wo sich Gott zeigt. Abraham sah den Ort und als seine Rettung den Widder, die anderen werden am See die unglaubliche Tatsache der Auferstehung erfahren. Abraham und seine feste Gottesbeziehung – vielleicht ist das der Schlüssel für die eigene Beziehung zum auferstandenen Christus.

1 Die Leseordnung sieht vor, Gen 22,1–18 zu lesen. Die im Lektionar angegebene Kurzfassung zerstört den Duktus des Textes. Es macht aber Sinn, die Lesung mit Vers 14 zu beenden, so macht es die Auslegung hier.
2 Vergleiche dazu die Auslegung in: SKZ 176 (2008), Nr. 6–7, 87.