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Drohspruch den Mächtigen oder Zuspruch den Ohnmächtigen?   

André Flury-Schölch zur Lesung am 4. Sonntag im Jahreskreis SKZ 3/2008

Alttestamentliche Lesung: Zef 2,3; 3,12–13
Evangelium: Mt 5,1–12a

Jede Zeit hat ihre Missstände: soziale, politische, wirtschaftliche, ökologische und religiöse. Und zu jeder Zeit stellt sich die Frage, wie man gegen diese Missstände vorgehen kann und muss. Wie kann man gegen Unrecht kämpfen, ohne selbst Unrecht zu tun? Prophetische Tradition im Alten wie im Neuen Testament ergreift praktisch immer Partei für die Unterdrückten und Ausgebeuteten, für die Armen und Schwachen – und sie nennt das Unrecht der Gewalttätigen und der ungerecht Herrschenden beim Namen. Dabei folgt biblische Prophetie häufig dem Schema: je stärker die Ungerechtigkeit und Gewalttat, desto stärker die prophetische Drohung mit Gottes glühendem Zorn und seinem Strafgericht. In jüngster Zeit fordern theologische Stimmen vermehrt, man solle nicht immer nur vom «lieben Gott» reden und predigen, sondern wieder stärker vom «zornigen Gott».1 Am Beispiel des Zefanjabuches, aus dem die heutige Lesung zusammengestellt ist, seien zu dieser Forderung ein paar Rückfragen gestellt.

Mit Israel lesen

Der Prophet Zefanja wirkte zwischen 630– 620 v. Chr. in Jerusalem. Er war ein scharfer Kritiker des Unrechts und der Rücksichtslosigkeit der politischen, wirtschaftlichen, juristischen, prophetischen und priesterlichen Oberschicht (3,1–4). Damit steht er in der Tradition der Propheten Amos, Hosea, Micha und Jesaja, welche die seit dem 8. Jh. v. Chr. grassierenden Missstände in scharfer Weise bekämpft hatten (SKZ 37/2007). So richtet sich auch der Aufbau des Zefanjabuches nach einem in der Prophetie verbreiteten sog. dreigliedrigen eschatologischen Schema: (1) Drohsprüche gegen das eigene Volk bzw. gegen die Führungsschicht des eigenen Volkes (Zef 1,2–28; 3,1–8 vgl. u.a. Am 2,4–9,10; Jes 1,2–10,34; Ez 4–24); (2) Drohsprüche gegen Fremdvölker (Zef 2,1–15; Jes 13-23; Am 1,3– 2,3; Ez 25,1–32,32); (3) Heilsverheissungen für das eigene Volk, evtl. auch für andere oder gar für alle Völker (Zef 3,9–20; Am 9,11–15; Jes 11–12; Ez 40–48).

Zefanja verbindet seine Drohsprüche ganz zentral mit der Vorstellung vom «Tag des Herrn». Ursprünglich war damit wohl ein Tag gemeint, an dem JHWH zugunsten Israels im Krieg gegen feindliche Völker siegreich eintritt (Jos 10,8–14; Ri 5,20 f.; 6–7; 2Sam 5,17–25; Ps 110,5). In der prophetischen Rede richtet sich der Zorn JHWHs nun jedoch gegen sein eigenes schuldbeladenes Volk (Am 5,18–20; Jes 2,6–22; Ez 7; nachexilisch Joel 2,1–11; Sach 14,1–5). Zefanja vergleicht diesen Tag JHWHs mit einem Schlachtopferfest (1,7–13), das er als eine Art Gegenliturgie zum legitim ausgeübten Kult für JHWH (1Sam 16,2–5) zeichnet: JHWH lädt zum Schlachtopfermahl ein. Die zu Schlachtenden sind jedoch keine Opfertiere, sondern die führenden Schichten Jerusalems (Zef 1,8–13). JHWH rechnet an diesem «Tag des Schlachtopfers» ab mit «den grossen Herren und den Königssöhnen» (1,8) usw. Das Strafgericht Gottes wird mehrfach ohne konkrete Anklagepunkte ins Universale gesteigert: es «bereitet allen Bewohnern der Erde ein Ende, ein schreckliches Ende» (1,18; vgl. Jes 13; 34; Joel 2,3–5 u. ö.).

Angesichts dieser Aussagen sei gefragt: Braucht es solche schrillen, brutalen Drohworte, damit die Unterdrückten eine Stimme erhalten und ihre Anliegen wahrgenommen werden? Bewirkt die Drohung mit «Tod und Verderben» tatsächlich, dass ungerechte Machthaber und Übeltäter sich von ihrem Unrecht abkehren? Ist verbale Gewalttätigkeit ein probates Mittel, um gegen Gewalttätigkeit anzukämpfen? Kann Kritik an Missständen nicht auch anders angebracht werden: Mutig und klar, jedoch ohne gewaltbesetzte Worte und Bilder? Wurden biblische Worte der Gewalt in der Religionsgeschichte nicht immer wieder dazu miss-/ gebraucht, um – vielleicht Jahrhunderte später – realpolitisch, physisch und psychisch verübte Gewalttätigkeit zu legitimieren?2 Der Einfluss von fremden religiösen Kulten mag von Zefanja zurecht als negativ beurteilt werden (1,4.5). Doch muss man den Fremdvölkern drohen, dass JHWH «alle Götter der Erde vernichtet» (2,11), oder betonen, dass diese Götter lediglich «Mistdinger» (Ez 6,4 u.ö.) sind? Zu welcher Art religiöser Identität führt das Abwerten fremder religiöser Traditionen? Wäre es nicht ausreichend, den eigenen Glauben an den einen Schöpfergott aller Menschen zu betonen (Gen 1,1–2,4a) und zur Liebe gegenüber diesem Einen zu ermutigen (Dtn 6,4 ff .)?

Im Strafgericht Gottes wird bei Zefanja ein «heiliger» Rest verschont, die «Gedemütigten im Land», die «nach dem Recht JHWHs» leben (Zef 2,3; vgl. 3,13; Jes 10,20– 23; Ez 6,8–9). Dieser Rest kann jubeln, denn Gott ist in seiner «Mitte, ein Held, der Rettung bringt» (Zef 3,17). Doch greift diese Vorstellung nicht zu kurz? Sind denn die jeweils Unterdrückten und Entrechteten, einmal befreit von ihrem Elend und selber an der Macht, tatsächlich die besseren Menschen? Werden sie nicht häufi g auch wieder zu Unterdrückern? Entspricht es nicht eher der Realität, dass Gott angesichts der Gewalttätigkeit der Menschen zwar eine Sintfl ut herbeiführen könnte, aber damit keine Änderung des menschlichen Herzens erzielen würde (vgl. Gen 6,5 mit 8,21)?

Mit der Kirche lesen

Auch die Evangelien kennen Drohsprüche Jesu: z. B. gegen jenen, der ihn ausliefert (Mk 14,21); gegen seine religiösen Gegner (Mt 23,13 ff .); gegen Reiche und Satte (Lk 6,24 f.). Im prophetischen Wehe-Ruf und der Ankündigung des Zornes Gottes (SKZ 43/2007) besteht kein Gegensatz zwischen AT und NT. Die Bergpredigt jedoch geht einen andern Weg: Hier erfolgen keine Drohsprüche gegen ungerechte Mächtige, sondern der Zuspruch von Glück, Trost, Land, Erbarmen, Gotteskindschaft und Himmelreich an Arme, Trauernde, Gewaltlose, Barmherzige, Friedenstiftende und Verfolgte (Mt 5,3–12). Sie sind das Licht der Welt (5,13–16). Aufgrund dieses Zuspruches wird ihnen viel zugetraut: ein vertrauensvolles Leben nach Gottes Willen, insbesondere auch der Verzicht auf Vergeltung (5,38–42) und die Feindesliebe (Mt 5,43–48; im AT der Sache nach Ex 23,4; Jon). Damit ist keine Schwäche gemeint, sondern eine Stärke. Wie es beispielsweise – der von der Bergpredigt beeindruckte – Mahatma Gandhi zum Ausdruck brachte: «Gewaltlosigkeit bedeutet keineswegs Ablehnung jeglicher Konfrontation mit dem Bösen. Sie ist meiner Auffassung nach im Gegenteil eine Form eines sehr aktiven Kampfes – echter als der gewalttätige Gegenschlag, dessen Wesen im Grunde die Vermehrung der Boshaftigkeit ist.»

1 Vgl. z. B. Walter Gross: Keine Gerechtigkeit Gottes ohne Zorn Gottes – Zorn Gottes in der christlichen Bibel, in: «Deine Bilder stehn vor dir wie Namen ». Zur Rede von Zorn und Erbarmen Gottes in der Heiligen Schrift. Hrsg. v. Günter Kruk / Claudia Sticher. Mainz 2006, 13–29; Ralf Miggelbrink: Vom Zorn Gottes. Warum wir das biblische Zeugnis nicht unterschlagen dürfen, in: Christ in der Gegenwart Extra-Heft (2005), 24–27; ders.: Der Zorn Gottes: Geschichte und Aktualität einer ungeliebten biblischen Tradition. Freiburg u. a. 2000.
2 Dieser Frage wird kaum nachgegangen in dem ansonsten fundiert argumentierenden kirchengeschichtlichen Buch von Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 32007.