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Ein König, der Soldaten nach Hause führt   

Peter Zürn zur Lesung am Christkönigssonntag SKZ 46/2007

Alttestamentliche Lesung: 2 Sam 5,1–3
Evangelium: Lk 23,35–43

«Der junge Alexander eroberte Indien. / Er allein?
Cäsar schlug die Gallier? / Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? …
Jede Seite ein Sieg. / Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein grosser Mann. / Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte. / So viele Fragen.»

Die Fragen eines lesenden Arbeiters von Bertolt Brecht entlarven die weit verbreitete Ideologie von Herrschergestalten. Sie sind 1935 im Exil und mit Blick auf die neuen Herrscher in Deutschland entstanden. Sie können aber durchaus auch in der Schweiz mit ihrer langen demokratischen Tradition mit Gewinn gelesen werden. Und vor allem sind sie an einem kirchlichen Festtag als kritische Orientierung zu gebrauchen, an dem Christus als König des Weltalls gefeiert wird. Sie stehen in einer biblischen Tradition königs- und herrschaftskritischer Texte.

Mit Israel lesen

2 Sam 5,1–3 erzählt, wie die Ältesten Israels, d. h. der nördlichen Stämme, zu David nach Hebron kommen, um ihn als König werben, mit ihm einen Vertrag abschliessen und ihn schliesslich zum König salben. Dem geht 2 Sam 2,1–4 voraus, wo bereits von Davids Salbung zum König des Stammes Juda berichtet wird. David vereinigt zwei Gruppen in einem Doppelkönigtum («König von ganz Israel und Juda» 2 Sam 5,5), allerdings ohne dass die Spannungen damit aufgelöst wären. Sie werden die folgenden Jahrhunderte königlicher Herrschaft prägen.

Die Erzählung von der Salbung Davids zum König Israels in 2 Sam 5 hat im Vergleich zu 2 Sam 2 einige Besonderheiten. So schliessen die Ältesten vor der Königssalbung einen Vertrag mit David ab. Sie unterstellen sich nicht einfach seiner Herrschaft, sondern handeln Bedingungen und Regeln aus. Das Königtum war im Alten Orient die übliche und überall verbreitete Regierungsform. In der Regel lag dabei alle Macht beim Herrscher. Unser Text dagegen spricht von einem Vertrag, der geschlossen wird. Thomas Staubli sieht darin einen äussert bemerkenswerten Vorgang, der «nicht nur die Relativität des Königtums im föderativen Bewusstsein Israels, sondern auch die enorme Bedeutung des Vertragswesens als uraltes Mittel gewaltfreier Konfliktlösung»1 belegt. Der Vertragsabschluss geschieht «vor dem Herrn». Gott ist Zeuge und Garant des Vertrages, hebräisch berit, eines Bundes zwischen Partnern mit ihren jeweiligen Rechten und Pflichten. Dieser Gott wird selbst immer mehr als ein Gott des Bundes mit seinem Volk erkannt. Über den genauen Inhalt des Vertrages der Nordstämme mit David ist nichts bekannt. David macht aber im Laufe seiner Herrschaft durchaus die Erfahrung, kritisch an seinen Bundesverpflichtungen gemessen zu werden. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Gleichnis vom reichen Mann, der dem Armen sein einziges Lamm raubt, mit dem der Prophet Natan dem König den Spiegel vorhält (2 Sam 12,1–14). Gott erweist sich hier als einer, der auf der Seite des schwächeren Vertragspartners steht.

Gottes Eintreten für die Vertragsbeziehung tritt im Lesungstext in Spannung zu seiner zweiten Funktion, der Legitimation der königlichen Herrschaft. «Der Herr hat zu dir (David) gesagt: Du sollst der Hirt meines Volkes Israel sein, du sollst Israels Fürst werden » (5,2). Der König ist der Hirt seines Volkes, sorgt für sein Wohlergehen, schützt es vor Feinden und ist dafür von Gott eingesetzt: Das sind Elemente der Königsideologie, wie sie im ganzen altorientalischen Umfeld Israels verbreitet ist. Allerdings bleibt diese Vorstellung im biblischen Kontext nicht unwidersprochen. Die JHWH-Königspsalmen (Ps 93–99) stellen das Gott als gerechten König und Richter menschlicher Herrschaft kritisch gegenüber. Ps 101 hält David und in ihm stellvertretend allen Herrschern einen Spiegel vor. Auch das Bild vom Hirten wird in vielen biblischen Texten gerade nicht für den König, sondern für Gott gebraucht. Für das Wohlergehen und den Schutz des Beters bzw. der Beterin von Psalm 23 ist gerade nicht der König verantwortlich, offensichtlich auch nicht notwendig. Es braucht keinen Mittler für die Güte und Huld Gottes. Psalm 23 «demokratisiert» denn auch die Salbung. Die Salbung des Hauptes mit Öl in der Bildsprache von Ps 23,5 bezieht sich allerdings nicht auf die Salbung zu einem besonderen Amt. Sie geht auf einen in Ägypten belegten Brauch zurück, bei festlichen Mählern den Gästen parfümierte Fette und Öle in sogenannten Salbkegeln auf den Kopf zu binden, die dann im Laufe des Mahls auf den erhitzten Häuptern zerflossen, den Kopf herunter träufelten und Wohlgeruch verbreiteten. Und dennoch klingt auch die Königssalbung an. Jeder betende Mensch ist königlicher Gast, ist Gesalbte und Gesalbter – eine gut vernehmbare Kritik an jeder exklusiven Königsideologie.

In 2 Sam 5 werben die Nordstämme um David. Dabei werden seine militärischen Fähigkeiten besonders herausgestellt. «Du bist es gewesen, der Israel in den Kampf geführt hat.» Die anschliessende Formulierung fällt im Kontext von Herrscher- und Heldenideologien auf: David ist es auch gewesen, der Israel «wieder nach Hause geführt hat». Eigentlicher Zielpunkt des königlichen Handelns ist nicht die siegreiche Schlacht, sondern die Heimkehr, die – so verstehe ich es – möglichst unversehrte Heimkehr der Kämpfenden. Die Monumente und Denkmäler von Königen sind voll von verherrlichenden Berichten über Siege und Eroberungen. Brecht fragt danach, wer die Spesen dafür bezahlt. Der Lesungstext geht noch einen Schritt weiter. Er bringt nicht nur zum Vorschein, dass der König keine Einzelfigur, sondern auf andere angewiesen ist. Er bringt den Wunsch dieser Anderen ins Spiel, «wieder nach Hause» geführt zu werden. Ob dieser Wunsch als Versprechen des Königs im Vertrag von 2 Sam 5 festgehalten wurde, ist fraglich. Aber er ist ausgesprochen und im Bibeltext aufgeschrieben. An ihn kann erinnert, er kann immer wieder ins Spiel gebracht werden um Herrschaft letztlich an den Lebensinteressen der schwächeren Glieder im Vertragsverhältnis auszurichten.

Mit der Kirche lesen

Der Christkönigssonntag wurde 1925 von Papst Pius XI. zum Gedenken an das 1600- jährige Jubiläum des Konzils von Nicäa eingeführt – wohl auch ein demonstratives Zeichen angesichts der zerfallenden Monarchien in Europa. Die Verbindung von Kirche und Monarchie, von Christentum und Staatsmacht, wie sie im 4. Jahrhundert begann, war jedoch zu Ende bzw. löst sich weiter auf. Schon die Orientierung an der Bibel führt ja über sie hinaus. Seit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums wird der Christkönigssonntag am letzten Sonntag im Kirchenjahr gefeiert. Danach beginnt der Advent: Neues kündigt sich an. Anknüpfen lässt sich dabei auch an die Christkönigsverehrung während der Zeit des Nationalsozialismus, die als Zeichen gegen den Führerkult ihr herrschaftskritisches Potential erkennbar machte