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Auf Leben und Tod   

Dieter Bauer zur Lesung am 32. Sonntag im Jahreskreis SKZ 44/2007

Alttestamentliche Lesung: 2 Makk 7,1–2.7a.9–14;
Evangelium: Lk 20,27–38

Für die meisten Christen ist das Thema «Auferstehung der Toten» unlösbar mit Jesus Christus verbunden. Dass der Auferstehungsglaube aber zur Zeit Jesu bereits sehr verbreitet war und er selbst darauf in seiner Verkündigung Bezug nehmen konnte, ist weit weniger bekannt. Die Texte der Lesung und des Evangeliums helfen, diese Brücke vom Alten zum Neuen Testament besser zu sehen.

Mit Israel lesen

Die Lesung aus dem 2. Buch der Makkabäer ist (wieder einmal) sehr «verstümmelt». Das passt zwar zum Thema – auch das genannte Folteropfer wird auf grausamste Art und Weise verstümmelt –, ist aber für das Verständnis des Textes wenig hilfreich. Es müsste zumindest 2 Makk 7,1–14 ohne Auslassungen vorgelesen werden, wenn anschliessend über den Text gepredigt wird.

Das 2. Buch der Makkabäer ist nicht – wie man vielleicht meinen könnte – einfach die Fortsetzung des 1. Makkabäerbuches, sondern ein eigenständiges Buch, das teilweise dieselbe Zeit behandelt: die Zeit des jüdischen Freiheitskampfes gegen die seleukidische Besatzungsmacht im 2. Jhdt. v. Chr. Es ist ca. 40 Jahre nach den Ereignissen (kurz nach 124 v. Chr.) verfasst worden und fusst auch dem leider verloren gegangenen fünfbändigen Geschichtswerk des Jason von Cyrene. Unser Lesungstext stellt quasi den dramatischen «Höhepunkt» der in 2 Makk geschilderten Ereignisse dar, welche durch die Religionsverfolgungen unter Antiochus IV. Epiphanes ausgelöst worden waren: Verfolgung und Hinrichtung der Frommen, Durchsetzung griechischer Lebensart bis hin zum Schweineopfer und dem Zwang, von diesem Opferfleisch zu essen.

Exemplarisch am Schicksal einer Mutter von sieben Kindern wird gezeigt, wie grausam diese Verfolgung war, wie gross aber auch der Widerstandswille der Frommen war, die lieber das Martyrium auf sich nahmen, als den Glauben der Väter zu verraten. Die Kraft zum Widerstand schöpften sie aus ihrem Glauben an die Auferstehung, der wahrscheinlich in eben diesen Kämpfen erwachsen war: weil sich die Frommen nicht vorstellen konnten, dass ihr «Gott des Lebens» keine Möglichkeiten habe, ihnen Gerechtigkeit auch jenseits der Grenzmarke des Todes zu verschaff en: «Eher sterben wir, als dass wir die Gesetze unserer Väter übertreten», heisst es gleich am Anfang der Erzählung (V.2). Und: «Du nimmst uns dieses Leben; aber der König der Welt wird uns zu einem neuen, ewigen Leben auferwecken, weil wir für seine Gesetze gestorben sind» (V.9).

Ganz klar wird hier Gottes Macht (die Macht des «Königs der Welt») der Macht des seleukidischen Herrschers gegenübergestellt. Der Anfechtung des Glaubens, dass diejenigen, die «für seine Gesetze gestorben sind», für immer verloren sind, wird entgegengehalten: Gottes Schöpfermacht, die diesen Menschen das Leben gegeben hat, wirkt auch über den Tod hinaus und kann sie neu schaff en zu einem anderen, ewigen Leben. Dies wird so konkret leiblich verstanden, wie es nur geht: «Als sie seine (des dritten Bruders) Zunge forderten, streckte er sie sofort heraus und hielt mutig die Hände hin. Dabei sagte er gefasst: Vom Himmel habe ich sie bekommen, und wegen seiner Gesetze achte ich nicht auf sie. Von ihm hoff e ich sie wiederzuerlangen» (V.10 f.). Und: «Gott hat uns die Hoff nung gegeben, dass er uns wieder auferweckt. Darauf warten wir gern, wenn wir von Menschenhand sterben. Für dich (d. i. Antiochus IV.) aber gibt es keine Auferstehung zum Leben» (V.14).

Damit wird Bezug genommen auf eine Auferstehungsvorstellung, die eindeutig auf Daniel 12,2 zurückgreift: Dort nämlich wird eine zweifache Auferstehung erwartet: für die einen zum ewigen Leben, für die anderen aber zur Schmach, zu «ewigem Abscheu». Es ist also an ein Totengericht gedacht, wie es etwa in Ägypten schon seit Jahrtausenden erwartet wurde. Dieses Gericht sollte die im irdischen Leben fehlende Gerechtigkeit schaff en. Diese fehlende Gerechtigkeit ist der eigentliche Anstoss für die Ausbildung eines Auferstehungsglaubens geworden.

Noch das wahrscheinlich vor dem Danielbuch entstandene «Buch der Wächter» (1 Hen 1–36) stellte sich zwei Gruppen von Menschen vor, denen am Tag des Gerichtes Gerechtigkeit widerfahren muss. Von den Sündern heisst es da: «Und diese Abteilung ist für die Seelen der Menschen gemacht, die nicht gerecht, sondern Sünder, ganz und gar gottlos und Genossen der Bösen waren; ihre Seelen werden am Gerichtstag nicht bestraft, aber auch nicht von hier mit auferweckt werden» (22,13). Auch das zeitlich parallel zu Daniel entstandene «Buch der Traumvisionen» (1 Hen 83–91) rechnet nur mit einer Auferstehung der Gerechten (90,33). Und das in Qumran gefundene Fragment eines «Pseudo-Daniel» weist ebenfalls in eine ähnliche Richtung: «diese werden wie ein Blinder irregehen . . . diese werden aufstehen» (4Q245). Überall ist die eigentliche Strafe für die Ungerechten die «Nicht-Auferstehung». Wenn aber der jüngste der makkabäischen Brüder dem Antiochus IV. entgegenschleudert: «Unsere Brüder sind nach kurzem Leiden mit der göttlichen Zusicherung ewigen Lebens gestorben; du jedoch wirst beim Gericht Gottes die gerechte Strafe für deinen Übermut zahlen» (2 Makk 7,36), dann rechnet er wohl mit einer Auferstehung auch der Ungerechten: zum Gericht Gottes!

Mit der Kirche lesen

Die erhoffte Gerechtigkeit Gottes hat sowohl für die Apokalyptiker, wie auch den Verfasser des 2. Makkabäerbuches eine so grosse Bedeutung, dass das «ewige Leben» demgegenüber kaum weiter ausgemalt wird. Bei dieser Auferstehungshoff ung geht es in keiner Weise um eine Neugier nach dem Jenseits des Todes, ja eigentlich überhaupt nicht um ein «Weiter leben nach dem Tode», wie der missverständliche Ausdruck «ewiges Leben» vielleicht suggerieren könnte. «Ewiges» Leben drückt keine Quantität von Zeit aus, sondern ist eine Qualitätsaussage: Das Leben, das den Frommen in ihrer Situation des Leides und der Verfolgung nicht möglich war, erhalten sie spätestens nach dem Tod, und zwar als «Leben in Fülle» (Joh 10,10; vgl. Ps 16,11)! Wenn deshalb die «Sadduzäer, die die Auferstehung leugnen» (Lk 20,27), im Text des Evangeliums Jesus neugierig fragen, wie genau es denn nun um das Heiraten bei der Auferstehung bestellt sei, erliegen sie genau diesem Irrtum. Der «Gott der Lebenden» (20,38) schaff t Gerechtigkeit, indem er den bisher Benachteiligten die Qualität eines Lebens in Fülle schenkt. Diese neue Qualität ist mit der des bisherigen Lebens in keiner Weise vergleichbar.

Im Unterschied zu heutigen Auferstehungsvorstellungen nämlich, bei denen die Hoffnung – in m. E. höchst schäbiger Weise – allein darin besteht, dass «es auch nach dem Tod (so) weitergeht», bedeutet jüdische Auferstehungshoffnung seit dem Buch Daniel, dass es gerade nicht so weitergeht – im Namen der Gerechtigkeit Gottes! Deshalb sind diese biblischen Auferstehungstexte auch nur in einem entsprechenden gesellschaftlich-religiösen (Unrechts-) Zusammenhang unmittelbar verständlich. Wo Menschen nicht mehr merken, dass sie auf Kosten anderer leben und dadurch Unrechtszusammenhänge in dieser Welt stabilisieren, wird eine Hoffnung darauf, dass es auch nach dem Tode so weitergeht, zur Perversion. Der biblische Gott Daniels, der Makkabäer und Jesu von Nazaret jedenfalls lässt sich dafür nicht beanspruchen.