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Bilder von Vernichtung und Heilung   

Rita Bahn zur Lesung am 33. Sonntag im Kirchenjahr SKZ 45/2007

Alttestamentliche Lesung: Mal 3,19–20b
Evangelium: Lk 21, 5–19

Die Fragen sind uns vertraut: Warum scheint Unrecht besser zu gedeihen als Recht und Gerechtigkeit? Warum werden Reiche immer reicher und Arme immer ärmer? Warum muss dieser gute Mensch so viel erleiden und jenem, der nur an sich selbst denkt, geht es gut und er hat Erfolg? Wann wird sich das ändern? Wird es sich jemals ändern? – Zweifel am Menschen, Zweifel an Gott, der alles zulässt, und Zweifel an uns selbst und dem Sinn unserer eigenen rechtschaffenen Lebenshaltung kommen auf.

Wenn wir an der Welt verzweifeln und unsere ethischen Massstäbe über Bord werfen wollen, ist es gut, jemanden zu haben, der uns erinnert, worauf es ankommt und warum. Wir brauchen dann jemanden, der unsere Motivation hinterfragt, uns in unserer Haltung bestärkt und unsere Sehnsucht nach einer gerechteren Welt erneuert.

Mit Israel lesen

Im 5. Jahrhundert vor Christus, als Juda Provinz des Perserreichs und der Tempel schon einige Jahrzehnte wieder aufgebaut war, kritisiert Maleachi die religiösen und sozialen Missstände in Volk und Priesterschaft. Er wendet sich gegen «alle, die finstere Machenschaften treiben, Ehen zerstören, Meineide schwören, den Tagelohn drücken, Witwen und Waisen unterdrücken und Fremde wegdrängen » (3,5), gegen unangemessene Opfergaben und falsche priesterliche Lehren.

Der Prophet hat gegen Kleinmut und Zweifel, Laschheit und Gleichgültigkeit anzukämpfen. Denn die Menschen beobachten ganz richtig, dass es zwischen Tun und Ergehen offensichtlich keinen Zusammenhang gibt: Nicht jeder, dem es gut geht, muss deswegen ein Gerechter sein. Oft sehen sie gerade das Gegenteil und schliessen daraus: «Es hat keinen Sinn, Gott zu dienen. Was haben wir davon, wenn wir auf seine Anordnungen achten (…)? Darum preisen wir die Überheblichen glücklich, denn die Frevler haben Erfolg; sie stellen Gott auf die Probe und kommen doch straflos davon.» (3,14 f.).

Maleachi benutzt eine überwältigende Bildersprache, um seinen ZeitgenossInnen klar zu machen, dass Gott sehr wohl Recht und Unrecht unterscheidet. Der Tag seines Gerichts wird dies überdeutlich machen, für die einen entsetzlich-albtraumhafte Vernichtung bringen, für die anderen hingegen die Erfüllung ihrer Sehnsucht. Was der Prophet für die «Überheblichen und Frevler» ausmalt, stellt eine Reihe von Anfragen an uns, an unser Menschen- und unser Gottesbild: Empfinden wir das Bild vom Ofen, einem verzehrend heissen geschlossenen Raum, aus dem es kein Entkommen gibt, in dem das zu Spreu, zu (fast) nichts degradierte Kollektiv der Anmassenden und Gewalttäter brennt wie Zunder als aufrüttelnd, mahnend, abschreckend? Erinnert es uns vielleicht an die Gaskammern und Krematorien der Vernichtungslager – und wollen wir ein solches Ende tatsächlich bei klarem Kopf irgendjemandem wünschen? Wie halten wir es mit der Vorstellung von einem Gott, der Menschen – wie einem Baum Wurzeln und Zweige – Ursprung und Ziel, Sicherheit und Freiheit, Stabilität und Fruchtbarkeit nimmt? Betrachten wir ein menschliches Verlangen nach Vergeltung, Rache, Genugtuung als legitim oder illegitim und warum? Geschieht Gerechtigkeit, wenn mordende, ausbeutende, … Menschen ge-nicht-et werden?

Auch Maleachi, der die Berechtigung von Vergeltung keineswegs in Frage stellt (vgl. 3,21), hat verstanden, dass es um Gerechtigkeit zu schaff en (wenn schon nicht anderes, dann doch) mehr braucht. Die Menschen, die durch andere verletzt und geschädigt worden sind, mögen nach dem aus-dem-Weg-Räumen der Übeltäter/ -innen erleichtert aufatmen, heil sind sie dadurch noch nicht wieder geworden. Der zweite Teil seiner Vision des Gerichtstages ergänzt das Fehlende: Eine andere Art von Wärme wird denen zuteil, die sich an Tora und Propheten halten. Sie ist lebensspendend statt vernichtend. Wie bei einem Sonnenaufgang in der Natur erwärmt die «Sonne der Gerechtigkeit» die Menschen sanft. Sie zeigt ihnen, dass ein neuer Tag geboren ist, das Leben weitergeht und es eine Zukunft gibt. Im Schutz ihrer Flügel findet Heilung statt, geschieht Schalom: Da wird Trost gespendet und Sehnsucht erfüllt. Wunden werden geheilt, Auswege gezeigt, Strukturen verändert. Ein letztes Bild, das Vers 20 beschliesst, aber leider nicht in der Leseordnung enthalten ist (und doch zur Herstellung eines relativen Gleichgewichts zwischen Unheils- und Heilsbotschaft notwendig wäre!), bringt das neue, frische Leben zum Ausdruck, das die Folge der Heilung, der wirklichen Herstellung der Gerechtigkeit ist: Die Menschen sind kraftvoll, lebenshungrig und neugierig und bereit für die Zukunft. Sie sind wie Mastkälber, die, losgebunden und aus ihrem Stall entlassen, hüpfen vor lauter Freude und Lebenslust.

Mit der Kirche lesen

Maleachi kann bei aller Kraft seiner zutiefst eindrucksvollen Bilder für uns Heutige wohl nur bedingt einer sein, der zu gerechtem Handeln motiviert: Zwar mag die Sehnsucht nach Heilung ein Potential für das Streben nach Gerechtigkeit in sich tragen, kaum aber die Vertröstung auf einen Tag des Gerichts oder gar die Angst vor einer möglichen Vernichtung. Wir wissen auch, dass es Gut und Böse nicht wie Schwarz und Weiss gibt, sondern unterscheiden unendlich viele Grautöne. Die Frage aber «Warum geht es so vielen eklatant ungerecht Handelnden so gut?» bleibt auch uns und erweitert sich bisweilen um den – meist rhetorisch gemeinten – Seufzer »Warum gebe ich mir eigentlich solche Mühe?».

Jesus sagt im Evangelium dieses Sonntags alle möglichen Schreckensszenarien voraus, von denen uns mindestens Seuchen, Hungersnöte und Kriege als alltägliche Begleiter vertraut sind, wenn wir sie auch in der Regel nicht direkt erleben (Warum eigentlich haben wir so viel Glück?!). Unheil und Unrecht gehören – davon geht er schlicht aus – zur Realität, zum Leben der Menschen; dem müssen wir uns stellen, damit umgehen, uns dazu verhalten. Gänzlich unerwartet und seltsam – verwirrend und verheissungsvoll – aber ist, dass Jesus uns anscheinend zutraut und zu-mut-et, durch alles Unheil hindurch zu gehen als sei es nichts Besonderes. Er traut uns tatsächlich zu, Gott und uns selbst treu und in allen Schwierigkeiten handlungsfähig zu bleiben.

Vielleicht wird jene Frage, die die Menschen zur Zeit Maleachis umtrieb und auch uns bisweilen beschäftigt, darüber völlig nebensächlich. Wir können das letztliche Schicksal der ungerecht Handelnden wieder getrost Gott überlassen und uns darauf konzentrieren, zu Menschen zu werden, die sich gegenseitig an das erinnern und in dem unterstützen, worauf es im Dienst an der Gerechtigkeit ankommt: auf Eigenschaften wie Achtsamkeit, kritisches Bewusstsein, (Gott)Vertrauen, Sorglosigkeit, Unerschrockenheit – Eigenschaften, wie sie in diesem Sonntagsevangelium aufscheinen.