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Leben auf Kosten anderer ?!   

Rita Bahn zur Lesung am 26. Sonntag im Jahreskreis SKZ 38/2007

Alttestamentliche Lesung: Am 6,1a.4-7
Evangelium: Lk 16,19-31

Arme werden in der Regel immer noch ärmer. Reiche werden hingegen nur ausnahmsweise weniger reich. Das ist eine Binsenwahrheit – und offensichtlich ein sehr menschliches Problem, das durch die Jahrtausende aktuell bleibt. Nur: Es betrifft heute mehr Menschen denn je. «Gegenwärtig sterben jedes Jahr mehr als acht Millionen Menschen auf der Welt, weil sie zu arm sind, um am Leben zu bleiben.» Wäre dies ein regionales und kein globales Geschehen, wäre z.B. die Schweiz binnen eines knappen Jahres entvölkert.
Die Verantwortung dafür Managern, Konzernen, Regierungen, ... – den andern – anzulasten, ist bei weitem nicht genug. Neben strukturellen Veränderungen auf übergeordneter Ebene, oder besser als deren Grundlage, braucht es vor allem eine/n jede/n von uns, unser Wahrnehmen, unser Umdenken, unseren Protest, unser Mitfühlen und Handeln.

Mit Israel lesen

Amos geht es zwar um die Oberschicht. Aber aus seiner scharfen Kritik an denen, die sich für «die Elite des ersten unter den Völkern» (1b) halten, erhalten wir Hinweise, was ganz grundsätzlich anders zu machen wäre. Dabei mag der Beginn unseres Textabschnitts zunächst irritieren: Wer wäre nicht gern sorglos und selbstsicher? Ist nicht gerade das erstrebenswert? Die Verse 4-6 illustrieren höchst anschaulich, dass hier nicht eine Sorglosigkeit und ein Selbst-bewusst-sein gemeint sind, die aus der Beachtung der Tora und der Beziehung zu Gott erwachsen. Unaufmerksam, gleichgültig, ja ignorant, verhalten sich diejenigen, denen eigentlich die Sorge für das Volk anvertraut wäre. Sie verschwenden keinen Gedanken an jemanden ausserhalb ihrer Kreise. Die anderen haben für sie nur den Wert von Zuarbeitern, Werkzeugen, Spielzeug. Nur so können es sich die Reichen leisten, sorglos zu sein und in einem falschen Gefühl der Sicherheit zu schwelgen.
Für sie ist das Beste gerade gut genug: Sie salben sich mit feinstem Öl, obwohl es gutes auch täte. Sie bedienen sich, wo sie nur können, ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Ressourcen, den Vorrat für schlechtere Zeiten, das Sattwerden und die Festfreude anderer, ärmerer: Das feine Fleisch von Jungtieren muss es für sie schon sein! Ihr übertriebener Weinkonsum, der nichts mit Genuss zu tun hat, ihr Mangel an Ästhetik, der sie grölen lässt, ihre Selbstüberschätzung, die die Vorstellung weckt, sie könnten mit David gleichziehen, sind widerlich und auch in einer Zeit des Aufschwungs wie der damaligen nicht angebracht.
Aber es geht dem Propheten um viel mehr als nur um ein massvolles Leben. Es geht ihm um Gerechtigkeit: «Ihr aber habt das Recht in Gift verwandelt und die Frucht der Gerechtigkeit in bitteren Wermut.» (12b). Auch im in der Leseordnung ausgelassenen wichtigen Vers 3 weist er die Oberschicht unmissverständlich auf ihre Verantwortung hin. Durch ihre Prasserei und ihre Vogelstrausspolitik haben sie den Weg in den Untergang eingeschlagen. Durch das, was sie wissen könnten, aber nicht wissen wollen, führen sie auch für sich selbst die Herrschaft der Gewalt herbei. Die hat allerdings für die kleinen Leute unter ihrer Führung schon längst begonnen (- die Lesung des vergangenen Sonntags vermittelte eine Vorstellung davon, was das konkret bedeutet).
Das Fest der Faulenzer mag lange währen, ein Dauerzustand ist es nicht. Irgendwann ist es zu Ende. Wären die Wohlhabenden nicht nur mit Oberflächlichkeiten und sich selbst beschäftigt, würden sie mit Blick auf Nachbarregionen zur Kenntnis nehmen können, dass sich das politische Kräfteverhältnis zu verändern beginnt (2). Ironisch-sarkastisch bringt Amos es auf den Punkt: Die, die die ersten sein wollen, dürfen und werden die ersten sein – auf dem Weg in die Verbannung! Dann wird im Äusseren aufscheinen, was sich im Inneren seit langem entwickelt hat: Fäulnis, die (nicht nur andere) am Leben hindert.
Hier wechselt er für einen Moment die Rederichtung: Er spricht nicht mehr zur Oberschicht, sondern über sie. Es ist als wende er sich von ihr ab, als sei sie ihm gleichgültig geworden, ihr Schicksal besiegelt, nichts mehr zu machen. Vielleicht wäre das eine wirklich gute Lösung: sich nicht mehr über «die Reichen» aufregen, sondern sich selbst denen, die es brauchen, zuwenden, es anders machen, tun, was man/frau selbst tun kann, ohne zu moralisieren und den schwarzen Peter weiterzuschieben?
Amos allerdings lässt die Reichen nicht aus dem Blick, entlässt sie nicht aus der Verantwortung. Er pocht auch weiterhin auf das Sich-Ausrichten an der Tora und auf Solidarität mit dem ganzen Volk.

Mit der Kirche lesen

Das heutige Sonntagsevangelium – ein Gleichnis, das in seiner zugespitzten Darstellung von Gut und Böse an ein Märchen erinnert – lässt wenig Hoffnung für Optimismus in bezug auf die menschliche Natur. Nicht einmal, wenn einer von den Toten zurückkehrte, würde mensch ihm glauben, was er nicht glauben will, wofür sein Herz und sein Geist nicht offen sind. Und: Selbst in seinem eigenen Desaster hat der reiche Mann (fast) nichts dazugelernt. Er denkt wieder nur an die Seinen, an seine Familie, nicht an andere.
Es pragmatisch und fatalistisch bei diesen Feststellungen zu belassen und zur Tagesordnung überzugehen, ist nicht im Sinn Jesu. Es sei denn auf der Tagesordnung stünden die Offenheit des Herzens, die Weite des geistigen Horizonts, Mitgefühl und der Wille zu Gerechtigkeit. Wir könnten den Bildern und den Fragen Raum geben, die unwillkürlich in uns aufsteigen, wenn wir diesen Text hören: Warum schafft es der Reiche nicht, wenigstens von seinem Überfluss abzugeben? Nicht einmal an den, der direkt bei seiner Tür sitzt, den er bei jedem Nachhausekommen sieht? Wollen wir es Gott allein überlassen, einmal Gerechtigkeit zu schaffen? Oder ist auch jede/r von uns nicht nur beauftragt, sondern auch ermächtigt, für Gerechtigkeit einzutreten? Wen oder was übersehe denn ich ganz gern? Wo braucht es mich? Wir könnten uns mit diesen Fragen einen Stachel ins Fleisch setzen lassen – störend und heilsam!
Der Weg von Mitgefühl und Liebe ist der einzige Weg, der Gerechtigkeit schaffen kann und uns unsere Verbundenheit und Einheit mit allen und allem immer besser verstehen lässt. Im Interesse der unzähligen Armen auf der Erde und in unserem eigenen Interesse liegt es, dass wir ihn gehen.

Rita Bahn