Wir beraten

Verantwortung übernehmen – Antwort geben   

Rita Bahn zur Lesung am Eidgenössischen Dank- Buss und Bettag – 24. Sonntag im Jahreskreis SKZ 36/2007

Alttestamentliche Lesung: Ex 32,7–11.13–14
Evangelium: Lk 15,1–32

In vielerlei Lebensbereichen haben wir Verantwortung. Nicht immer ist uns das wirklich bewusst … Bisweilen übernehmen wir gern für etwas Verantwortung. Manchmal würden wir sie am liebsten an jemand anderen abgeben. Und in dem einen oder anderen Fall sind wir versucht, uns still und heimlich aus ihr herauszustehlen.

Verantwortung zu tragen, kann schön und befriedigend sein, aber auch lästig oder qualvoll.Wer Verantwortung übernimmt, muss mit Ungewissheit leben können: Wenig genug ist planbar, absehbar. In all den Unwägbarkeiten hilft vielleicht der Gedanke, dass der seiner Ver-antwort-ung gut gerecht werden kann, der bestrebt ist, bestmöglich Antwort zu geben durch sein Handeln wie durch seine Worte. Dazu braucht es allerdings Eigenschaften wie Weitsicht, Demut, den Willen zu persönlichem Wachstum und Reife.

Mit Israel lesen

Zwei, die sich gegenseitig an ihre Verantwortung erinnern, begegnen uns heute im alttestamentlichen Lesungstext: Gott und Mose.

Mose weilt schon so lange auf dem Berg bei Gott, dass das Volk sich seine Abwesenheit nicht erklären kann und unter ihr zu leiden beginnt. Ist Mose verschwunden, gar tot? Und ist mit ihm etwa auch sein Gott verschwunden? Diese Unsicherheit ist für die Menschen offensichtlich schwer zu ertragen. Sie wenden sich an Aaron, der die Führungsrolle übernommen hat, und bitten ihn, ein Gottesbild herzustellen, das ihnen auf ihrem Weg voranziehen kann. So entsteht ein goldenes Kalb, Sinnbild von Fruchtbarkeit, Stärke und Vitalität, schlicht von (Über-)Lebenskraft, das den Menschen vom ägyptischen Apis-Kult her vertraut gewesen sein mag (und mit dem die ersten Leser des Textes den Stierkult in Bet-El, dem Heiligtum des Nordreichs, in Verbindung gebracht haben dürften). Es scheint ihnen das zu gewähren, was sie in ihrer unsicheren Lage in der unwirtlichen Gegend brauchen: Halt und Führung.

Zunächst kann es so aussehen, als habe Aaron das grosse Bedürfnis des Volkes erkannt, Verantwortung übernommen und den Menschen gegeben, wonach sie sich sehnten. Mit Blick auf die Weisung «Du sollst dir kein Gottesbild machen» (20,4) und im Wissen darum, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, und dass Äusserlichkeiten nur selten dauerhaft Sicherheit schenken, ist dies wohl nicht die klügste und vorausschauendste Lösung, aber vielleicht die beste, zu der Aaron fähig war. Erst in Vers 22 wird deutlich, dass Aaron, statt dem Volk durch sein Handeln die erhoffte tragende Antwort zu geben, offensichtlich nur den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist. Jetzt wälzt er nämlich die Verantwortung für die Entgleisung auf das Volk ab, das er als böse bezeichnet, und erweist sich damit als leichtfertig, unbesonnen, fahrlässig.

Im Gegensatz zu Aaron, der also – im Umfeld unserer Perikope – als Beispiel für Verantwortungslosigkeit auftritt, werden Mose und (pikanterweise erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch) Gott der von ihnen übernommenen Verantwortung gerecht.

Gott verweist Mose auf seine Zugehörigkeit zum Volk und daran, dass er derjenige war, der es hierher gebracht – «heraufgeführt» – hat und erinnert ihn so an seine Verantwortlichkeiten. Sein Platz ist nun an der Seite seines Volkes.Wo andere zögern würden, die im wahrsten Sinn abgehobene spirituelle Zweisamkeit zugunsten einer harten Realität aufzugeben, ist Mose bereit zu gehen – dorthin, wo er gebraucht wird. Er wird bergab gehen, um Lösungen zu suchen, zurechtzurücken, zu retten, was zu retten ist und im Übrigen das Schicksal seines Volkes zu teilen. Nichts hält ihn davon ab, auch nicht die Aussicht auf den eigenen Vorteil: von Gottes verzehrendem Zorn verschont zu bleiben und mit der Verheissung einer grossen Nachkommenschaft bedacht zu werden.

Mose sieht sich aber nicht nur den Menschen gegenüber in der Verantwortung, sondern auch Gott gegenüber. Couragiert wagt er es (– und hier darf der in der Lesungsordnung ausgelassene Vers 12 durchaus mitgelesen werden –), Gott an den Bund und seine Bundestreue zu erinnern. Er versucht, ihn aus Enttäuschung und Verbitterung herauszulocken und umzustimmen, indem er seine lange Geschichte mit dem Volk anführt: Er ist derjenige, der den Vätern umfassende Verheissungen gab. Er ist derjenige, der das Volk befreit – «herausgeführt» – hat. Will er denn die damit verbundene Verantwortung jetzt einfach ablegen? Darf er sich den Versprechungen zu Schutz und Erhaltung im Zorn entledigen und alles und alle zunichte machen?

Gott ist der Argumentation gegenüber aufgeschlossen und wird zu einer anderen, neuen Art von Reaktion bereit. Seine Antwort besteht nicht länger in Vernichtung und Tod. Das doch sehr menschliche Schema «Bestrafung oder Belohnung» (vgl. V. 10) wird damit aufgebrochen zugunsten der Beziehung, die nicht aufkündigt wird, zugunsten der Kommunikation, die nicht abbrechen soll. Es eröffnet sich eine Möglichkeit zu Entwicklung und Verwandlung: Nichts ist aus und vorbei; und wie es weitergeht, entscheidet nicht nur Gott allein. Der bleibt gewiss ein Fordernder. Aber er ist anscheinend bereit, von sich und den Menschen zu fordern, was dem Leben dient. Und das ist gewiss die bestmögliche Antwort, die er den verunsicherten, um das goldene Kalb tanzenden Menschen geben kann!

Mit der Kirche lesen

Jesus sitzt mit «Zöllnern und Sündern» zu Tisch und zeigt ihnen auf diese Weise, dass Gott Menschen, von denen viele das gar nicht mehr erwarten, wahr- und auf nicht abwertende, liebevolle Art ernst nimmt. Sie werden von ihm nicht aus ihrer Verantwortlichkeit entlassen. Aber eben dadurch, dass ihre Würde und ihr freier Wille ausdrückliche Anerkennung finden, können sie ihre Chance erkennen: Sie dürfen immer wieder neu anfangen. Sie dürfen sich wandeln. Weder bei der ersten, der zwanzigsten noch der hundertsten Schwierigkeit lässt Gott sie fallen! Dass Gott so handelt, ermutigt Menschen ebenso zu handeln.

Die drei Gleichnisse des Sonntagsevangeliums beleuchten neben manch anderem auch das Thema «Verantwortung»: Der Hirt übernimmt sie für jedes seiner Tiere. Die Frau für ihren Besitz und ihre Selbstachtung, die sie in ihrem ärmlichen Leben nicht resignieren lässt. Der Vater für die Beziehung zu seinen Söhnen. Wie Gott und wie Mose sind sie bereit, sich ihrer Verantwortlichkeit zu stellen und ihren Gegenübern die bestmögliche Antwort zu geben – jene, die dem Leben dient.