Wir beraten

Wer gehört dazu?   

Winfried Bader zur Lesung am 21. Sonntag im Jahreskreis SKZ 33-34/2007

Alttestamentliche Lesung: Jesaja 66,18–21
Evangelium: Lk 13,22–30

Jede Gruppe, gleichgültig ob eine spontane Clique von Kollegen und Kolleginnen, ein Arbeitsteam, ein Sportverein oder eine Gemeinde hat das Bestreben, möglichst rasch Regeln und Kriterien aufzustellen, wer zu dieser Gruppe gehört und wer sich nicht dazu gehörig nennen darf. Mitglieder der bestehenden Gruppe definieren dabei klar die Aufnahmebedingungen für die Neuen. Sie haben sich danach zu richten und die Anforderungen zu erfüllen. Diese sehr menschliche Beobachtung lässt sich auch in der katholischen Kirche machen, von der Pfarrgemeinde bis hin zu den obersten Gremien der Weltkirche. Die Berechtigung für dieses Verhalten nimmt man aus biblischen Sätzen wie Lk 13,28: «Ihr aber seid ausgeschlossen» oder «den Leichnamen der Abtrünnigen, die im nie verlöschenden Feuer sind» aus dem Schluss von Jesaja (Jes 66,24).

Doch sind gerade diese beiden Bibeltexte wohltuend anders, lassen sich nicht für eine Gruppenexklusivität vereinnahmen, sondern propagieren eine Offenheit, ohne in eine Beliebigkeit abzugleiten.

Mit Israel lesen

Die alttestamentliche Lesungs-Perikope aus Trito-Jesaja (Erklärung bei der SKZ-Auslegung zum 2. Sonntag im Jahreskreis, in: SKZ 174 [2006], 857) geht von der konkreten Situation in Jerusalem um 520 v. Chr. aus, als die jüdische Bevölkerung aus dem Exil zurückkehrt und am Wiederaufbau des Tempels gearbeitet wird. Die Gemeinde in Jerusalem, die von Trito- Jesaja angesprochen wird, setzt sich aus verschiedenen Gruppierungen zusammen: Neben den Heimkehrern aus Jerusalem standen die im Land verbliebenen Judäer. Unter ihnen gab es viele, die am Gottesdienst der benachbarten Völker teilnahmen und den Glaubenseifer der Heimkehrer nicht verstehen konnten. Hinzu kamen Fremde, die sich während des Exils in Judäa eingerichtet hatten, andere, die aus Babylon mitgekommen waren, und endlich solche, die zum Wiederaufbau von Tempel und Stadt gebraucht wurden. Es war eine Mischung aus Menschen verschiedener Herkunft, ähnlich wie wir sie heute in unseren Grossstädten finden, die sich voneinander abgrenzen wollten, gleichzeitig aber – damals wie heute – aufeinander angewiesen waren.

Das Judentum ist nach eigenem Bewusstsein eine exklusive Religion, was das Ethos betrifft. Es hat aber eine weltgeschichtliche Berufung, die Auserwählung bedeutet das Prophetentum des ganzen Volkes. Ein missionarischer Auftrag ist daher selbstverständlich: «Ich schicke von ihnen einige zu den übrigen Völkern» (Jes 66,19). Es werden in Vers 19 die Völker des ganzen Mittelmeerraumes aufgezählt, genau die, die auch der Missionar Paulus besucht hat. Es sind die Völker, aus denen Menschen zu damaliger Zeit in Jerusalem wohnten. Ihre reale Gegenwart in Jerusalem wird erklärt, dass sie von Gott in einer Völkersammlung herbeigerufen sind. Dadurch wird zur Toleranz gegenüber ihnen aufgefordert.

Die Kehrseite der vielen Fremden in Jerusalem ist, dass viele Judäer ihrerseits verstreut über die Erde in den Völkern leben. Die Völker, die nach Jerusalem gerufen werden, bekommen gleichzeitig den Auftrag, die in der Diaspora lebenden Juden mitzubringen (Jes 66,20).

Dieses sehr offene globale Denkweise der Völkersammlung wird kontrastiert durch ein internes Problem: Die in Jerusalem verbliebenen levitischen Priester sprechen den Diasporaheimkehrern die Kultfähigkeit ab. Um dem entgegenzutreten, vergleicht der zweite Teil von Vers 20 sie mit reinen kultischen Gefässen und Vers 21 betont, dass aus diesem Kreis der Diasporaheimkehrer Gott selbst Priester auswählen wird. Die Fortsetzung findet der Text in der Völkerwallfahrt «alle kommen um Gott zu huldigen» (Vers 23) und in Vers 24 mit der abschliessenden Tatsache, dass dennoch welche ausgeschlossen bleiben.

Mit der Kirche lesen

Die Evangeliumsperikope greift diese Frage «Wer gehört dazu?» wieder auf. Der alttestamentliche Hintergrund verbietet es meines Erachtens, die Frage der Jünger «Herr, wer wird gerettet?» (Lk 13,23) platt als ein Ausschluss Israels vom Heil zugunsten der Heidenchristen zu sehen. Die Antwort Jesu entspricht der jüdischen Exklusivität des Ethos: «Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen» (Lk 13,24). Dieses Mühen steht jedem offen.

Wer entscheidet nun, wer dazu gehört? Es ist nicht die Gruppe der schon Dazugehörenden – von dieser spricht Jesus und auch Jesaja nicht. Es ist auch nicht ein Katalog von Kriterien, denn solche werden nicht aufgezählt. Es ist die Entscheidung von jedem und jeder einzelnen, ob er dazu gehören will oder nicht. Der einzelne entscheidet für sich, ob er das will. Daraus folgt aber keine Beliebigkeit, denn es gibt eine Zeitschiene: «Wenn der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschleisst» (Lk 13,25). Das Kriterium um dazuzugehören ist die rechtzeitige Entscheidung. Zu der sind alle aufgefordert.

Jüdische und katholische Leseordnungen

Der Schluss des Jesaja-Buches wird im jüdischen Synagogengottesdienst als Haftara (Lesung aus den Prophetenbüchern, die der Tora-Lesung folgt) an Rosch Chodesch (Fest des neuen Monats) vorgetragen. Die Lesung beginnt mit Vers 10: «Freut euch mit Jerusalem, frohlockt über sie all ihr Freunde, freut euch in Wonne mit ihr, alle, die ihr um sie getrauert habt» (Jes 66,10; Übersetzung Moses Mendelssohn). Dieser ersten Satz verleiht der Lesung eine positive Grundstimmung, welche zum Halbfeiertag (der Tag am Monatsbeginn lädt zur Besinnung ein, ist aber nicht arbeitsfrei) passt. «Von Neumond zu Neumond, von Schabbat zu Schabbat wird jeder Mensch kommen, um sich vor mir zu verbeugen» (Jes 66,23) spielt gezielt auf den Anlass des neuen Monats an, den man in der alten Zeit durch zwei Zeugen, die in der Nacht die Sichel des neuen Mondes sahen, festlegte. Die sehr düstere Aussage des letzten Verses des Jesaja-Buches, «ein Ekel sind sie (die Leichen) für alle Welt» (Jes 66,24) wird im Gottesdienst dadurch entschärft, dass abschliessend Vers 23 nochmals wiederholt wird.

Die katholische Leseordnung vermeidet die negative Aussage, indem sie die Perikope mit Vers 21 enden lässt: «Ich werde aus ihnen Männer als Priester und Leviten auswählen» (Jes 66,21). Mit der Drohung des letzten Verses fällt auch die Feststimmung aus Vers 23 «alles Fleisch (das heisst die ganze Welt) kommt, um Gott zu huldigen» weg. Der katholische Schluss gibt dem sehr universal angelegten Text einen klerikalen Sinn. In keinem Gottesdienst wird laut katholischer Leseordnung das Jesaja-Buches zu Ende gelesen.

Ohne Not und ohne Kenzeichnungen in den Lektionaren werden in Vers 19 folgende Wörter ausgelassen: «nach Tarschisch, Pul und Lud, Meschech und Rosch,Tubal und Jawan». Der Text, der durch die Erwähnung dieser Länder, die jedeR SchweizerIn aus den vergangen Sommerferien kennt (Tarschisch = Spanien, Pul = Lybien, Meschech = Kleinasien, Jawan = die griechischen Inseln, Tubal = Osttürkei), sehr konkret wird, bleibt durch die Auslassung in einer abstrakten Unbestimmtheit. Der historische Tritojesaja dachte aber mit seiner Aussage ganz konkret.