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Voll sprudelnder Freude   

Rita Bahn zur Lesung am 14. Sonntag im Jahreskreis SKZ 26/2007

Alttestamentliche Lesung: Jes 66,10–14c
Evangelium: Lk 10,1–12.17–20

«Freude heisst die starke Feder in der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder in der grossen Weltenuhr. Blumen lockt sie aus den Keimen, Sonnen aus dem Firmament. Sphären rollt sie in den Räumen, die des Sehers Rohr nicht kennt» schreibt Friedrich Schiller in seiner Ode an die Freude. Allzu überschwänglich und verklärend klingt das in manch eines Ohr. Ein anderer fühlt sich dagegen erhoben, mitgerissen, kann aufgrund seiner Erfahrungen oder seiner Lebenshaltung mit diesen Worten mitschwingen.

Bei aller unbestrittenen und bleibenden Zwiespältigkeit unserer Welterfahrung lädt uns auch der alttestamentliche Text dieses Sonntags zur Freude ein. Und er fordert damit wohl auch eine Entscheidung heraus: Wollen wir – im bekannten Bild – unser Glas als halb leer oder als halb voll ansehen? Welches Grundgefühl kann unser Leben wirklich tragen, welchem wollen wir deshalb Raum geben?

Mit Israel lesen

Der Text aus dem Schlusskapitel der tritojesajanischen Sammlung spricht in die nachexilische Zeit hinein, in eine Situation, zu der er so gar nicht zu passen scheint. Viele Fragen und Zweifel treiben die Menschen um: Wie sollen sie sich verhalten in all den Schwierigkeiten, die mit einer Neukonstituierung der Gesellschaft einhergehen? Und wo bleibt denn das versprochene Heil, die umfassende Wiederherstellung Jerusalems und Judas?

Auf die Klage des Volkes (Jes 63,7–64,11) antworten die Kapitel 65 und 66. Sie erläutern, dass Jahwe immer gegenwärtig gewesen ist und sehnsuchtsvoll auf die Zuwendung seines Volkes gewartet hat. Sie stellen klar, dass die, die Gerechtigkeit verachten oder Götzen dienen, dem Gericht verfallen, jene aber, die in Jahwes Dienst stehen (in der Einheitsübersetzung «Knechte» genannt), sich an seiner Neuschöpfung von Himmel und Erde erfreuen und dauerhaftes Heil erfahren werden. Darüber hinaus wird nicht länger die Zugehörigkeit zum Volk Israel die Teilhabe am Gottesvolk bestimmen, sondern allein das Bekenntnis eines Menschen gleich welcher Nation zu Jahwe.

Den Menschen damals wird es, als sie den prophetischen Aufruf zur Freude hörten, wohl ebenso gegangen sein wie uns heute. Die einen werden die Worte schlichtweg für verrückt, die anderen für durchaus möglich gehalten haben. Letztere haben vielleicht die Augen geschlossen und sich von der Macht der Bilder erfüllen lassen. Menschliche Ursehnsucht nach Geborgenheit, Frieden, Fülle wird in ihnen aufgestiegen sein, vielleicht auch die Erinnerung an Momente oder Phasen erfahrenen Glücks im eigenen Leben.

Vom Glück träumen, kann Freiheit eröffnen und einen Weg und Möglichkeiten sehen lassen, die zuvor nicht wahrgenommen wurden. Es kann zum Antrieb werden, die schwierige Gegenwart bewusst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Augenblicke des träumenden Gelöstseins können über ein kurzes erleichtertes Aufatmen hinaus die Kraft für den langen Atem wecken, der nötig ist, Dinge erst als gegeben zu akzeptieren, um sie schliesslich zu verändern. Sie können die Entscheidung erleichtern, auch weiterhin – oder wieder neu – auf Gott zu vertrauen. Sie ermöglichen es, das Positive zu sehen, das schon geschehen ist (z.B. die Rückkehr aus dem Exil oder den Bau des neuen Tempels) und sich auszurichten auf eine offene Zukunft hin.

Mit Augen der Freude betrachtet, wird die Welt wieder «jung» im Sinn von keineswegs den ewig gleichen Mustern verhaftet, veränderbar, mit reichem Potential begabt. Freude lässt staunen und Überdruss vergehen, macht dankbar und kreativ und ermöglicht es als innere Haltung, auch in unerfreulichen Situationen das innere Gleichgewicht zu bewahren.

All das will unser Text evozieren, und er tut es mit bestechenden Bildern: Ebenso unaufhaltsam wie Winterregen ausgetrocknete Wasserläufe in reissende Bäche verwandelt, wird Reichtum nach Jerusalem strömen. Ebenso wunderbar wie der Regen kahle Landstriche in fruchtbares Grün verwandelt, werden sich die niedergeschlagenen Menschen aufrichten und aufblühen.

Dies alles kann geschehen, weil Jahwe nicht nur Jerusalem mit mütterlichen Qualitäten für sein Volk ausstattet, sondern weil «er» selbst sich als liebevolle Mutter für all jene erweist, die sich in seinen Dienst stellen. Jeder und jedem einzelnen schenkt er, was ein Kind an der Brust seiner Mutter erfährt: im Rhythmus des Herzschlags Struktur und Ordnung, Zuverlässigkeit und Vertrautheit, in der Wärme des Körpers Nähe und Trost, Innigkeit und Geborgenheit, in der nährenden Milch Bedürfnisstillung, Versorgtsein und Sicherheit – eine einzigartige, wunderbare Beziehung!

Diejenigen, die Gott so erfahren, können mit Dorothee Sölle sagen: «Wir beginnen den Weg zum Glück nicht als Suchende, sondern als schon Gefundene.»

Mit der Kirche lesen

Es ist eine eigentliche Aufgabe der Kirche diese grundlegende, sprudelnde, tragende Freude, von der wir bei Jesaja lesen, zur Welt zu bringen, in die Welt hinein zu tragen!

Das Sonntagsevangelium schildert, wie eine grosse Zahl ermächtigter Jünger paarweise auszieht, das zu tun, was in einem anderen Kapitel der tritojesajanischen Sammlung steht: den Armen eine frohe Botschaft bringen, heilen und trösten, Befreiung und Freiheit verkünden (Jes 61,1–3).

Ohne andere Absicherung als ihr Gottvertrauen und ihr daraus erwachsendes Selbstbewusstsein ziehen sie los, solcherart Schalom – Frieden und Heil – zu verbreiten und das Reich Gottes auszurufen. Überrascht stellen sie fest, dass ihnen viel mehr möglich ist, als sie sich je hätten vorstellen können. Ihre Freude darüber wird wie ihre Begeisterung für Jesu frohe Botschaft Kreise gezogen, Menschen angesteckt und miteinander verbunden haben.

Christliche Gemeinschaft als Gemeinschaft von tief in tragender Freude Verwurzelten – ein schönes (Zukunftsbild).