Wir beraten

Eine Lehrstunde gegen Fanatismus   

Peter Zürn zur Lesung am 13. Sonntag im Jahreskreis SKZ 25/2007

Lesungen: 1 Kön 19,16b.19–21; Gal 5,1.13–18
Evangelium: Lk 9,51–62

Religiöser Fanatismus ist ein aktuelles Problem, in allen Religionen. Auseinandersetzung damit tut not. Wir können dabei aus Elijas Geschichte lernen.

Mit Israel lesen

Was willst du hier, Elija? Zweimal wird dem Propheten diese Frage gestellt (1 Kön 19,9.13b). Zweimal gibt er die gleiche Antwort, spricht von seinem leidenschaftlichen Eifer für Gott und klagt die Israeliten an. Sie hätten den Bund Gottes verlassen, seine Altäre zerstört, seine Propheten mit dem Schwert getötet und trachteten nun auch ihm, Elija, nach dem Leben. Diese Anklage ist durch die vorhergehenden Erzählungen nicht gedeckt. Dort werden mit König Ahab und Königin Isebel die Verantwortlichen für die Geschehnisse präzise benannt, das Volk wird schlimmstenfalls als «schwankend» bezeichnet (18,21). Elijas Anklage ist heftig, pauschal und ungerechtfertigt. Fragt Gott deswegen zweimal nach? Offensichtlich lässt Elijas Eifer ihn völlig die Proportionen und den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren. Der verbitterte und einsame Eiferer sieht überall nur noch Feinde, es gibt nur noch schwarz und weiss. Die jüdische Tradition hat sich denn auch am Beispiel Elijas kritisch mit (religiösem) Eifer auseinandergesetzt. Seine Gottesbegegnung am Horeb (1 Kön 19) hat eine Parallele in der Begegnung des Mose mit Gott (Ex 33,18–23). Der Vergleich fällt für Elija aber negativ aus. «Mose ringt um die Annäherung Israels an seinen Gott. Nur einen Wunsch hegt er: Gott möge seinem Volk verzeihen (.. .). In allen Geschichten Elias aber kein einziges Gebet, das der Prophet zugunsten seines Volkes gesprochen hätte. Am Horeb klagt er an, statt Gründe für die Entschuldigung Israels zu suchen» (R. J. Jacobson). Für die Rabbinen ist die Erzählung 1 Kön 19 eine Lehrstunde Gottes für den Eiferer Elija. «Gott wünschte, dass Elija für Israel um Erbarmen flehen sollte, nicht um seine Vernichtung, und daher zeigte Er ihm die Verderben bringenden Dinge, wie den mächtigen Wind (.. .), das Beben und das Feuer» (R. Levi ben Gerson). «Ein Übel kann nicht am besten durch Sturm und Feuer überwunden werden (.. .), sondern vielmehr eher durch die Ruhe und Geduld eines unbezähmbaren Glaubens, wie auch durch die unablässige Arbeit, die die Frucht dieser Geduld und dieses Glaubens ist» (R. J. H. Hertz).

Für den Umgang mit Eiferern empfiehlt darum der Talmud prinzipiell: «Kommt jemand, um sich zu beraten (ob er eine eifernde Tat begehen solle), so lehrt man ihn: nicht» (b.San 82a). Der Eifer ist letztlich nur bei Gott gut aufgehoben: «Wer einen Eifer hat und dennoch schweigt, dem schafft Er Recht» (b.Gitin 7a).

Elija ist auf der Flucht und wünscht sich den Tod. Wie Mose um das Volk ringt, so ringt Gott um Elija. Zweimal fragt Gott, will den in seiner Depression stumm Gewordenen zum Reden bringen. Das, was sich in Elija angesammelt hat, soll nach aussen kommen, damit sich Elija vielleicht über seine widersprüchlichen Gefühle klar werden und sich dazu verhalten kann, damit er zu verstehen beginnt, was er hier tut und was er will. Aber die Fragen lösen bei Elija keinen Prozess aus, er wiederholt stereotyp seine Vorwürfe, sieht die Schuld allein bei den anderen. Was kann jetzt noch helfen? Gottes Intervention ist radikal: Geh zurück und salbe Elischa zum Propheten an deiner Stelle. Such dir deinen eigenen Nachfolger. Elija wird mit seiner eigenen Endlichkeit und Ersetzbarkeit konfrontiert, wird angewiesen, sich damit auseinanderzusetzen. Und: Der Einzelkämpfer Elija soll sich mit einer anderen Person zusammentun, soll sich verbinden mit einem aus dem Volk, das er gerade so grundsätzlich und pauschal abgeurteilt hat. Mitten hinein in dieses Volk führt ihn der Auftrag. Zu Elischa, der bereit ist, der Berufung entschieden und radikal zu folgen, denn indem er seine Rinder schlachtet und ihr Holzgeschirr verbrennt, vollzieht er den Bruch mit seinem bisherigen Leben. Gleichzeitig nimmt er aber die Beziehungen, in denen er lebt, ernst und gestaltet sie. Er gestaltet Abschiede, indem er noch einmal in Beziehung geht und ausdrückt, was an diesen Beziehungen wesentlich ist: Liebe und Dankbarkeit im Küssen der Eltern, Verantwortung für das Wohlergehen seiner Leute im Kochen des Fleisches. So kann sich Elischa verabschieden und frei werden für seine neue Berufung.

In der Geschichte spielt der Mantel des Elija eine besondere Rolle. Im Vorübergehen wirft er ihn über Elischa und ruft ihn so unmissverständlich in seinen Dienst. Noch zweimal ist der Mantel in den Elija- Geschichten von Bedeutung. Als Elija nach dem Sturm, dem Erdbeben und dem Feuer das sanfte, leise Säuseln hört, hüllt er sein Gesicht in den Mantel, tritt aus der Höhle hinaus und hört Gottes Stimme. In 2 Kön 2 schlägt Elija mit seinem Mantel aufs Wasser des Jordan, das sich teilt, so dass er und Elischa trockenen Fusses hinübergehen können. Das Meerwunder, der Exodus werden gegenwärtig. Der Mantel spielt eine Rolle, wenn Elija in Beziehung kommt, mit Gott, mit anderen Menschen, mit der Glaubenstradition, in der er steht. Der Mantel ist Sinnbild für die Person und die Rechte seines Eigentümers. Er verweist Elija darauf, dass er als Person, ganz existentiell, angewiesen ist auf Beziehung, zu Gott, zu anderen, zur Tradition. Und er weist darauf hin, dass Elija berechtigt ist, diese Beziehungen zu suchen, sich für sie zu öffnen. Berechtigt nicht durch seinen Eifer und seine Leistungen, sondern gerechtfertigt als Person, als Mensch, als Wesen, das allein aufgrund von Beziehungen lebt.

Mit der Kirche lesen

Das Verhalten Jesu gegenüber Jakobus und Johannes, die das ungastliche Dorf mit Feuer vom Himmel vernichten wollen, entspricht den biblischen und rabbinischen Interventionen gegen Eiferer. In 9,61f. wird dann ausdrücklich auf die Berufung des Elischa Bezug genommen. Wünscht sich Jesus anderes, ja radikaleres Verhalten als das Elischas? Mir scheint, es kommt ihm weniger auf die konkrete Handlung an als auf die Haltung dahinter, auf die Blickrichtung dabei. In 9,58 reagiert Jesus auf die Erfahrung im samaritanischen Dorf, die Aussage lässt sich aber auch anthropolgisch lesen: Menschen sind nicht wie Füchse und Vögel an ihre natürliche Umwelt angepasst. Wir sind auf kulturelle Schöpfungen angewiesen und damit auf andere Menschen, auf Beziehungen, auf Liebe. «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.» So fasst die Lesung aus dem Galaterbrief die ganze Tora zusammen. Genauer wäre die Übersetzung: «Liebe deinen Nächsten, er ist wie du», nämlich wesentlich und notwendig darauf angewiesen. Der Galaterbrief unterscheidet das Leben nach dem Geist vom Leben nach dem Fleisch. Fulbert Steffensky sieht im Leben nach dem Fleisch den Zwang, sich selbst machen zu müssen, von der eigenen Leistung, dem eigenen Erfolg abhängig zu sein. Elija wüsste, wovon er spricht. Leben nach dem Geist heisst dann in Heiterkeit Fragment sein zu dürfen, weil der Geist für uns eintritt und Gott vollendet, was unvollendet bleibt. «Geh und salbe Elischa zum Propheten an deiner Stelle» ist die radikale und herausfordernde Einladung dazu.