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Geht es uns zu gut?   

Winfried Bader zur Lesung am 11. Sonntag im Jahreskreis SKZ 23/2007

Alttestamentliche Lesung: 2 Samuel 12,7–10.13
Evangelium:Lukas 7,36–50

«Den Menschen müsste es schlechter gehen, dann würden sie wieder mehr glauben» ist eine oft gehörte Aussage, die durch die Häufigkeit, mit der man sie hören kann, nicht richtiger wird. Das Phänomen gibt es schon: In Not fangen Menschen an zu beten, rufen zu Gott, hadern mit ihm, erwarten Hilfe und die Lösung all ihrer Probleme. Aber kann man das schon gleichsetzen mit einem wirklichen, verantwortungsvollen Glauben? Auf den ersten Blick scheinen Stellen wie Psalm 107,28 «Sie schrien zum HERRN in ihrer Not, der rettete sie aus der Todesangst» dieses Phänomen in seiner Wirksamkeit zu bestätigen. Psalm 107,24 zeigt aber, dass einem solchen Notschrei das Staunen über die Werke des Herrn vorangehen muss, sonst bleibt es leer. Die Pädagogik Gottes ist also eine andere, wie auch Lesung und Evangelium des heutigen Sonntags zeigen.

Mit Israel lesen

Die Gottesrede an David im Munde Natans beschwört keine Notsituation, um David auf den rechten Weg zu bringen. Im Gegenteil: Die guten Seiten an Davids Leben werden aufgezählt, die angenehmen und bequemen Dinge: die Salbung zum König, die Errettung von Saul, das Haus Sauls, das David geerbt und übernommen hat, sowie die Frauen seines Vorgängers, die ihm gegeben wurden. (So ist wohl Vers 8 zu deuten, als der orientalische Brauch, dass ein König Haus und Harem seines Vorgängers übernimmt. Die Übernahme der Frau bestätigt ihn als den legitimen Herrscher. Abschalom, Davids Sohn, versucht bei seinem Aufstand gegen seinen Vater dadurch seinen eigenen Anspruch, nun als König zu gelten, zu sichern, indem er öffentlich mit den Nebenfrauen seines Vaters David schläft [2 Samuel 16,22].) Auch dass David Juda und Israel bekommen hat, wird erwähnt und Gott verspricht, sogar Weiteres dazuzugeben. Natan zählt also die Geschenke auf, die Gott David gemacht hat.

Der Vorwurf Natans an David ist dann: Du hast das Wort des Herrn missachtet. Es wäre viel zu kurz, unter dem Wort nun ein einzelnes Gebot zu verstehen, etwa das Tötungsverbot oder den Ehebruch. Das könnte Natan einfacher gleich direkt sagen ohne diese Einleitung. Es geht um viel mehr und Grundsätzlicheres: Davids Beziehung zu Gott ist gestört. David vergisst, dass er ein Beschenkter ist. Er führt sein Leben nicht in diesem Bewusstsein, reich erhalten zu haben. Das äussert sich in zwei Punkten.Wer reich erhält, gibt auch reichlich weiter. Er ist nicht kleinlich. In seinem Tun gegenüber Menschen ist er grosszügig. Die Liebe, die er in den Geschenken erfahren hat, gibt er weiter. Er muss niemandem etwas wegnehmen, weil er selbst ja alles schon hat. Und zum Zweiten wird ein Beschenkter die Beziehung zum Schenkenden pflegen. Er wird den Kontakt erhalten wollen, wird Dankbarkeit zeigen, wird auf den Schenkenden reagieren.

Beides macht David nicht. Die Androhung Natans: «Darum soll jetzt das Schwert auf ewig nicht mehr von deinem Haus weichen » zeigt, wie Davids menschliche Beziehungen kaputt sind. Dort, wo ein Mensch seine Ausgeglichenheit und Liebe am meisten lebt und weitergibt, im eigenen Haus, dort ist wie durch ein Schwert alles zerstört und kein Vertrauen mehr da.

Sein Nichtreagieren auf Gott bezeichnet David selbst als Sünde «Ich habe gesündigt gegen den Herrn». Sünde ist, diese wichtige Beziehung zu Gott (und den Menschen), aus der so viel geschenkter Reichtum und Wohlergehen kommt, nicht zu pflegen.

Gottes Pädagogik führt David nicht in eine weitere Krise. Gott zählt nicht auf diese Binsenweisheit, wenn es dem Menschen richtig schlecht geht, dann kommt er zu mir. Dieser Gott – hier und an vielen anderen Stellen der Bibel (z. B. Hosea 11) – wirbt mit seinen guten Taten, wirbt mit seinen Geschenken für sich.

Mit der Kirche lesen

Die Verbindung zum Evangeliumstext ist offensichtlich. Lesung und Evangelium interpretieren sich gegenseitig. Lukas macht die Handlungsalternativen jeweils an zwei Menschen fest, am Pharisäer und der Frau in der Erzählung, an den beiden Schuldnern im eingefügten Gleichnis.

Es geht nicht um die Frage, wer welche Gebote hält und wer Verbote nicht übertritt. Bei einer solch juridischen Untersuchung ist die Sachlage schnell klar: Der Schuldner mit den grösseren Schulden ist der Schlechtere, und die Frau hat bei diesem Vergleich gegen den Pharisäer keine Chance. Liest man die Erzählung so, ist das Verhalten Jesu ein Skandal: Wie kann er nur die Gesetzesuntreue dem die Gebote Achtenden vorziehen – das stellt doch alles auf den Kopf.

Diese Provokation weist darauf hin: Der Vergleich zwischen den Figuren läuft auf einer anderen Ebene. Es wird verglichen zwischen denen, die den Geschenkcharakter unseres Lebens kapiert haben, und den anderen, die es noch nicht verstanden haben. Die Frau gibt überströmend ihre Liebe und Zuneigung weiter. Ihre Emotionen werden in Form von Tränen in die Beziehung eingebracht, sie sucht den körperlichen Kontakt. Der Pharisäer pflegt die Beziehung nicht. Er gibt nicht weiter von seinem Wohlergehen. Bestimmt übertritt er keines der geschriebenen Gebote – aber reicht das aus? Wie hatten wir oben Sünde definiert?

Es muss den Menschen also nicht schlecht gehen, um zu Gott zu finden, wie es die landläufige Meinung sagt. Vielleicht genügt es auch nachzudenken, ob wir schon verstanden haben.

David, Batseba und Natan

David hat nach dem Selbstmord Sauls in der Schlacht gegen die Philister (1 Samuel 31) das Königsamt übernommen und sich als König über Juda und Israel etabliert und Jerusalem zu seiner Stadt und als Hauptstadt seines Reiches gemacht (2 Samuel 1–9). 2 Samuel 11 erzählt uns, wie David von Batseba, der Frau des Urija, fasziniert ist und ihr beischläft. Batseba wird schwanger und David will mit List Urija zum möglichen Vater machen. Der bleibt jedoch seiner Soldatenpflicht treu und geht nicht zu seiner Frau. David erteilt den Befehl, Urija an die vorderste Front zu stellen, wo er im Kampf fällt. David nimmt Batseba zur Frau. Der Prophet Natan, der in 2 Sam 7 David bereits über den Tempelbau geweissagt hatte, erzählt daraufhin David ein Gleichnis. David gibt zu dem Gleichnis eine Antwort und fällt dabei selbst sein Todesurteil. Hier setzt die Lesungsperikope ein.

Und so geht es anschliessend weiter: Der Sohn Davids stirbt gemäss der Weissagung Natans. Batseba bekommt ein weiteres Kind von David, Salomo. Ihn wird sie später mit vielen Intrigen gegen die anderen Söhne Davids als Thronfolger durchsetzen (1 Könige 1). Salomo wird zum Friedenskönig und Batseba findet als dessen Mutter mit vier anderen Frauen Aufnahme in den Stammbaum Jesu bei Matthäus in seinem ersten Kapitel.