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Zwei Gründe für einen freien Tag   

Winfried Bader zur Lesung am Hochfest der Auferstehung des Herrn – Osternacht SKZ 13/2007

Alttestamentliche Lesung: Gen 1,1–2,2
Evangelium: Lk 24,1–12

Wann fängt die Woche an? Am Montag, wie es uns die staatlich verordnete Einteilung der Kalenderwochen glauben machen will, oder doch am Sonntag, wie es die liturgischen Bücher eisern behaupten? Wir reden vom Wochenende, meinen den Samstag und den Sonntag, und beginnen unsere Woche am Montag. Dann war da noch etwas mit Sabbatruhe am siebten Tag – aber war es denn nicht der Samstag, als ich bei der Israelreise plötzlich kein offenes Restaurant fand? Und jetzt wieder die Rede vom ersten Tag der Woche, den es mit einem Gottesdienst zu feiern gilt – aber Montag war ich doch noch nie in der Kirche.

Nicht nur Schülerinnen und Schüler auf dem Firmweg haben solche oder ähnliche Überlegungen,wenn man sie nach dem Sonntag fragt. Auch unter Erwachsenen fängt das Denken und Überlegen an, wenn nachgefragt wird, warum es sich lohnt, auch politisch für eine Sonntagsruhe einzutreten.

Mit Israel lesen

Da gibt es dann auch noch diesen Text ganz am Anfang der Bibel, wo viele bereits nach dem ersten Satz mit dem Zuhören abschalten, weil sie ihn zu kennen glauben.Wer kann aber die Abfolge der sechs Schöpfungstage wirklich aufzählen?

Am ersten Tag Licht und Finsternis, am zweiten Tag das Himmelsgewölbe, am dritten das Land, das den Auftrag hat, die Pflanzen hervorzubringen. Damit sind die Lebensräume bereitgestellt: Erde,Wasser und Luft, mit ihrer Ausstattung, den Pflanzen; sie gelten bei den Hebräern als unbeseelt. Nun folgen an den nächsten drei Tagen die lebendigen Wesen, also alles, was sich bewegen kann. Dazu gehören auch Sonne, Mond und Sterne des vierten Tags. Der fünfte Tag bringt die Tiere im Wasser und in der Luft hervor, die Gottes Schöpferkraft übertragen bekommen und selbst für ihre Vermehrung sorgen sollen. Am sechsten Tag kommen die Landtiere und als Mann und Frau wird der Mensch an diesem Tag geschaffen, durch Gottes Segen ebenfalls mit der Schöpferkraft ausgestattet. Mann und Frau ist Gott gleich in der Funktion, über die Erde,Tiere und Pflanzen zu herrschen. Mann und Frau ist das Standbild Gottes, das ihn auf der Erde vertritt und zum Wohl der ihm anvertrauten Tiere und Pflanzen an Stelle Gottes steht. Am siebten Tag ruht Gott.

Obwohl kaum jemand diesem Text mehr zuhört und ihn wirklich zur Kenntnis nimmt – die Liturgie der Osternacht bietet ja mit der Kurzfassung diese Möglichkeit des Nicht-Wahrnehmens explizit an – wird viel und falsch mit dem Text argumentiert. Er muss herhalten als Schibbolet (vgl. Ri 12,6) zwischen Naturwissenschaft und Glauben. Die einen scheitern daran, weil seit Urknall und Darwin dieser Text «nicht mehr stimmt», die anderen beweisen damit ihre Glaubenstreue und vermitteln diese mit aufgeklärten Wissen, indem sie aus den sieben Tagen sieben grosse Zeiträume und Epochen der Weltentstehung machen. Kaum einer bemüht aber die moderne (historisch denkende) Literaturwissenschaft, oder liest schlicht den Text, so wie wir es von den jüdischen Glaubensgeschwistern lernen können.

Der Text ist ein hymnisches Lied. Aus einer chaotischen Welt, die im Anfang, als Gott mit seinem Werk begann, wüst und leer war, entsteht durch das benennende und denkende Eingreifen Gottes im Wort ein geordneter Kosmos. Das Sechstagewerk gliedert die Welt. Die Welt wird erklärt als eine von Gott gewollte Ordnung, um daraus die religiöse Ordnung zu propagieren. In einer Zeit, als die staatliche Ordnung Israels untergegangen und im Chaos versunken war, in einer Zeit, als die religiöse Ordnung durch die Attraktivität des modernen Grossstadtlebens im Exil nicht mehr selbstverständlich war, wird Religion in der Schöpfung verankert. Der Schöpfungshymnus erklärt die komplette Welt als von Gott gegeben. Gott hält die Welt für gut. Die Gestirne, die bei den Nachbarn den Rang von Gottheiten hatten, werden zu einfachen Lampen degradiert. Sie haben nur die Festzeiten anzuzeigen. Äusseres Zeichen dieser religiösen Ordnung ist der Ruhetag, der Sabbat. Am Einhalten des Ruhetags hebt sich die Religionsgemeinschaft von den Nachbarn ab. In dieser Aussage aus Gen 2,3 gipfelt der Schöpfungshymnus in der hebräischen Bibel: «Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte.» (Und wenn unsere liturgische Lesordnung diesen Satz abschneidet, nimmt sie ihm leider die jüdische Aussageintention.)

Die Sabbatruhe ist die Ruhe Gottes. Der Mensch hält sich an diese Ruhe, weil er das Bild Gottes ist, weil er hier in der Welt, das demonstrieren soll, was Gott macht. Mit der ihm von Gott gegeben Würde steht dem Menschen diese Ruhe zu. Die Durchsetzung des Sabbats als Ruhetag – in den frühen Zeiten des Alten Orients bis hin in unsere Tage der industriellen Revolution und Ausbeutung der Arbeiter bis heute in den Billigstlohnländern, wo eine Arbeiterin 28 Tage am Stück arbeiten muss, ein riesiger Fortschritt – ist somit eine in Gott begründete Demonstration der Menschwürde und der Menschenrechte.

Den jüdischen Auslegern war aufgefallen, dass diesem Schöpfungshymnus in der Bibel ein zweiter, ganz anders gearteter Schöpfungsbericht folgt. Sie interpretieren es so: Diese erste erschaffene Welt ist idealtypisch. Sie ist so gut, dass sie nicht der menschlichen Realität entspricht. Gott tat sie zur Seite, und es kam die schlechtere, aber reale Welt, in der wir leben, bis zu dem Tag, da die Sünde von der Welt verschwunden ist und die erste, perfekte Welt wieder zum Vorschein kommt.

Mit der Kirche lesen

Lukas und die anderen Evangelisten datieren das Ereignis des leeren Grabes auf den ersten Tag der Woche. Die Erfahrung der Begegnung mit Jesus nach seinem Tod, die Erfahrung, dass Jesus weiterlebt, dass man beim Brechen des Brotes seine Gegenwart spürt, dieses Erlebnis, das die jungen Christinnen und Christen Auferstehung nennen, das feiern sie zusammen, jeweils an diesem ersten Tag der Woche. Die Auferstehung ist für Christinnen und Christen das Zeichen, dass das Reich Gottes, das Jesus gepredigt und gelebt hat, schon begonnen hat und in seiner ganzen Fülle als neue Welt kommen wird.

Das Feiern des ersten Tages, der Ruhetag der Christenheit, ist somit wie der Sabbat Zeichen für die besondere Würde des Menschen. Es ist uns Zeichen, dass wir Anteil haben an der Überwindung des Todes durch Christus. Das Feiern des Sonntags ist das Leben, das wir Reich Gottes nennen, schon im Jetzt. Das Feiern, die Freude, das Ruhen, der Gegenpol zum Alltag, ist Zeichen für das angebrochene Reich und die Vollendung. Die Gewissheit dafür gibt die Auferstehung Christi.

Zwei freie Ruhetage, Sabbat und Sonntag, mit zwei zunächst unterschiedlichen Begründungen in Judentum und Christentum, und doch ganz gleich: Es geht um die Demonstration der göttlichen Welt im Heute. Und noch viel wichtiger: Es geht um die Demonstration der menschlichen Würde, die sich in der Gottebenbildlichkeit und der Teilhabe an der Auferstehung des menschgewordenen Gottes letztbegründet.