Wir beraten

Von Dornbüschen, Feigenbäumen und Berufenen (ausführliche Version)   

Peter Zürn zur Lesung am 3. Fastensonntag

Alttestamentliche Lesung: Ex 3,1-8a.13-15
Evangelium: Lk 13,1-9

Berufungsgeschichten, immer wieder Berufungsgeschichten. Wir haben im Verlauf des Lesejahres bereits die von Jeremia und Jesaja kennengelernt (4. und 5. Sonntag im Jahreskreis, SKZ 3 und 4/2007). Auch die Taufe Jesu gehört dazu (1. So im Jahreskreis, SKZ 51-52/2006). Was wurde in diesen Geschichten bedeutsam?

  • Berufungsgeschichten sind Ouvertüren, in ihnen ist bereits ein ganzes (Lebens-) Programm angelegt.
  • Berufen werden Menschen, die bereit sind, sich betreffen, erschüttern, in die Verantwortung nehmen zu lassen, auch wenn das bedeutet unbequem «dazwischen» zu stehen und gegen den Strom zu schwimmen.
  • Berufungsgeschichten stehen in einer Tradition. Sie knüpfen an frühere Geschichten an und schreiben sie weiter.
  • Berufen werden bestimmte Menschen in konkreten Situationen, die aber stellvertretend für andere stehen. Ihre Geschichten werden weiter erzählt, damit sie sich immer wieder erfüllen. Auch durch uns.
Die heutige Lesung knüpft daran an. Sie erzählt die Berufungsgeschichte des Mose. Sie stellt eine Frage, die mir vertraut ist: Bin ich – so wie ich bin – nicht völlig überfordert mit meiner Berufung?

Mit Israel lesen

Einen Bibeltext Vers für Vers, besser noch Wort für Wort lesen; genau wahrnehmen und fragen, warum etwas gerade so da steht; einen Text mit dem Blick auf alle Texte der Bibel lesen; sich selbst vom Text befragen und zu Antworten – im Gespräch mit vielen anderen Lesenden – herausfordern lassen: das sind Merkmale der jüdischen Schriftauslegung, wie sie vor allem von den Rabbinen gepflegt wird. Ich versuche anhand des Lesungstextes mich darin zu üben.

Ex 3,1 Mose weidete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb.

Moses der Hirte: gewöhnlicher, unspektakulärer Alltag und zugleich Verweis auf seine spätere Aufgabe, das Volk Israel aus Ägypten heraus zu führen. Moses als Hirte, wie David, Amos, Jesus. Moses in Midian, geflohen aus Ägypten, wo er zum Mörder geworden war (Ex 2,11). Midian ist ein Fluchtpunkt, ein Ort, um wieder zu Atem, wieder zu sich zu kommen, um vom «Ägypter» (2,19), vom unbekannten Fremden, zum Menschen in Beziehung zu werden, zum Ehemann, Schwiegersohn, Vater und Hirten. Midian eröffnet Raum für das, was «eines Tages» geschieht. «Eines Tages» ist beim Vorlesen oder Erzählen von Geschichten das Signalwort dafür, dass jetzt etwas Neues, Entscheidendes, beginnt. Dieser Neubeginn erfolgt in der Mosesgeschichte nicht aus Not, nicht durch Zwang, nicht logisch, sondern geradezu verspielt und unbeschwert. Irgendetwas führt ihn über die Steppe hinaus, noch «hinter die Wüste» wie es wörtlich heisst. In der Bibel finden wesentliche Erfahrungen in der Wüste statt. Sie ist der Ort jenseits des Alltäglichen, wo nichts so ist, wie wir es gewohnt sind. Das ist bedrohlich und steckt gleichzeitig voller Möglichkeiten. In der Mosegeschichte ist die Wüste das Gegenbild zu Ägypten, wo man ein Dach über dem Kopf und genug zu essen hat. Der Preis dafür ist Unfreiheit und harte Sklavenarbeit. Die Wüste dagegen ist Ort der Freiheit. Dort ist das Leben aber alles andere als einfach und selbstverständlich. Die Wüste macht bewusst, wie zerbrechlich und bedroht das Leben ist. Sie ist der Ort, an dem sich unser Leben auf das Wesentliche konzentrieren kann. Und der Ort, an dem wir etwas erfahren können, das uns unendlich übersteigt, uns überwältigt, aber auch trägt und zu Neuem ruft. Moses geht den Weg in die Wüste und kommt zum Gottesberg Horeb. Er geht die Wege voraus, die später das Volk mit ihm gehen wird; innerlich und äusserlich. An ihm ereignet sich bereits verdichtet, was später alle erleben sollen.

2 Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht.
3 Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die aussergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?

Die Begegnung Mose mit dem Engel des Herrn verweist auf zwei vorausgehende Erzählungen: die Begegnung Hagars mit dem Engel des Herrn an der Wasserquelle in der Wüste (Gen 16,7ff.) und auf Abraham, den der Engel des Herrn in Moria davon abhält, seinen Sohn Isaak zu töten (Gen 22,11ff.). Dazu gleich mehr. Das hebräische Wort für Dornbusch, senä, schlägt in einem Wortspiel den Bogen zu den späteren Ereignissen am Sinai. Der Dornbusch ist Bild für die geheimnisvolle Gegenwart Gottes an diesem Ort. Eine Macht, die nicht von Zerstörung lebt. Gleichzeitig kann sich auch Moses darin wieder erkennen. Der Dornbusch in der Wüste ist ein dürres Gestrüpp. Dürre und Fruchtlosigkeit beschreiben auch Moses»«˜ Situation: als entflohener Mörder scheint es keinen Weg zurück für ihn zu geben. Und auch sein Alltag als Hirte wirkt nicht wie die Erfüllung seiner Träume. Andererseits bildet der brennende und nicht verbrennende Dornbusch die Sehnsucht des Mose ab. Die Sehnsucht für etwas begeistert und entflammt zu werden. Und dabei nicht auszubrennen, lebendig zu sein und lebendig zu bleiben.

4 Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.

Diese Form der Anrede eines Menschen, die doppelte Namensnennung, findet sich nur viermal in der Hebräischen Bibel, neben Mose bei Abraham (Gen 22,11), Jakob (Gen 46,2) und Samuel (in der eindrucksvollen Berufungsgeschichte mit dem vierfachen Ruf Gottes 1 Sam 3). Schon hier wird die besondere Bedeutung des Namens deutlich, um die es nachher noch einmal gehen wird (VV 13-15). Im Namen kommt nach altorientalischem Verständnis das Wesen eines Menschen, seine Persönlichkeit zum Ausdruck. Der Name bedeutet gleichsam den Entwurf oder das Programm eines Lebens. Einen «grossen Namen» haben, heisst, Leben in Fülle zu haben. Mose hört aus dem Dornbusch seinen Namen, fühlt sich bei seinem Namen gerufen. Er ist gemeint, persönlich, unverwechselbar, unersetzlich. Sein Name steht für seine Person als Ganze. Es geht ums Ganze. Hier wird die Parallelität zur Geschichte von Abraham und Isaak am deutlichsten spürbar. Mose antwortet auf den Ruf schlicht: «Ich höre!» «Hier bin ich!» das heisst: Ich bin präsent mit allem, was war und ist und werden kann.

5 Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.

Mose geht nicht ganz zum Dornbusch hin. Ein Zwischenraum bleibt. Das Göttliche, das Mose erfährt, das mit ihm in Beziehung geht, bleibt ihm gleichzeitig entzogen und verborgen. Gott bleibt unverfügbar, bleibt Geheimnis. Letztlich braucht es diese Spannung auch zwischen Menschen: in Beziehung gehen und uns dabei unverfügbar lassen, uns nahe kommen und uns als heiliges Geheimnis achten.
Ex 30,17-21 beschäftigt sich mit dem Aufenthalt der Priester (Aaron und seine Söhne) im Begegnungs- oder Offenbarungszeit. Sie sollen an diesem Heiligen Ort Hände und Füsse waschen. Das ist auch der Hintergrund für Gottes Anweisung an Moses, die Schuhe auszuziehen. Die Namensoffenbarung Gottes später wird deutlich machen, dass die Begegnung mit Gott nicht an bestimmte Orte gebunden ist, sondern sich an jedem Ort ereignen kann (vgl. Jakobs Ausruf in Gen 28,16: «Gott ist an diesem Ort und ich wusste es nicht»).
Ein jüdischer Rabbi verknüpft das Ausziehen der Schuhe mit dem späteren Auftrag an Moses: Gott gab diesen Befehl, denn nur, wer barfuss geht, kann die kleinen Steine unter den Füssen spüren. Dies ist nötig, denn nur, wer die kleinsten Sorgen seiner Nächsten spürt, ist fähig, Menschen in ihrem Leiden beizustehen undsie daraus zu befreien.

6 Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

In der Begegnung am Dornbusch verbindet sich für Moses die Gegenwart mit der Vergangenheit, seine Geschichte mit der Geschichte seiner Vorfahrinnen und Vorfahren. Der Gott, der ihn beruft und ihm eine Zukunft eröffnet, ist auch ihr Gott. Religionsgeschichtlich ist der «Gott des Vaters» der ursprüngliche Schutz- und Wegegott halbnomadischer Gruppen, der Mitgehergott. Die Geschichte der Menschen mit diesem Gott wird im Exodus weitergeführt werden. Leider spricht der Text nur von den Vätern, von Abraham, Isaak und Jakob. Selbstverständlich gehören auch die Mütter zu dieser Geschichte, von denen die Bibel ausführlich erzählt: Sara und Hagar, Rebekka, Lea und Rahel. Mose steht also in einer langen Tradition. Er fängt nicht völlig neu an. Er kann auf Erfahrungen anderer zurückgreifen. Er weiss darum, dass sich der Glaube an diesen Gott bereits im Leben von Menschen bewährt hat. Mose ist Teil einer grösseren Geschichte. Er darf und soll an diese Geschichte anknüpfen. Das ist Teil seiner Berufung. Wir alle sind Teil von grösseren Geschichten. Wir verdanken uns anderen Menschen, ihrem Ja zu uns. Sie haben uns gezeugt und geboren, sie haben uns geliebt und gepflegt, uns ihr Lebenswissen beigebracht und uns in unser Leben, in unsere Freiheit begleitet. Unser Leben ist Freiheit in Bezogenheit. Wir sind Glieder einer langen geheimnisvollen Lebens-Kette.

7 Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid.

Gott hört die Klagen leidender Menschen. Diese Erfahrung hat Hagar gemacht, als sie und ihr Sohn in der Wüste vom Verdursten bedroht sind.» «Gott hat auf dich gehört in deinem Leid. Du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismael (Gott hört) nennen» (Gen 16,11; vgl. Gen 21, 17). Die gesamte Hagargeschichte ist mit Motiven aus dem Exodus gewoben. Es ist die Geschichte einer Sklavin, die sich aus Unterdrückung zu befreien versucht. Gott ist auf ihrer Seite und verheisst ihr eine Zukunft voll Leben und Fruchtbarkeit. Gott schaut und hört auf ihr Leid.
Das im AT nur selten gebrauchte Wort «Leid» (makob) verweist auf das Motiv des leidenden Gottesknechts bei Jesaja (53,3ff.). Das Leid ist der theologische Ort, an dem sich die Treue Gottes erweist und bewähren muss.

8 Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreissen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fliessen

Not – Schrei – Hören – Rettung. In Ex 3 wird ein liturgisches Ritual sichtbar, wie es in den Klagepsalmen (z.B. Ps 13; Ps 17; Ps 18,5ff.) Gestalt angenommen hat.
Moses wird dadurch an die Realität seines Volkes erinnert, die er weit hinter sich gelassen hatte. Seine Geschichte holt ihn ein. Die Begegnung mit dem Gott der offenen Sinne öffnet sie auch ihm für die Realitäten dieser Welt. Das Elend wird sichtbar, die Klagen werden hörbar. Gleichzeitig vernimmt Mose eine Verheissung. Der Weg in ein neues Land, in ein anderes Leben wird erkennbar.

Leider lässt die Leseordnung den folgenden Halbvers weg:

in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.

Die Verheissung richtet sich nicht auf ein Traumland, sondern auf ein ein Land, das ganz von dieser Welt ist, denn es leben bereits Menschen darin, Menschen aus verschiedenen Völkern. Damit sind schon die Herausforderungen und Konflikte der Zukunft benannt, die bis in unsere Gegenwart reichen: Wie kann das Zusammenleben im verheissenen Land gelingen? Das ist bis heute eine ungelöste politische Frage. Es ist auch eine Frage an uns. Wie kann unser Leben, unser Zusammenleben mit anderen gelingen? Die Antwort darauf ist unser Leben. Es ist getragen von einer Berufung durch Gott. Wir sind geschickt, wir sind ermächtigt, uns wird das gelobte Land zugetraut.

Auch die folgenden Verse fehlen in der Auswahl der Leseordnung:

9 Jetzt ist die laute Klage der Israeliten zu mir gedrungen und ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie unterdrücken.
10 Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!
11 Mose antwortete Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?
12 Gott aber sagte: Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt und als Zeichen dafür soll dir dienen: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg verehren.

Ab Vers 3,10 folgt die Mosesgeschichte dem klassischen Aufbauschema biblischer Berufungsgeschichten: Erscheinung Gottes – Auftrag – Bedenken des Berufenen – Beseitigung der Bedenken durch eine Erklärung Gottes – Bekräftigung durch Zeichen. Die Geschichte des Moses zeichnet sich durch eine ausführliche und detaillierte Schilderung aus. So werden die Bedenken Mose gegen die Berufung und die Beseitigung der Bedenken durch Gott in fünffacher Variation und nicht ohne Ironie entfaltet (3,11-4,17). Moses beinahe klassische Einwände in Kurzform lauten:
Wer bin ich denn? Wer bist du denn eigentlich (was ist dein Name?) Man wird mir nicht glauben. Ich kann nicht reden und schliesslich: Kann nicht ein anderer?
Eugen Drewermann erkennt darin die typischen Schritte zur Reifung eines Menschen zu sich selbst und zur eigenen Bestimmung. Dieser Weg ist immer geprägt von einem Wechsel zwischen Anruf und Angst, Auftrag und Zweifel, mangelndem Selbstvertrauen und Selbstannahme, Unglaube und Glaube. Letztlich thematisiert die Mosesgeschichte die Grundfrage: Wie kann Gott einen unvollkommenen, fehlerhaften Menschen wie Moses berufen, ohne ihn zu überfordern? Wie kann ich in meiner Schwäche und Unzulänglichkeit von Gott in Dienst genommen werden? Wie kann das Göttliche in einem Dornstrauch aufleuchten?
Der Gott der Bibel hat viel Geduld mit Moses. Er sichert Moses zu, dass er mit ihm sein wird. Er offenbart seinen Namen, gibt ihm mit dem Stab, der sich in eine Schlange verwandelt, ein Zeichen und er sagt ihm, dass er – Gott- für Moses sprechen werde. Gott gibt sich in einem Namen zu erkenne, der bleibende Beziehung verspricht. Für Moses heisst das: «Ich-bin-da-bei-dir, so wie du bist». Und Gott stellt ihm schliesslich seinen Bruder Aaron zu Seite. Moses ist nicht allein. Er ist verbunden mit Brüdern und auch Schwestern. Der Talmud bewahrt und entfaltet die Erinnerung an Moses, Aaron und Mirjam. «Drei gute Fürsorger standen Israel bei. Diese sind’s: Mose, Aaron und Mirjam. Und drei gute Gaben wurden ihretwegen gegeben. Und diese sind’s: Der Brunnen, die Wolke und das Manna; der Brunnen Mirjam zuliebe (Ex 17,1-7), die Wolkensäule Aaron zuliebe (Ex 13,21) und das Manna Mose zuliebe (Num 11, 4-9; Ex 16,13-36) (Taanit 9a)

Im Verlauf seiner Geschichte, seines Reifungsprozesses erlangt Moses die Solidarität mit seinem Volk zu der ihn sein eigenmächtiges und gewalttätiges Handeln nicht gebracht hat (2,11-14). Dieses hatte ihn stattdessen weiter in den Gewaltkreislauf verstrickt. Der Talmud erzählt von einem gereiften Moses, der auch die selbstbewusste Auseinandersetzung mit himmlischen Mächten nicht scheut. Als Moses in die Höhen (des Berges Sinai und vor das Angesicht Gottes) aufsteigt, wenden sich die Engel an Gott mit den sexistischen Worten: «Was soll ein Weibgeborener unter uns?» Als sie hören, dass Moses die Weisung, die Tora, empfangen soll, empören sie sich ob dieser Verschwendung. Gott soll seine Pracht stattdessen «an die Himmel geben». Gott fordert Moses auf, darauf zu reagieren. Moses zitiert aus der Tora: «Ich, der Herr, dein Gott, habe dich aus Ägypten geführt» und fragt die Engel: «Seid ihr etwa nach Ägypten hinabgezogen, habt ihr etwa dem Pharao gedient?». Er zitiert weiter: «Gedenket des Sabbattages, ihn zu heiligen» und fragt die Engel: «Tut ihr etwa eine Arbeit, dass ihr das Ruhen nötig hättet?» Und er schliesst, damit dass der Satz «Du sollst deine Pracht an die Himmel geben» in der Tora Gottes nicht zu finden ist. «Sogleich wurde jeder Einzelne im Himmel ihm Freund» heisst es im Talmud (Schabbat 88b/89a).

13 Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heisst er? Was soll ich ihnen darauf sagen?
14 Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der «Ich-bin-da». Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der «Ich-bin-da» hat mich zu euch gesandt.

Im altotientalischen Kontext ist die Frage nach dem Namen wie wir gesehen haben, eine Frage nach dem Wesen und dem Wirken des Gegenübers. In der Antwort gibt Gott sein Wesen als etwas Dynamisches zu erkennen, die dauerhafte, verlässliche Gegenwart und Beziehung. Der Name ist Programm eines Lebens, hiess es. Also bedeutet der Name Gottes die bleibende Zusage, dass wir zur Befreiung aus versklavenden Verhältnissen berufen sind und dass uns das Land, in dem Milch und Honig fliessen, verheissen ist. Der Name Gottes ist das bleibende Exodusereignis.
Den Namen Gottes auszusprechen und anzurufen, heisst von befreienden und erlösenden Erfahrungen erzählen.

Im altorientalischen Kontext gilt aber auch die Überzeugung: Wer den Namen eines Wesens kennt, hat eine gewisse Macht über es. Mit der Offenbarung des Namens, gibt Gott also einen Teil seiner Allmacht auf und gibt sich in die Hände von Menschen. Und da im Namen ja das Ganze und Wesentliche zum Ausdruck kommt, begibt sich Gott ganz und wesentlich in die Hände von Menschen. Was Kurt Marti auf Weihnachten hin formuliert hat, gilt im Wesentlichen schon viel länger:
«Damals
als Gott
im Schrei der Geburt
die Gottesbilder zerschlug
und
zwischen Marias Schenkeln
runzlig rot
das Kind lag.»
(Kurt Marti, Gedichte am Rand)

In der Auseinandersetzung mit Gott, beispielsweise in den Psalmen, haben Menschen immer wieder Gott auf seinen Namen behaftet, wenn es ihnen schlecht ging. «Denn was taugt eine Gottheit, von der nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu spüren ist?»(Silvia Schroer). Gott hat einen grossen Namen, wenn Menschen das Leben haben und es in Fülle haben.

Gottes Name, der im Hebräischen mit vier Konsonanten, dem sogenannnten Tetragramm, als JHWH (oder auch YHWH) geschrieben wird, kommt sprachlich gesehen von einer nordarabischen Verbalwurzel HWH, die «wehen» bedeutet. Das weist auf den Ursprung der Gottesvorstellung hin, einer Wettergottgottheit, die im ganzen Mitelmeerraum unter verschiedenen Namen anzutreffen ist. Diese Vorstellung hat sich noch in manchen Psalmen erhalten (P2 18,10-15; Ps 65,9ff.; Ps 97,2ff.). Nachdem JHWH in Israel zum Staatsgott, später zum allein verehrten höchsten Gott und schliesslich zum einzigen Gott wurde, wurde der Name aus einer anderen, hebräischen Wurzel abgeleitet, die «(da) sein» bedeutet: hjh. (vgl. dazu Thomas Staubli). So kommt es zu dem Gottesnamen «Ich bin da» in Ex 3. Erich Zenger unterscheidet vier Aspekte dieser Gottesvorstellung: Zuverlässigkeit (»ich bin da, wenn Not ist»), Unverfügbarkeit (»ich bin da wie ich es will und nicht so, wie ihr es gerne hättet»), Ausschliesslichkeit (»ich bin ich und kein anderer») und Unbegrenztheit (»ihr könnt mir und meiner Wirkung keine Schranken setzen»).
Bei diesem Namen bleibt letztlich vieles offen. Dadurch kam es im Lauf der Geschichte zu zahllosen Deutungen und Erklärungsversuchen. Die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel (die sogenannten Septuaginta) in der hellenistischen Zeit, gibt die Formel von Ex 3 so wieder: «Ich bin der Seiende». Damit geht die Dynamik der semitischen Vorstellung weitgehend verloren, Gott wird mehr und mehr zum absoluten und abstrakten Prinzip philosophischer Welterklärung.
Im Judentum wurde die Unverfügbarkeit des göttlichen Namens dadurch gewahrt, dass man ihn nicht aussprach. Stattdessen wurde bei Bibelstellen, an denen das Tetragramm erscheint, ein anderes Wort verwendet. Beispiele dafür sind «Lebendiger», «Ewiger», «Name (ha-schem)», «Ort (ha-makom)» und in den meisten Fällen «Herr (adonaj)». Die Septuaginte, die bereits erwähnte griechische Übesetzung verwendet dann jeweils gas griechische «kyrios» (Herr) für den Gottesnamen JHWH. Die lateinische Bibel (Vulgata) machte daraus «dominus» und die Einheitsübersetzung verwendet konsequent «Herr». Dadurch wurde aber das letztlich offene, das Geheimnis Gottes wahrende JHWH durch einen einzigen, noch dazu männlichen Begriff ersetzt und festgelegt. Mit erschreckenden Folgen für unser Gottesbild. Schon lange verwenden kritische TheologInnen in ihren Kommentaren z.B. das Tetragramm anstelle des Ausdrucks «Herr». Die neue Bibelübersetzung in gerechter Sprache» führt uns wieder zurück in die jüdische Vielfalt der Gottesbezeichnungen. Sie setzt an den Stellen, an denen JHWH steht, verschiedene Gottesnamen aus der jüdischen Tradition ein, bietet jeweils andere an, die sich einsetzen lassen und sorgt auch für den Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Ausdrücken. Die Vielfalt kommt der Offenheit des Ursprungs näher als die einseitige Festlegung.

15 Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen.

Ex 3 ist sicherlich einer der Höhepunkte und intensivsten Verdichtungen der biblischen Gottesoffenbarung. Es ist aber nicht das erste Mal ist, dass Gott sich Menschen bekannt macht. Ex 3,15 zieht einen roten Faden von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft, in unsere Gegenwart und weit darüber hinaus.
Die Gotteserfahrung, von der hier und an anderen Stellen der Bibel erzählt wird, spannt sich aus zwischen den Polen Solidarität und Verheissung. Wer die Schuhe auszieht, um die Sorgen der Menschen wie kleine Steine spüren zu können, steht auf Heiligem Boden. Wer sich berühren lässt von dem Geheimnis, das brennt, ohne zu verbrennen, wird beim Namen gerufen und zu neuen Lebenswegen berufen. Ins Land, wo Leben in Fülle für alle möglich ist.

Mit der Kirche lesen

Das Evangelium beginnt als Drohbotschaft: Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr genauso zugrunde gehen, wie die Menschen in Galiläa und in Schiloach. Vielleicht macht erst die Verknüpfung mit der alttestamentlichen Lesung daraus eine Frohbotschaft. Die Leute, die zu Jesus kommen, sind Überlebende. Sie sind nicht von Pilatus ermordet worden. Sie sind nicht vom einstürzenden Turm erschlagen worden. Sie sind nicht besser oder schlechter als die Toten. Sie sind ganz normale Menschen, mit ihrer Schuld, mit ihren Sünden, wie alle anderen auch. Aber auch mit ihren Möglichkeiten ihr Leben zu gestalten, ihrer Veranwortung für ihr Leben, ihrer Freiheit, diesem oder jenem Ruf zu folgen. Es sind Menschen auf der Suche nach ihrer Berufung.
Der Dornbusch in der Wüste – der Feigenbaum im Gleichnis: Bilder für Menschen angesichts ihrer Berufung? Kann Gott einen unvollkommenen, fehlerhaften Menschen wie Moses berufen, ohne ihn zu überfordern? Kann ich in meiner Schwäche und Unzulänglichkeit von Gott in Dienst genommen werden? Kann das Göttliche in einem Dornstrauch aufleuchten? Kann ein Feigenbaum, der seit Jahren nur herumsteht, Platz weg nimmt und den Boden auslaugt, doch noch Früchte bringen?
Die Bibel gibt zwei Richtungen vor, wie sich Antworten auf diese Fragen finden lassen:
1. Zurückblättern zur Geschichte von Moses.
2. Weiterlesen: Es folgt die Erzählung von der Heilung der Frau, die seit 18 Jahren an einem Geist litt, der sie verkrümmte und ihr die Lebenskraft raubte.
So oder so, wie lesen von einem Sohn bzw. einer Tochter Abrahams (Lk 13,16). Sie schreiben die alte Geschichte weiter, die erzählt, dass Gott, der Ewige, die Lebendige da ist und wirkt.

Verwendete Literatur:

  • Die Tora in jüdischer Auslegung, hrsg. von W. Gunther Plaut, Band II Schemot Exodus, Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus 2000
  • Thomas Staubli, Gott, unsere Gerechtigkeit. Begleiter zu den Sonntagslesungen aus dem Ersten Testament. Lesejahr C, Edition Exodus Luzern 2000
  • Silvia Schroer, Glücklich ist, wer Lust hat an der Weisung JHWHd, Illustrierte Kurzkommentare zur ersten Sonntagslesung, Kanisius Verlag Freibug Schweiz 1998