Wir beraten

Momente der Gotteserfahrung   

Winfried Bader zur Lesung am 2. Fastensonntag SKZ 7-8/2007

Alttestamentliche Lesung: Genesis 15,5–12.17–18
Evangelium: Lk 9,28b–36

Religion verlangt nach Erfahrungen. Die Kritik an der Kirche bezieht sich sehr oft auf dieses Erfahrungsdefizit. Der Beamtenkirche, der verwalteten und organisierten Kirche, die – wie jede verfasste Gemeinschaft unter Menschen – Regeln und Ordnungen kennt, wird die persönliche Gotteserfahrung gegenüber gestellt. Je nach Couleur des Argumentierenden gilt das eine oder andere als besser, meist aber wird der unvereinbare Gegensatz betont, das eine gegen das andere ausgespielt. Wie eng aber beides zusammenhängt, zeigen die Texte des 2. Fastensonntages. Es geht in der Genesis- Lesung um den Bund zwischen Gott und seinem Volk, ein eigentlich juristischer Begriff – und der Text zeigt gerade das Gegenteil: Glaubenserfahrung ist die Grundlage dafür. Beim Text aus dem Lukas-Evangelium, wo es zunächst um den Bericht einer grossartigen visionären Gotteserfahrung geht, zeigt das plötzliche Ende und der Abstieg vom Berg, dass die eigentliche Aufgabe es ist, eine solche Erfahrung in der konkreten Verfasstheit der Menschen umzusetzen.

Mit Israel lesen
Die in ihren Details eher fremd anmutenden Erzählung vom Bundesschluss Gottes mit Abram fasst die grundlegenden Daten des israelitisch jüdischen Glaubens zusammen: Es geht in dieser Erzählung um die Verheissung der zahlreichen Nachkommen, also die Zusage, ein Volk zu sein, und es geht um die Zusage des Landes, dem anderen Element des israelitischen Glaubens. Diese inhaltlichen Grundelemente des Verhältnisses von Israel und Gott werden formal gefasst in der Idee des Bundes. «Bund» meint, wo es in die Bibel eintritt, «Vertrag». Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Volk sein Verhältnis zur Gottheit juristisch, ja staatsrechtlich definiert. Darauf läuft der Bundesgedanke aber hinaus. Er bringt in der stark naturhaft denkenden Antike den erstaunlichen Fortschritt, dass für die Beschreibung der Gottesbeziehung eine personale Kategorie benutzt wird – eine relationale Kategorie, die nach Joseph Ratzinger insgeheim schon auf die spätere Trinitätslehre zulief.

Die grundsätzliche Zusage von Nachkommen und Land, die Abram schon kennt, werden in der Erzählung von Abram angezweifelt. Der Mensch reagiert auf die unfassbare Zusage mit eigenen Überlegungen, er ringt um das, was dahinter steckt. In Gen 15,3 – unmittelbar vor dem Anfang unserer Perikope – sagt Abram: «Mir hast du keine Nachkommen gegeben; und siehe einer meiner Knechte wird mein Erbe sein». Abram denkt menschlich pragmatisch, findet eine Lösung – auch wenn die Nachkommenszusage nicht eintrifft. Gottes Antwort in Vers 4–5 korrigiert Abrams Denken und überbietet seine Erwartungen. Abram glaubte, und dieser Glaube ist die einzig sachgerechte Antwort des Menschen auf Gottes verheissendes Wort, dies ist die rechte Stellung des Menschen zum erwählenden Gott.

Aber selbst beim Vater des Glaubens, wie Abraham gerne genannt wird, trägt dieser Glaube nicht. In Vers 8 bietet er um ein Zeichen, auch im Glaube bleibt Abram Mensch und ist auf äussere Zeichen angewiesen.

Gott gewährt dieses Zeichen. Das Ritual der zerschnittenen Tierhälften spiegelt sich wider in dem hebräischen Ausdruck für «einen Bund schliessen», karat berit, wörtlich «eine berit durchschneiden», im Sinne von «ein Schwursymbol in zwei Hälften zerschlagen». Diese Hälften haben zwei Bedeutungen: Jeder der Vertragspartner kann eine der Hälften nehmen, die sich wieder zusammenfügen lassen, und wenn sie wieder passen, die Garantie sind, dass der Bund gilt. Oder die zerschlagenen Hälften gehören zum Schwurritual und zeigen durch die in zwei Teile zerhauenen Tiere die Folgen eines Eidbruchs. Drei Beobachtungen zu diesem Zeichen: Das Schwurritual ist einseitig. Nur Gott geht zwischen den Tierhälften hindurch und nicht wie üblich beide Vertragspartner. Gott geht einseitig und freiwillig diese Verpflichtung ein. Zum anderen ist der Ritus eine Selbstverpflichtung Gottes, wo er sich selbst unter die Bedingung des Schwurrituals stellt. Und zum dritten findet dieser Vorgang statt, während Abram in einem tiefen Schlaf von Schrecken und Finsternis überfallen ist. Eine berit ist zunächst der Vertragsschluss als Akt, andererseits zugleich das resultierende Vertragsverhältnis. Letzteres hat die Tendenz zu erstarren, Vitalität und Veränderung zu hemmen. Der Vertragsabschluss selbst dagegen ist ein kreativer und dynamischer Vorgang, Abrams Schrecken zeigt hier diese dichte Erfahrung, die er mit Gott macht. Abrams Glauben aus Vers 6 entfaltet sich nur und bleibt, wenn er solche Erfahrungen machen kann.

Mit der Kirche lesen
Setzen wir den Text der Genesis in Verbindung mit der «Verklärung Jesu» auf dem Berg aus dem Lukas-Evangelium, so ist die Gemeinsamkeit beider Texte diese Erfahrung des Göttlichen als ein mysterium tremendum et fascinosum. Es braucht im menschlichen Leben diese dichten Momente: Jede Beziehung zwischen Menschen, jede Partnerschaft zwischen Mann und Frau braucht die Erfahrungen der Nähe und des intensiven Glücks. Nur auf Grund dieser guten Erfahrungen lässt sich dann Alltag durchhalten. Diese Momente sind die Quelle, sie füllen die äussere juristische Form, z. B. eine Ehe, mit innerem Leben. Die Jünger Jesu brauchen diese ausserordentliche Gottesbegegnung auf dem Berg, abgehoben von der Welt an diesem ausserordentlichen Ort, um nachher abgestiegen vom Berg Jesus weiterhin richtig zu deuten und zu begreifen, wenn sie an seinem Handeln sonst irre würden.

Das Evangelium wirft so wieder sein Licht zurück auf den Bund Gottes mit Abram: Es geht nicht um das Ergebnis des juristischen Vertrages, den man Bund nennt, der sehr schnell als leblos und starr betrachtet würde, sondern es geht um eine menschliche Erfahrung von Abram mit einem sehr menschlichen Gott, der sich verpflichtet. Diese Rückbesinnung zum Ursprung ist dann das innere Leben, welches das Verhältnis von Israel und Gott bestimmt, es ist das innere Feuer, das Petrus, Johannes und Jakobus mit vom Berg heruntertragen, es ist die menschliche Lebendigkeit von charismatisch Gläubigen, die die verfasste Kirche durchdringen.