Wir beraten

Mit Gott ist zu rechnen!   

Rita Bahn zur Lesung am Aschermittwoch SKZ 6/2007

Alttestamentliche Lesung: Joel 2,12–18
Evangelium: Mt 6,1–6.16–18

Etabliert sein, sich eingerichtet haben und nun bequem in den Tag hinein leben und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, das ist Versuchung oder Realität gewordene Routine für viele.

Alljährlich lädt die Fastenzeit ein, Gewohnheiten zu durchbrechen, Bequemlichkeiten aufzugeben und gegen manch persönliche Lauheit anzugehen: Verändere deine Perspektive! Blick über deinen Tellerrand! Dreh dich herum, damit du Gott und die Welt entdecken, Neues denken und dein Leben umstellen kannst und so von der Peripherie des Lebens zu seiner Mitte findest!

Mit Israel lesen

«Hört her, ihr Ältesten, horcht alle auf, ihr Bewohner des Landes!» Mit der Dringlichkeit eines Weckrufs beginnt der Prophet Joel sein Buch. Er schildert die Folgen einer gewaltigen Heuschreckenplage und Dürreperiode und setzt diese bereits erlittene Katastrophe in Zusammenhang mit einer herannahenden, zukünftigen – der Bedrohung durch ein grosses Volk (1,2–2,11). Beide Ereignisse geben Anlass zu Klage und Gebet. Beide verbindet Joel mit der seit Amos und Jesaja geläufigen Vorstellung vom «Tag Jahwes», dessen Kommen noch aussteht.

Jetzt ist dieser Tag nahe herangerückt. Gott selbst steht an der Spitze des mächtigen feindlichen Heeres. Sein Eintreffen wird Israel das Gericht bringen. «Ja, gross ist der Tag Jahwes und voll Schrecken. Wer kann ihn ertragen?» (2,11).

Die Eindringlichkeit, mit der Joel seine Botschaft vorbringt, überrascht zunächst angesichts der historischen Situation. Alles scheint seinen geregelten Gang zu gehen: An die politischen Verhältnisse unter persischer Fremdherrschaft hat man sich gewöhnt. Der Kultbetrieb ist längst wieder restauriert und funktioniert auf selbstverständliche Art und Weise. Von einem besonderen Vergehen des Volkes ist nicht die Rede. Aber:Wie eine Naturkatastrophe unerwartet hereinbricht, so ist auch und gerade von Gottes Seite mit dem Aussergewöhnlichen zu rechnen.

Religiös (und politisch) korrekt zu sein und zu handeln ist bisweilen zu wenig. Wer darauf vertraut, mit der Einhaltung der Tora und den äusseren Formen des Kultes sei alles für eine gelingende Gottesbeziehung getan, mag sich täuschen. Menschliche Selbstgenügsamkeit und Selbstgerechtigkeit bleiben was sie sind, auch wenn sie fromm und gesetzestreu daherkommen. Gott Gott sein lassen, sich seiner nicht allzu gewiss sein, sondern seine höchste Souveränität und Freiheit anerkennen und wissen, dass man sich letztlich allein seiner Gnade verdankt – das ist das Bewusstsein, das Joel sich wünscht! Es lässt einen wachsam sein, achtsam mit Menschen und Dingen umgehen und auch die oft sehr unbequemen Perspektiven der Propheten in Erinnerung behalten.

Aber «auch jetzt noch», angesichts des angekündigten Schreckensszenarios vom Tag Jahwes, so fährt Joel fort (und hier setzt die Lesungsperikope ein), kann das Volk etwas tun, braucht es nicht in Lähmung und Resignation zu versinken. Ja, Gott selbst wirbt um sein Volk und lädt es ein, unbedingt etwas zu tun, radikal zu ihm hin umzukehren. Vielleicht, dass sein Kommen dann nicht Vernichtung, sondern Rettung und endgültiges Heil bringen wird.

Kosmetische Korrekturen an der Oberfläche werden nicht ausreichen. Stattdessen sollen Fasten, Weinen und Klagen jene für eine sehr grundsätzliche Kehrtwendung erforderliche Kraft wecken, die dem tiefsten Herzen entspringt, dem – nach biblischer Vorstellung – «Organ» des Denkens und Wollens. Mit dem Fasten lässt der Mensch alles beiseite, was Verwöhnung und Luxus, was Überfluss und nicht lebensnotwendig ist, und gewinnt so einen Blick für das Wesentliche, schafft sich Frei-Raum und Frei-Zeit. Mit dem Weinen wird er weich, lässt los, verströmt sich und wird so lebendiger, als wenn er seine oft aufgezwungen starre und starke Haltung bewahrte. Im Klagen drückt er aus, was schlecht ist bei sich selber und in der Welt und legt dadurch das Fundament für eine Veränderung zum Besseren. Bei Joel geht es freilich um rituell festgelegte, in den Kult eingebettete Formen des Fastens und Klagens, wie z. B. das Anlegen des «saq», eines groben Gewebes aus Ziegenhaar, und das Schlagen der Brust. Solange die althergebrachten Rituale nicht nur leerer Formalismus sind, hat der Prophet nichts gegen sie einzuwenden.

Der Prozess der Umkehr ist für ausnahmslos alle existentiell wichtig. So sollen die Priester alle Mitglieder des Volkes, von den Jüngsten bis zu den Ältesten, und selbst die Brautleute, für die sonst vielerlei Ausnahmen gelten (Befreiung des jungen Ehemannes vom Kriegsdienst und sogar vom abendlichen Sprechen des schema), zum Gottesdienst versammeln. Denn die prophetische Tradition weiss, dass am Tag Jahwes die Freude von Braut und Bräutigam erstickt wird (z.B. Jer 16,9) und auch Kinder und Frauen nicht verschont bleiben (z.B. Jes 13,16).

Das Gebet, das Joel den Priestern aufträgt, bezeichnet das Volk als «Eigentum» Jahwes. Wie aber – so lautet der Appell – kann Gott zulassen, dass sein Eigentum von Fremden beherrscht wird? Er würde sich damit doch nur ihrem Spott aussetzen.

Und tatsächlich: Jahwe lässt sich auf die Klage seines Volkes ein, so wie sich dies zuvor auf seinen Aufruf zur Umkehr eingelassen hat. Das wechselseitige Werben der Bundespartner führt sie wieder zueinander. Jahwes Erbarmen bringt den Menschen in der Folge reichen Segen und bestätigt ihn einmal mehr als den, der schon in Ex 34,6 als barmherzig, gnädig, langmütig und reich an Güte und in Ex 32,12.14 als reuiger Gott beschrieben wurde und zu dem sich auch Joel in 2,13b bekennt, um sein Volk zu motivieren.

Mit der Kirche lesen

Zwar mag unser leibliches Leben derzeit nicht durch Naturkatastrophen und Krieg bedroht sein; doch unser inneres Leben, unser Herz wie unser Geist bedürfen immer wieder der Besinnung und der Neuorientierung, um lebendig – kraftvoll und beseelt – zu bleiben. Völlig klar und nüchtern ruft uns die Liturgie beim Verteilen der Asche eine Grundbefindlichkeit in Erinnerung: «Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.» Was könnte besser aus Alltagstrott und Bequemlichkeit herausreissen als das Bewusstwerden unserer eigenen Vergänglichkeit?! Schnell sind dann auch unser Bedürfnis und unsere Sehnsucht artikuliert, dass Staub und Tod nicht das Ende sein mögen. Unsere Verwiesenheit auf Gott wird deutlich und lässt uns – vielleicht – auf die Suche gehen. Joels Worte wecken die Hoffnung, dass Gott sich auch von uns finden lässt, dass er sich auch uns zukehrt und auf vielfältige Art Leben schenkt. Sie fordern uns auf, uns mit reinem Herzen, d. h. reinem Wollen und Denken, auf den Weg zu machen und uns jenseits von Oberflächlichkeit, geistloser Routine und erstarrten Formen zu bewegen.

Almosen geben, beten und fasten – so der Evangelientext – sind und bleiben dabei wichtige Tätigkeiten, solange sie nicht zur Selbstdarstellung genutzt werden, sondern Ausdruck einer echten inneren Haltung sind.